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Typ-1-Diabetes bei Kindern

Wie es nach der Diagnose weitergeht

Die Diagnose eines Typ-1-Diabetes trifft alle hart: das betroffene Kind, die Eltern und die ganze Familie. Meistens entgleist der Stoffwechsel abrupt und die Diagnose kommt scheinbar aus heiterem Himmel. Wie geht es jetzt weiter? Apotheker können die kleinen Patienten und ihre Eltern beratend begleiten.
Ilsabe Behrens
14.07.2019  08:00 Uhr

Diabetes mellitus Typ 1 ist in der Regel eine Autoimmunerkrankung, die durch einen absoluten Insulinmangel gekennzeichnet ist. Die Insulin-produzierenden Betazellen im Pankreas werden im Lauf der Manifestation vollständig zerstört. Es kommt zu einem Insulinmangelsyndrom mit den typischen Anzeichen Polyurie (häufiges Wasserlassen), Polydipsie (massiver Durst), Ketoazidose und Gewichtsverlust. Der Körper kann den Energiebedarf der Zellen aufgrund der verschlechterten intrazellulären Glucose-Aufnahme nicht mehr abdecken. Daher werden zur Energieversorgung vermehrt Fettreserven abgebaut und das Körpergewicht sinkt.

Die Erkrankung manifestiert sich erheblich schneller als ein Diabetes mellitus Typ 2, bei dem sich die Manifestation über Jahre bis Jahrzehnte hinzieht. Bei den meisten Kindern zeigen sich die Symptome abrupt; 15 bis 25 Prozent werden mit einer schweren ketoazidotischen Stoffwechselentgleisung ins Krankenhaus eingewiesen. In der Apotheke sollte man hellhörig werden, wenn Eltern über folgende Symptome bei ihrem Kind berichten: außergewöhnlicher Durst, Harndrang, plötzlich wieder (nächtliches) Einnässen, allgemeine Schwäche, Müdigkeit tagsüber, Kopfschmerzen verbunden mit Bauchschmerzen besonders morgens beim Aufstehen (Grund kann eine Ketonkörperbildung sein), plötzlich trockene, juckende Haut und zum Teil deutlicher Gewichtsverlust (8 bis 10 kg in drei bis vier Wochen).

Diese Symptome treten nicht immer alle zusammen auf und sind teilweise nur gering ausgeprägt. Daher kann sich die akute Phase über Wochen bis Monate unbemerkt hinziehen. Das Apothekenteam sollte bei solchen Symptomen oder der vagen Vermutung dringend den Besuch beim Kinderarzt anraten.

Pathogenese

An Typ-1-Diabetes leiden in Deutschland etwa 300 000 Menschen. Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter auftreten. Bei 50 bis 60 Prozent der Patienten manifestiert sie sich im Kindes- oder Jugendalter, bei etwa 30 bis 40 Prozent erst nach dem 18. Lebensjahr. Der Erkrankungsgipfel liegt bei fünf- bis achtjährigen Kindern.

Inzwischen sind mehrere Faktoren bekannt, die zusammentreffen müssen. Bei einer genetischen Disposition kann ein Ereignis, zum Beispiel eine banale Virusinfektion, die Entwicklung zellulärer und humoraler Immunphänomene triggern. Der Organismus bildet T-Lymphozyten und Autoantikörper gegen die Inselzellen. Es kommt zu einer immunmediierten Entzündung der Langerhansschen Inseln (Insulitis) mit der Folge der selektiven Zerstörung der Insulin-produzierenden Betazellen.

Pathogenetisch bedeutsam sind bestimmte Histokompatibilitätsantigene. Bei Typ-1-Diabetes treten gehäuft die humanen Leukozytenantigene HLA-DR3 und -DR4 auf. Bei der Diagnosestellung wird das Blut auf diese Antigene hin getestet.

