Wie kommen Krankenhäuser an Covid-19-Medikamente? |
Daniela Hüttemann |
16.04.2020 13:00 Uhr |
Die zentral beschafften Medikamente wurden von der Bundeswehr an 65 Krankenhausapotheken verteilt, an die sich nun andere krankenhausversorgende wenden können (Symbolbild). / Foto: Getty Images/dragana991
Zunächst einmal müssen die behandelnden Ärzte klären, ob ein Covid-19-Patient überhaupt für die experimentelle Behandlung in Frage kommt. Grundsätzlich sollte eine Behandlung bevorzugt im Rahmen klinischer Studien erfolgen. Doch das ist bei Weitem nicht in jedem Krankenhaus möglich. Die Alternativen sind ein individueller Heilversuch mit einem zulassungspflichtigen, aber noch nicht oder nur außerhalb von Deutschland zugelassenen Arzneimittel oder der Off-Label-Use, wenn es um Medikamente geht, die grundsätzlich in Deutschland zugelassen sind, aber nicht in der gewünschten Indikation, für die fragliche Population oder in der angestrebten Dosierung.
Konkret geht es um die Lopinavir- und Ritonavir-haltigen HIV-Mittel Kaletra® und Aluvia® (beide zentral in der EU zugelassen, Kaletra ist in Deutschland auf dem Markt), das in Japan und China als Grippemittel zugelassene Avigan® mit dem Wirkstoff Favipiravir, das Camostat-haltige Medikament Foipan®, das in Japan bei chronischer Pankreatitis und postoperativer Reflux-Ösophagitis zugelassen ist, sowie Chloroquin- (Resochin®, nur noch in Pakistan auf dem Markt) und Hydroxychloroquin-haltige Medikamente (Quensyl®, Plaquenil® und andere), die normalerweise zur Malariatherapie und -prophylaxe sowie bei Arthritis und systemischen Lupus erythematodes eingesetzt werden.
Die Ärzte müssen regelmäßig prüfen, ob gleichwertige Alternativen zur Verfügung stehen, also zugelassene Arzneimittel oder andere therapeutische Methoden, die zur Behandlung geeignet und noch nicht ausgeschöpft sind. Der Patient oder sein Vertreter muss besonders sorgfältig über unbekannte Risiken aufgeklärt werden, was schriftlich dokumentiert werden muss, analog der schriftlichen Einwilligungserklärung von Studienpatienten nach § 40 ff AMG. Ärzte finden ausführliche Hinweise zu Hydroxychloroquin auf der Website des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Die Station fordert nun das gewünschte Medikament mit einem speziellen Formular bei der eigenen Krankenhausapotheke oder krankhausversorgenden Apotheke an (wie eine Sonderanforderung). Es sind ein Patientenaufkleber und der Klinikstempel aufzubringen. Die Verordnung muss selbstverständlich von einem Arzt unterschrieben werden.
Die zuständige Krankenhausapotheke beziehungsweise versorgende Apotheke soll nun eine Plausibilitätsprüfung durchführen. Wie diese genau aussehen soll, ist in der Prozessbeschreibung nicht aufgeführt. Im Prinzip könne man nur prüfen, ob der Bogen komplett ausgefüllt ist und die Angaben nachvollziehbar sind, erläuterte Dr. Holger Knoth, Leiter der Krankenhausapotheke des Uniklinikums Dresden, auf Nachfrage der Pharmazeutischen Zeitung.
Anschließend trägt die Krankenhausapotheke die eigenen Daten vollständig in das Formular ein und wendet sich an die nächstgelegene vom Bundesgesundheitsministerium beauftragte Krankenhausapotheke, die von der Bundeswehr mit den Medikamenten beliefert wurde. Es gibt eine Liste, in der alle derzeit 65 verteilenden Krankenhausapotheken nach Bundesländern gelistet sind, die den Apothekerkammern zur Verfügung gestellt wurde. Apotheker können die nächstgelegene bevorratende Krankenhausapotheke bei ihrer Kammer erfragen.
Die zur Verteilung beauftragte Krankenhausapotheke gibt nun das gewünschte Arzneimittel an die bestellende Apotheke weiter. Die Regierung hat die Arzneimittel bezahlt, sodass die Bereitstellung kostenlos erfolgt. Um den Transport und die dafür anfallenden Kosten muss sich die bestellende Apotheke kümmern. Die abgebende Krankenhausapotheke muss die Weitergabe dokumentieren.
Die versorgende Apotheke gibt zum Schluss das Medikament an die anfordernde Station weiter. Bei der Applikation müssen die Ärzte regelmäßig und aktiv in kurzen Abständen auf mögliche unerwünschte Wirkungen prüfen, bestenfalls mit schriftlicher Dokumentation. Tritt ein Problem auf, muss der Patient umgehend informiert werden. Der Nutzen für den Patienten muss sorgfältig und kontinuierlich gegenüber dem Gefährdungspotenzial abgewogen werden, vor allem, wenn neue Beschwerden auftreten. Nebenwirkungen sollen unbedingt den Arzneimittelkommissionen, dem BfArM und den pharmazeutischen Unternehmen gemeldet werden.
Vorgeschrieben ist zudem eine ausführliche Dokumentation in der Patientenakte einschließlich des angewendeten Arzneimittels und seines Wirkstoffs, des Therapieplans, der Dosierung, des Auftretens unerwünschter Wirkungen und des klinischen Behandlungsverlauf.
Die Bestände der einzelnen Apotheken variieren. Das Uniklinikum Dresden hat derzeit schätzungsweise 30.000 Tabletten Chloroquin, 50.000 Tabletten Hydroxychloroquin, 3000 Tabletten Lopinavir/Ritonavir und deutlich weniger der japanischen Präparate auf Lager. Allerdings habe es bislang noch keine Anfrage gegeben.
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