Wie gut hilft Cannabis bei chronischen Schmerzen? |
Daniela Hüttemann |
20.10.2021 18:00 Uhr |
Die Cannabistherapie bei Schmerzpatienten muss noch besser untersucht werden, vor allem auch mit Blick auf die Langzeitsicherheit. / Foto: Getty Images/Wera Rodsawang
Seit 2017 dürfen Ärzte medizinisches Cannabis zulasten der Krankenkassen verordnen, allerdings bis auf wenige Indikationen erst nach aufwendigem Genehmigungsverfahren. Die Regelung gilt als vorläufig, denn eine echte Zulassung haben Cannabisextrakte und -blüten noch nicht bekommen. Vielmehr ist eine fünfjährige wissenschaftliche Begleiterhebung vorgeschrieben, nach der eine Neubewertung der Erstattungsfähigkeit ansteht. Im kommenden Jahr ist es soweit.
Einen Zwischenstand hierzu gab es beim Deutschen Schmerzkongress. Schmerzmedizinern zufolge berichteten bislang etwa zwei Drittel der rund 10.000 dokumentierten mit Cannabis behandelten Personen (verschiedene Indikationen) nach einem Jahr Therapie von subjektiven Verbesserungen ihrer Symptome, vor allem Patienten mit chronischen Schmerzen. »In hochwertigen Studien gibt es allerdings nach wie vor keinen sicheren Wirkungsnachweis und auch die Risiken einer längerfristigen Behandlung sind kaum untersucht«, so die Deutsche Schmerzgesellschaft.
»Auch lassen die deutlich höher als erwarteten Verordnungsdaten – immerhin 90 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2021 – vermuten, dass ein wirtschaftlich interessanter Markt mit erheblichen Kosten für die Solidargemeinschaft entstanden ist«, so Professor Dr. Frank Petzke, Leiter der Schmerzmedizin an der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin Göttingen und Sprecher der Ad-hoc-Kommission »Cannabis in der Medizin« der Deutschen Schmerzgesellschaft.
Auf der anderen Seite hätten Schmerzmediziner die Freigabe für medizinische Zwecke 2017 begrüßt, vor allem für ihre bis dahin austherapierten Patienten. Leider habe es in letzter Zeit mehr Metaanalysen als neue Originalarbeiten zu der Thematik gegeben, doch erfreulicherweise liefen mittlerweile weitere Studien, zum Teil auch von deutschen Cannabis-Herstellern. Aus evidenzbasierter Sicht lasse sich eine generelle Zulassung derzeit noch nicht rechtfertigen, doch mit dem alleinigen Blick auf die Evidenz werde man keine befriedigende Lösung für die Patienten finden. Petzke wünscht sich hier eine Diskussion aller beteiligten Interessengruppen, sprach sich aber gegen einen breiten Einsatz von medizinischem Cannabis und stattdessen für ein gut definiertes Indikationsspektrum aus.
Die Anbietervielfalt schaffe einerseits verbesserte therapeutische Optionen, mache es andererseits Behandlern und Patienten aber schwer, das richtige Präparat auszuwählen, sagt Petzke. Dabei wünscht sich der Schmerzmediziner auch eine stabilere Liefersituation, vor allem bei den Blüten, wo die Konzentration der verschiedenen Inhaltsstoffe abhängig von der Sorte erheblich schwanke und ein Austausch nicht trivial sei. »Dabei sollten die Patienten möglichst stabil eingestellt werden«, so der Arzt. Die Heterogenität der Produkte sei zudem ein Problem für die klinischen Studien.
Mehr Forschung wünscht er sich auch in Bezug auf die Langzeitsicherheit einer cannabisbasierten Schmerztherapie. »Der Patient muss darüber aufgeklärt werden, dass wir hier nur Erfahrung aus dem illegalen Bereich haben«, so Petzke. Vor allem aber dürften andere multimodale Ansätze der Schmerztherapie nicht vernachlässigt werden. »Das haben wir in der Opioid-Krise gesehen«, sagte der Schmerzmediziner mit Blick auf die problematische Situation in den USA. Dort seien Patienten in die vermeintlich einfachere Eigentherapie mit Substanzen geflüchtet. Dies dürfe nicht auch bei Cannabis passieren.
»Patienten mit schweren Erkrankungen und Schmerzen sowie deren Ärzte haben ein gut nachvollziehbares Interesse an einer Behandlungsoption mit Cannabis«, so Petzke abschließend. Die geringe Evidenz und die fehlende Zulassung für viele potenzielle Indikationen erfordere aber auch eine kritische und rationale Auseinandersetzung mit Genehmigungsverfahren, sinnvollen Indikationen, tatsächlichem Nutzen, langfristigen Risiken und nicht zuletzt den Kosten der Behandlung.