Die diskreten Antikörper können bei 90 bis 95 Prozent der kleinen Patienten zum Zeitpunkt der Manifestation im Blut nachgewiesen werden:

  • Inselzellantikörper (ICA),
  • Glutamat-Decarboxylase-Antikörper (GADA),
  • Tyrosinphosphatase-IA2-Antikörper (IA2A) und
  • Insulin-Autoantikörper (IAA).

Daher wird das Blut nach der Diagnose umgehend auf diese Antikörper untersucht. Je nach Ergebnis ist dann eindeutig, ob es sich um einen durch die Autoimmunreaktion ausgelösten Diabetes mellitus Typ 1 handelt oder ob weiter nach den Ursachen gesucht werden muss. Klingt nach der Phase der immunausgelösten Insulitis die Immunreaktion ab, sind auch die Antikörper nicht mehr ausreichend nachweisbar. Die Autoantikörper zerstören die Inselzellen nach und nach. Symptomatisch wird die Erkrankung erst, wenn etwa 80 Prozent der Zellen abgetötet sind.

Primärprävention in Studien

Da Typ-1-Diabetes eine chronische Erkrankung mit schleichendem Verlauf und das Erkrankungsrisiko über ein Screening ermittelbar ist, wird intensiv an Möglichkeiten der Primärprävention geforscht. Vielversprechende Ansätze gibt es, wenn in den ersten sechs bis acht Lebensmonaten Kuhmilcheiweiß vermieden wird. Studien haben gezeigt, dass die Erkrankungszahl bei Risikopatienten (positiver Nachweis der relevanten Allele im Screening) geringer ist als ohne Intervention. Die Gabe von Nicotinamid oder Insulin in Tablettenform hat dagegen keine Vorteile in Studien gezeigt.

Neuere Untersuchungen überprüfen die Wirksamkeit von Insulinpulver (zum Essen verabreicht; Fr1da-Insulin-Interventions-Studie) und des Immunsuppressivums Abatacept (Abatacept-Studie). In die Studien eingeschlossen werden Patienten, bei denen mindestens zwei ICA nachgewiesen wurden, der Diabetes aber noch nicht manifest ist. Man versucht, die Betazellen zu »beruhigen« oder die Immunreaktion zu minimieren. Insgesamt sind alle Möglichkeiten zur Präventionen noch im Stadium von Studien und noch nicht geübte Praxis.

Honeymoon-Phase

Bei den allermeisten Patienten besteht zum Zeitpunkt der Diagnosestellung noch eine Restproduktion von körpereigenem Insulin. Dann lässt sich zu Beginn der Erkrankung mit relativ geringen Insulindosen, zum Beispiel zu den Mahlzeiten, eine gute Stoffwechseleinstellung erzielen. Häufig muss in den ersten Wochen eine sehr kleine Menge Basalinsulin (3 bis 4 I.E. alle zwölf Stunden) zugeführt werden, die nach einer Stabilisierungsphase weggelassen werden kann. Diese Phase wird als Remissions- (lateinisch: remittere, zurückführen) oder Honeymoon-Phase bezeichnet.

Im weiteren Verlauf (einige Wochen bis maximal zwei Jahre) nehmen mit dem endgültigen Versiegen der körpereigenen Insulinproduktion der Insulinbedarf und die Insulinabhängigkeit zu.

Eltern von Kindern mit Diabetes fragen oft, welche Ursachen zum Diabetes geführt haben könnten und vermuten eine Impfung als Auslöser. In verschiedenen Studien konnte jedoch kein Zusammenhang eindeutig nachgewiesen werden (laut Paul-Ehrlich-Institut, zum Beispiel www.pei.de). Das Kind sollte alle Schutzimpfungen gemäß den aktuellen STIKO-Empfehlungen erhalten; es gibt keine Kontraindikationen. Zusätzlich wird unbedingt eine regelmäßige Grippeschutzimpfung empfohlen.

