Pharmazeutische Zeitung online
Cannabis

Vielstoffgemisch mit vielen Unbekannten

Darüber, wie Cannabis sich auf die Leber auswirkt, ist noch zu wenig bekannt. Der zunehmende Einsatz von medizinischem Cannabis erfordert eine intensivere Forschung zur Langzeittoxizität und zum Interaktionspotenzial.
Eva Unterwaditzer
13.04.2020  08:00 Uhr

Die Stammpflanze Cannabis sativa enthält eine Vielzahl von Stoffen, die eine Wirkung auf den menschlichen Körper haben können. Bislang sind rund 600 bekannt, rund ein Fünftel davon sind Cannabinoide, etwa vom THC-Typ (Δ8- und Δ9-Tetrahydrocannabinol), vom CBG-Typ (Cannabigerol), vom CBD-Typ (Cannabidiol) und vom CBN-Typ (Cannabinol). Zu den enthaltenen Nicht-Cannabinoiden gehören Flavonoide, Steroide, Phenanthrene, Fettsäuren und andere. Dazu kommt eine Variabilität in Bezug auf die unterschiedlichen Züchtungen.

Im Gegensatz zu den körpereigenen Endocannabinoiden, die aus Arachidonsäure gebildet werden und eine Fettsäure-Grundstruktur aufweisen, haben Phytocannabinoide eine C21-Terpenphenol-Grundstruktur. Sie werden daher anders verstoffwechselt und sind hinsichtlich einer möglichen Lebertoxizität anders zu bewerten.

Bislang ist medizinisches Cannabis nur bezüglich des THC- und CBD-Gehalts standardisiert. Die pharmakologischen Wirkungen dieser beiden Stoffe sind am besten erforscht, wobei CBD einige negative Wirkungen von THC antagonisieren soll, zum Beispiel die angstauslösende beziehungsweise psychotische. Es gibt allerdings auch bereits erste Studien zum Beispiel zu CBN und Δ9-Tetrahydrocannabiverin bezüglich ihrer zentralen und peripheren Wirkungen. Hier sollte es mit Zunahme des Kenntnisstands zu Anpassungen in der Standardisierung der Cannabiszüchtungen kommen, um Sicherheit und Wirksamkeit zu optimieren.

Verschiedene Applikationsformen

Die Wirkung wie auch die Toxizität werden zudem durch die unterschiedliche Pharmakokinetik der verschiedenen Applikationsformen beeinflusst. Die geringste Bioverfügbarkeit und langsamste Anflutung – und damit auch geringste Suchtgefahr – ergibt sich bei der oralen Aufnahme. Besser verfügbar sind Cannabinoide, wenn sie mit fettreicher Nahrung eingenommen werden. Das Rauchen von Joints ist für die Lunge toxischer als die Verwendung eines guten Vaporisators, der auch eine höhere Bioverfügbarkeit garantiert.

Cannabinoide werden rasch im Körper verteilt, reichern sich im Fettgewebe an und werden aus diesem dann sukzessive langsam freigesetzt, was zu einer stark verlängerten Wirkungsdauer führt. Auch der Körperfettanteil spielt daher bezüglich der Toxizität eine Rolle. Die Metabolisierung erfolgt in der Leber. Die zum Teil noch aktiven Metabolite werden über Urin und Fäzes ausgeschieden.

Heterogene Studienlage

Die Studienlage bezüglich der Hepatotoxizität von Cannabis ist sehr heterogen. Es gibt Hinweise darauf, dass die Aktivierung des CB1-Rezeptors, eventuell auch des CB2-Rezeptors, sowohl Fibrin- als auch Fetteinlagerungen in die Leber fördert. Bei Hepatitis-C-Infizierten verstärkt Cannabis die Hepatotoxizität der Viruserkrankung. Andererseits gibt es auch Studien, die belegen, dass Cannabis-Nutzer die Nebenwirkungen einer INF-basierten Hepatitis-C-Therapie besser vertrugen und ihre Medikamente daher regelmäßiger einnahmen. Aus der Notfallmedizin kennt man Akutintoxikationen mit reinem Cannabis vor allem bei Kindern, die es versehentlich verschluckt hatten. Die Symptomatik besteht hier vor allem in Erbrechen, Krämpfen, Atemdepression (zum Teil letal) und Blutdruckanstieg, nicht jedoch in einer akuten Lebervergiftung.

Die Toxizität entsteht indirekt: Da Cannabinoide über das Cytochrom-System der Leber abgebaut werden, besteht ein mögliches Interaktionspotenzial in Abhängigkeit von der Zusammensetzung der Cannabinoide im konsumierten Cannabis. Beispielhaft sei hier eine Hemmung von CYP3A4, CYP2D6 und CYP2C9 durch THC, CBD und CBN erwähnt, was zu einer Giftung von Medikamenten, die über diese Enzyme abgebaut werden, führen kann (Antidepressiva, Antimykotika, Chemotherapeutika, Immunsuppressiva und andere). CBD hemmt darüber hinaus noch die CYP-Subtypen 1A1, 1A2, 1B1, 2B6, 2C19 und 2C8.

Auch Transportproteine können gehemmt werden, zum Beispiel p-Glykoprotein (PGP). Medikamente wie Zytostatika werden darüber aus der Zelle hinausgeschleust. Ein besonders starker PGP-Hemmer ist CBD, aber auch THC und CBN inhibieren das Transportprotein. Wird PGP gehemmt, können sich Zytostatika in der Zelle anreichern und es kann zu Intoxikationen.

Die Studien zum Interaktionspotential von Cannabis sind noch lange nicht abgeschlossen. Die Sicherheit und Unbedenklichkeit von Cannabisblüten in Bezug auf die Leber ist noch weniger untersucht als die von zugelassenen Präparaten auf Cannabis-Basis. Hier besteht noch Forschungsbedarf.

Literatur bei der Verfasserin

Mehr von Avoxa