Wie wirken endokrine Disruptoren? |
Phytohormone zeigen Strukturähnlichkeiten zu verschiedenen Hormonen, weshalb sie in eine ganze Reihe hormoneller Regelsysteme eingreifen können (5). So enthalten Soja und Rotklee die Isoflavonoide Genistein und Daidzein, Rotklee zusätzlich Formononetin und Biochanin A, für die eine Hemmung gonadotroper Hypophysenhormone und die Modulation der Steroidhormon-Biosynthese beschrieben sind (5, 6). Die Traubensilberkerzenwurzel (Actaea racemosa/Cimifuga racemosa) enthält die Triterpenglykoside Actein und Cycloartan-Derivate, die ebenfalls in das Estrogenrezeptorsystem eingreifen können (6).
Neben Modulation der Liganden und/oder der Rezeptorwege werden Phytohormonen auch vielfältige Effekte auf Ebene der intrazellulären Signalwege und der Genregulation zugeschrieben. So sind Effekte auf Zellzyklus regulierende Faktoren wie Cyclin D1 und Cyclin-abhängige Kinase-Inhibitoren (p21, p27 und p57) sowie auf die Expression von Tumorsuppressor-Genen wie APC, PTEN und SERPINB5 beschrieben (7). Und auch die Inhibition von Tyrosinkinasen und von DNA-Topoisomerasen, die an der Replikation und Transkription beteiligt sind, wurde für Isoflavonoide gezeigt (5).
Außerdem können verschiedene Substanzkonzentrationen unterschiedliche Effekte haben. So ist gezeigt, dass manche endokrin aktiven Substanzen in niedrigen Konzentrationen den Estrogenrezeptor aktivieren, in höheren Konzentrationen aber das endogene Estrogen vom Rezeptor verdrängen und damit antiestrogen wirken (3, 5).
Viele Befunde basieren auf In-vitro-Untersuchungen. Bei Anwendung von Phytoestrogenen in vivo sind mögliche positive Effekte den möglichen gesundheitlichen Risiken gegenüberzustellen. Eine abschließende Nutzen-Risiko-Analyse ist bei derzeitiger Datenlage schwierig (2).
Etwa tausend chemische Substanzen werden nicht mehr nur als endokrin aktiv, sondern als endokrine Disruptoren (ED) bezeichnet, die per definitionem dem Körper schaden (1, 3). Eine ganze Reihe von Tierstudien, In-vitro-Analysen und epidemiologischen Studien deutet immer wieder auf Zusammenhänge zwischen der Exposition gegenüber endokrinen Disruptoren und dem Auftreten von Entwicklungsstörungen, einem frühen Einsetzen der Pubertät, Störungen der Spermienbildung und Reproduktion, vermehrtem Auftreten hormonabhängiger Tumoren, Stoffwechselerkrankungen wie auch neurologischer Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten hin.
Die Substanzen greifen auf der Ebene von Rezeptoren, Liganden oder intrazellulären Signalwegen an. Die Wirkmechanismen sind sehr komplex, weil es sich nicht um die natürlichen Liganden der Rezeptoren handelt und weil ihre Spezifität und Affinität sehr unterschiedlich sind. Außerdem ergeben sich aus den verschiedenen Signalwegen lipophiler und hydrophiler Hormone zahlreiche Angriffspunkte (Grafik) (3, 8).
Grafik: Ausgewählte Angriffsmöglichkeiten endokriner Disruptoren (rote Pfeile) in Hormonsignalkaskaden / Foto: PZ/Stephan Spitzer
So sind Steroidhormone wie Estrogene, Androgene und Mineralocorticoide lipophile Moleküle. Diese werden mittels Diffusion von den Zellen aufgenommen und binden intrazellulär an nukleäre Rezeptoren (Kernrezeptoren). Der Rezeptor-Hormon-Komplex induziert im Kern die Transkription von Effektorproteinen, die den Stoffwechsel beeinflussen. Auch Schilddrüsenhormone sind lipophil und binden an einen Kernrezeptor. Peptid- und Proteohormone wie Insulin und die Catecholamine dagegen sind hydrophil. Hier bindet das Hormon an einen Membranrezeptor und das Signal – nicht das Hormon – wird in der Zelle weitergeleitet. Auf diese Weise induziert Insulin beispielsweise die verstärkte Expression von Glucosetransportern auf Muskelzellen und steigert damit deren Aufnahme von Glucose (9).
So wirken endokrine Disruptoren über eine ganze Reihe verschiedener Angriffspunkte. Neben den agonistischen oder antagonistischen Effekten am Rezeptor verändern einige über Rückkopplungseffekte die Rezeptoraktivität oder die Anzahl der Rezeptoren auf den Zielzellen. Dabei beeinflussen sie die Konzentration der endogenen Hormone, indem sie deren Produktion, Freisetzung, Transport oder Abbau modulieren. Darüber hinaus greifen endokrine Disruptoren in zelluläre Signalwege ein, indem sie Signalmoleküle wie MAPK/ERK aktivieren oder blockieren. Außerdem beeinflussen sie die Transkriptionsregulation auf epigenetischer Ebene über die Modulation von Histonmodifikationen und nicht-codierenden RNAs (Tabelle 2) (3).
Wirkungsebene | Effekte |
---|---|
Aktivierung von Hormonrezeptoren | Rezeptoragonist und -antagonist |
Rezeptorexpression | gesteigert oder gesenkt |
Rezeptorliganden | Einfluss auf Hormonsynthese, Hormontransport im Blut (zum Beispiel Bindung/Wegfangen) und/oder in die Zelle, Hormonmetabolismus (Clearance) |
Signaltransduktion der Hormonantwort | Bindung von Signalmolekülen,Blockade oder Aktivierung von Signalmolekülen (MAPK/ERK) |
epigenetische Regulation auf Rezeptor- und Hormonebene | Chromatin-Modifikation, Methylierung und Acetylierung beeinflussen Transkription von Hormon und Hormonrezeptor |
Die meisten Kenntnisse zur Wirkung endogener Disruptoren gibt es aus In-vitro- und Tiermodellen zum Estrogen-Androgen-System. So wirken Bisphenol A, Phthalate und polyfluorierte Substanzen als Rezeptoragonisten und -antagonisten und greifen in die Signaltransduktion hormonresponsiver Zellen ein. Hierbei können auch die Signalmoleküle des MAPK/ERK-Signalwegs oder der Transkriptionsregulator PPAR (peroxisome proliferator activated receptor) aktiviert werden.
Diskutiert wird zudem die Aktivierung weiterer Steroidrezeptoren wie Estrogen-Related Receptor gamma (ERR-γ) oder G-Protein-gekoppelter Rezeptors GPR30. Außerdem ist für einige Phthalate gezeigt, dass sie die epigenetischen Regulationsmechanismen der Testosteronsynthese stören (3, 10).
Neben den Geschlechtshormonen können endokrine Disruptoren weitere Hormone negativ beeinflussen, zum Beispiel die der Schilddrüse. Hier werden Effekte auf den T3-Rezeptor, die Verfügbarkeit seiner Liganden, die Schilddrüsenhormon-Transporter und metabolisierende Enzyme diskutiert. So stört beispielsweise Perchlorat die Aufnahme von Iod in Schilddrüsenzellen und greift damit in die physiologische Schilddrüsenhormon-Synthese ein (3, 11).