Schulung beginnt im Krankenhaus

Nach der Diagnosestellung beginnt im Krankenhaus sofort die Schulung der Beteiligten. Der Patient steht im Vordergrund. Der praktische Umgang mit Blutzuckermessung und Insulinspritzen werden täglich geübt, bis das Kind beides ohne fremde Hilfe sicher ausführen kann. Für die Interpretation der Blutzuckerwerte und die richtige Berechnung der Insulinmenge (schnell wirkendes Insulin) ist lange Zeit die Unterstützung der Eltern und weiterer betreuender Personen nötig.

Während des stationären Aufenthalts gibt es verschiedene Themenblöcke, die sowohl mit dem Kind als auch den betreuenden Personen besprochen werden. Zum Teil erfolgen die Unterweisungen getrennt voneinander, da es für Kinder altersgerechtes Schulungsmaterial gibt. Die Inhalte werden in der Regel in 1:1-Schulungen kindgerecht vermittelt. Es geht um folgende Themenblöcke:

  • Erkrankungsverlauf, Formen der Insulintherapie, Verhalten im Notfall (Hypo- und Hyperglykämie), Hypoglykämie-Wahrnehmung, regelmäßige Kontrolluntersuchungen, zum Beispiel der Augen;
  • Ernährung: Berechnung der benötigten Insulinmenge, Spritzzeitpunkt, Anwendung von Korrekturfaktoren, optimale Ernährung, Umgang mit Süßigkeiten, Essen im Restaurant;
  • Lebenssituationen: Einfluss von Sport, Klassenfahrten; bei Jugendlichen: Diabetes und Pubertät, Einfluss von Alkohol/Rauchen; Antrag auf Schwerbehinderung, Berufswahl, Führerschein;
  • psychologische Begleitung der Familie und im Verlauf der Erkrankung auch des Patienten allein.

Nach dem Krankenhausaufenthalt ist eine regelmäßige Betreuung (mindestens einmal in drei Monaten) durch einen Facharzt für pädiatrische Diabetologie notwendig, der ebenfalls Themen wie Spritztechnik und Blutzuckermessung anspricht und vertieft. Weiterführende Schulungsunterlagen kann man auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie (AGPD, verankert in der Deutschen Diabetes Gesellschaft, DDG, und der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, DGKJ) als pdf herunterladen.

Häufigste Therapieform: ICT

Die intensivierte konventionelle Therapie (ICT) kommt zum Einsatz, wenn der Insulinbedarf des Körpers mehr oder weniger vollständig substituiert werden muss. Es ist die häufigste Therapieform bei Typ-1- und jüngeren Typ-2-Patienten mit dem Ziel der nahezu normoglykämen Stoffwechsellage. Die Therapie umfasst die ein- bis zweimal tägliche Gabe von Verzögerungsinsulin plus die bedarfsgerechte Injektion von schnell wirksamen Insulinen.

Das lang wirksame Verzögerungsinsulin deckt unabhängig von den aufgenommenen Kohlenhydraten den Grundbedarf des Organismus. Dies ist essenziell zur Aufrechterhaltung des Eiweiß- und Fettstoffwechsels; daher wird es auch als Basalinsulin bezeichnet. Der Bedarf ist relativ fix: Das Verzögerungsinsulin ist dann richtig dosiert, wenn der Blutzuckerwert ohne Kohlenhydratzufuhr stabil bleibt. So wird die passende Menge während des stationären Aufenthalts ermittelt.

Die Dosis des Verzögerungsinsulins wird nicht oder nur geringfügig variiert. Bei Bedarf wird sie erhöht, zum Beispiel bei fieberhaften Infekten, oder erniedrigt, zum Beispiel bei längerer sportlicher Belastung wie im Skiurlaub.

Zusätzlich werden präprandial Normalinsulin-Boli oder schnell wirksame Insulinanaloga verabreicht – jeweils angepasst an den aktuellen Blutzuckerwert und die aufzunehmenden Kohlenhydrat- oder Broteinheiten (KE oder BE). Dabei bezeichnet man als E:KE-Verhältnis diejenigen Insulineinheiten, die zugeführt werden müssen, um den Blutzucker nach 1 KE in den Ausgangsbereich zu senken. Ein Beispiel: Ein E:KE-Verhältnis von 2:1 bedeutet, dass 2 I.E. Normalinsulin für 1 KE benötigt werden.

