Wie wirken endokrine Disruptoren? |
Weil sich endokrine Disruptoren in der Umwelt ansammeln, sei es in Form von Produktionsrückständen oder Pestiziden in Abwässern, Boden oder Lebensmitteln, wird häufig auch von Umwelthormonen gesprochen. Dabei ist nicht nur der Mensch, sondern auch die Tierwelt betroffen.
Die stärkste Belastung zeigen die Ökosysteme der Oberflächengewässer, weil endokrine Disruptoren besonders durch Auswaschung, Niederschlag, Oberflächenabfluss und Abwassereinleitung in die Gewässer gelangen. Dort werden sie zum Teil am Sediment gebunden, zum Teil weiter transportiert. So fanden zahlreiche Studien Veränderungen an den Geschlechtsorganen von Fischen, die unterhalb von Klärwerkabflüssen der Kommunen oder von Industrieanlagen lebten. Außerdem konnte gezeigt werden, dass Chemikalien, die mit der Funktion der Schilddrüse interagieren, die Metamorphose von Amphibien beeinträchtigen. Sind Entwicklung und Fortpflanzung der Tiere betroffen, können ganze Populationen gefährdet sein (22).
Hormonaktive Stoffe belasten auch die Umwelt; Oberflächengewässer sind besonders betroffen. / Foto: Adobe Stock/Cozyta
Die Umwelt ist einer Vielzahl von Chemikalien ausgesetzt, die natürlich nicht alle endokrin aktiv sind. Damit ist es aber schwierig zu belegen, welche der beobachteten Schäden tatsächlich durch endokrine Disruptoren verursacht werden, nicht zuletzt, weil auch Spätschäden zu betrachten sind. Die Entwicklung von schädlichen (adversen) endokrinen Effekten auf verschiedenen biologischen Ebenen wird häufig mithilfe sogenannter »Adverse Outcome Pathways (AOP)« untersucht und erläutert. Diese dienen zur Erklärung der Wirkungsweise von Chemikalien und zeigen kausale Zusammenhänge zwischen der Exposition und den Effekten auf Ebene der Zellen, Organe, Organismen und ganzer Populationen (22).
Für die Bewertung möglicher Schädigungen sind europaweit die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und in Deutschland zusätzlich das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zuständig. Ihre Aufgaben bestehen in der Gefahrenabschätzung und Risikobeschreibung anhand von wissenschaftlichen Daten zur akuten und chronischen Wirkung verschiedenster Substanzen. Dabei werden unter anderem die tägliche Aufnahmemenge (TDI), die Benchmark-Dosis (die niedrigste Dosis mit Effekt) und die Äquivalentdosis (Maß für biologische Wirksamkeit) betrachtet (1, 23).
Von der EFSA und der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) wurden inzwischen Leitlinien zur Identifizierung von Substanzen mit endokrin disruptiven Eigenschaften erstellt. Anhand derer sollen die im Jahr 2017 von der EU erstellten Kriterien zu endokrinen Disruptoren umgesetzt werden (1, 22).
Allerdings sind vielfältige Herausforderungen bei der Risikobewertung zu meistern. So haben die Risikobewertungen im Rahmen der Obelix-Studie der EU gezeigt, dass die kritischen Effektkonzentrationen verschiedener endokriner Disruptoren wesentlich niedriger liegen als die bei Toxizitätsbestimmungen der Behörden zurzeit der Studie eingesetzten Mengen der LD50-Bestimmung (13).
Welche Konzentrationen nun relevant sind, ist zwischen Industrie und Verbraucherorganisationen umstritten (24). Außerdem bedarf der Nachweis sehr niedriger Substanzkonzentrationen der weiteren Optimierung der Nachweisverfahren wie LCMS/MS und es müssen Langzeiteffekte bedacht werden, die erst über die Jahre hinweg erfasst werden können. Auch additive und synergistische Effekte (»Cocktail-Effekt«) müssen erforscht und beachtet werden. So wird es nötig sein, über die bestehenden Grenzwerte einzelner Substanzen hinaus Grenzwerte für die Exposition mit mehreren Substanzen festzulegen (23).
Eva Gottfried ist Diplom-Biologin und Übersetzerin. Sie studierte an der Universität Heidelberg und schloss 1994 ihre Diplomarbeit am DKFZ Heidelberg ab. Ihre Promotionsarbeit fertigte sie am Institut für Immunologie der LMU München an. Dr. Gottfried arbeitete viele Jahre als wissenschaftliche Assistentin am Uniklinikum Regensburg im Bereich Hämatologie/Onkologie und habilitierte sich dort in Experimenteller Medizin mit einer Arbeit zur Modulation der Immunantwort im Tumormilieu. Seit 2014 arbeitet sie als Selbstständige in der Wissenschaftskommunikation und im Medical Writing.