Voraussetzung für die sichere Anwendung der ICT ist eine strukturierte Schulung von Kind und Eltern. Die Stoffwechselkontrolle erfolgt mindestens vier- bis fünfmal täglich vor den Mahlzeiten, vor dem Zu-Bett-Gehen, direkt nach dem Aufstehen und möglichst einmal monatlich gegen 3 Uhr nachts. Zu Beginn der Therapie wird dringend empfohlen, den Blutzucker jede Nacht zwischen 2 und 3 Uhr (wenn der Insulinbedarf am geringsten ist) zu kontrollieren und eventuell zu korrigieren. Bei Kindern kann es mehrere Monate dauern, bis die richtige Menge Basalinsulin gefunden ist. Hinzu kommt die anfängliche Remissionsphase, weshalb längerfristig nachts gemessen werden sollte.

Eine ICT bei Kindern und Jugendlichen erfordert eine enge Kontrolle und ständige Anpassung. Dafür bietet sie die größtmögliche Flexibilität im Tagesablauf. Zusammensetzung, Menge und Zeitpunkt der Mahlzeiten können frei gewählt und die Insulindosis an die körperliche Aktivität angepasst werden.

Insulinpumpentherapie

Die Insulinpumpentherapie (CSII) ist eine Sonderform der ICT. Dabei gibt eine Insulinpumpe ausschließlich schnell wirkende Insulinanaloga in zwei voneinander unabhängigen Raten in den Körper ab.

Die Basalrate (entspricht dem Verzögerungsinsulin) wird kontinuierlich zugeführt. Die Dosis wird einprogrammiert und automatisch abgegeben, zum Beispiel 0,8 Einheiten pro Stunde. Angepasst an den individuellen Grundbedarf kann sie stündlich variiert werden, zum Beispiel zur Beherrschung des Dawn-Phänomens, und bedarfsweise vorübergehend reduziert oder erhöht werden. Weiterhin können spezielle Profile für unterschiedliche Belastungssituationen, zum Beispiel am Wochenende oder für sportliche Wettkämpfe, programmiert werden.

Zu den Mahlzeiten werden Boli entsprechend dem aktuell gemessenen Blutzucker und der aufzunehmenden KE per Knopfdruck aufgerufen und abgegeben.

Die CSII wird vornehmlich bei Menschen mit Typ-1-Diabetes eingesetzt, wenn mit der ICT keine befriedigende Stoffwechsellage erreicht werden kann oder bei Auftreten eines ausgeprägten Dawn-Phänomens (Kasten). Bei sehr kleinen Kindern (ein bis vier Jahre) bietet die Insulinpumpe ebenfalls eine Alternative, denn diese können vor einer Mahlzeit noch nicht genau äußern, wie viel sie essen möchten. Dann können die Eltern oder Betreuer nach der Mahlzeit den passenden Bolus auslösen. Mit der Insulinpumpe kann auch der sehr geringe Bedarf an Basalinsulin exakt dosiert werden.

Die CSII wird auch bei Neigung zu schweren und rezidivierenden Hypoglykämien und Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörungen angewendet. Besonders vorteilhaft ist die CSII in Verbindung mit einer kontinuierlichen Glucosemessung (CGM).

Blutzucker messen und dokumentieren

Entscheidend für eine gute Stoffwechselführung sind die engmaschige Überprüfung des Blutzuckers (BZ) sowie die Dokumentation der Messergebnisse und der zugehörigen Parameter wie aufgenommene KE, Bolusgröße, Korrektureinheiten und Basalrate im »Diabetiker-Tagebuch«. Entsprechend strukturierte Tagebücher gibt es auch mit angepasstem Layout und Symbolen für jüngere Kinder.

Die Dokumentation aller Parameter dient der besseren Übersicht bei der Therapieoptimierung, zum Beispiel bei Anpassung des E:KE-Verhältnisses oder der Basalrate, aber auch dem Nachweis des sicheren Umgangs mit der Therapie. Bei einigen Messgeräten können neben den BZ-Werten auch weitere Parameter, zum Beispiel KE oder Bolus, gespeichert und per Software am PC ausgedruckt werden. Einige Hersteller bieten auch elektronische Tagebücher als App für das Smartphone an.

Die meisten Messgeräte zeigen das Blutzuckerverhalten im kapillären Vollblut in einem Messbereich von 20 bis 500 mg/dl an (nach ISO-Norm). Trendindikatoren zeigen zu hohe oder zu niedrige Werte an. Solche Trendindikatoren werden als individuelle Ober- und Untergrenzen für den Blutzucker eingestellt. Die Software ermittelt dann mit statistischen Methoden, ob die Blutzuckerwerte sich außerhalb der persönlich festgelegten Ober- und Untergrenze entwickeln. Bei einigen Geräten ist zusätzlich die Beta-Ketonkörper-Messung möglich.

Allerdings wird die Messgenauigkeit der Geräte meist überschätzt. Die Abweichung zur Labormethode und auch der Geräte untereinander kann 15 bis 20 Prozent betragen. Das erlaubt auch die ISO-Norm. Daher sollte man das Blutzucker-Messgerät nicht ständig wechseln. Das Ersatzgerät muss natürlich das gleiche Gerät sein (cave Teststreifen). Die Geräte sollten in der Regel kalibriert werden (per Kalibrierungsstreifen, -chip oder -code) oder sie kalibrieren sich automatisch bei Einführen des Teststreifens.

Kontinuierliche Messung

Neu und noch nicht bei allen Krankenkassen im Leistungskatalog gelistet, ist die kontinuierliche Glucose-Messung (CGM). Die Geräte messen mittels Sensor, zum Beispiel im Oberarm (Austausch nach etwa 14 Tagen), kontinuierlich die Glucosewerte in der Zwischenzellflüssigkeit des Unterhautgewebes und übertragen die Werte elektronisch auf ein Lesegerät. Anhand der dargestellten Kurvendiagramme können die Glucoseverläufe (Auf- und Abwärtstrends) Tag und Nacht beobachtet und rasch therapeutisch korrigiert werden.

Da der Glucosewert in der Zwischenzellflüssigkeit nicht genau dem Wert im Kapillarblut entspricht, wird etwa eine Woche lang parallel vier- bis fünfmal am Tag der Blutzucker gemessen, dokumentiert und der jeweilige Wert der CGM dazu notiert. So kann die Differenz ermittelt werden. In der Folge können Patient und Eltern sicherer einschätzen, wo der tatsächliche Wert liegt.

Inzwischen sind CGM-Systeme schon für Kinder ab vier Jahren zugelassen (Beispiel: freestyle libre®). In der Regel werden die Kosten noch vom Patienten getragen; einige gesetzliche Krankenversicherungen (GKV) übernehmen zumindest teilweise die Kosten.

Akutkomplikation Hypoglykämie

Die Hypoglykämie ist die häufigste Akutkomplikation unter einer Insulin-Behandlung. Per definitionem liegt eine Hypoglykämie bei einem Abfall der Plasmaglucose unter 50 mg/dl vor. Man unterscheidet mehrere Schweregrade (Tabelle). Milde Hypoglykämien werden unter konventioneller Therapie (CT) mit Mischinsulin durchschnittlich einmal pro Woche und unter der ICT zweimal pro Woche erwartet. Insgesamt sind dies 2000 bis 4000 Hypoglykämien im Leben mit Diabetes und Insulin.

Einstufung typische Symptome Schwere
asymptomatisch verläuft unbemerkt
mild, leicht Schwäche, Zittern, Schwitzen, Verwirrtheit, Unruhe keine Beeinträchtigung der Aktivität
moderat, mittelschwer Schwäche, Zittern, Schwitzen, Verwirrtheit, Unruhe ausgeprägte Symptomatik, aber noch reaktionsfähig
schwer getrübtes Bewusstsein, Bewusstlosigkeit, Koma, Krämpfe fremdhilfebedürftig
Tabelle: Formen der Hypoglykämie

Schwere Hyperglykämien kommen als akute Situation dagegen eher selten vor, da sie sich über Stunden entwickeln. Wird jedoch mindestens alle vier Stunden der Blutzucker kontrolliert, kann man rechtzeitig mit schnell wirksamem Insulin gegensteuern.

Bei einem Blutzuckerabfall kommt es zunächst zu adrenergen Symptomen in Form von Zittern, Schweißausbrüchen, Unruhe, Kribbeln um den Mund herum, Herzklopfen und Heißhunger. Verantwortlich dafür ist das Adrenalin-induzierte Alarm- und Warnsystem des Körpers. Nach der Schulung können meist auch kleine Kinder die adrenergen Symptome subjektiv gut bemerken. Sehr kleine Kinder können das aber oft nicht klar artikulieren.

Kommt es im weiteren Verlauf zu einer zerebralen Unterversorgung mit Glucose, treten sogenannte neuroglucopenische Symptome an die Stelle der adrenergen Symptome. Ältere Kinder und Jugendliche können diese teilweise noch registrieren; aber nicht mehr adäquat darauf reagieren. Die Symptomatik äußert sich zum Beispiel in Verschwommensehen, Agitiertheit, Aggressivität, Unruhe, verwaschener Sprache und nächtlichen Alpträumen. Im schlimmsten Fall mündet die Hypoglykämie innerhalb von 10 bis 20 Minuten in eine Bewusstlosigkeit, die mit Krampfzuständen einhergehen kann. Auch Paresen und Halbseitenlähmungen sind möglich.

Die Hypoglykämie-Wahrnehmung, also das Auftreten und Bemerken adrenerger Symptome, ist besonders deutlich bei einem plötzlichen Blutzuckerabfall ausgehend von einem hohen Niveau, zum Beispiel von 300 auf 160 mg/dl. Ein durchgängig niedriges Blutzuckerniveau oder häufige Hypoglykämien führen zu einem Nachlassen der Hypoglykämie-Wahrnehmung. Mit zunehmender Diabetesdauer nimmt auch die Fähigkeit zur hormonellen Gegenregulation (Glucagon) irreversibel ab.

Maßnahmen gegen die Hypoglykämie

Bei leichter bis mittelschwerer Hypoglykämie (Tabelle) gibt man dem Patienten sofort (!) eine oder besser zwei KE in Form von rasch resorbierbaren Kohlenhydraten wie Traubenzucker, Coca-Cola oder Fruchtsaft. Wegen der während einer Hypoglykämie bestehenden Gastroparese und wegen der schnelleren Resorption sollte Traubenzucker möglichst in flüssiger Form oder mit Wasser zugeführt werden. Kontraindiziert sind Diätprodukte wie Cola light oder Diätschokolade; ungeeignet sind eiweiß- und fettreiche Nahrungsmittel wie Milch oder Schokolade.

Einige Beispiele: 1 KE entsprechen 2,5 Plättchen Dextro-energy® oder sechs Stück Traubenzucker oder 100 ml Saft oder Cola. Ein Tube Jubin® (40 g Glucose-Saccharose-Lösung) entspricht 2,6 KE.

Bei einer schweren Hypoglykämie, bei der Fremdhilfe erforderlich ist, gelten folgende Sofortmaßnahmen:

  • Atemwege freihalten,
  • stabile Seitenlage,
  • niemals einem Bewusstlosen Flüssigkeit einflößen (Aspirationsgefahr),
  • falls vorhanden: Eine Ampulle Glucagon in das subkutane Fettgewebe oder in die Muskulatur spritzen, zum Beispiel in Bauch, Arm, Gesäß oder Bein,
  • Notarzt verständigen,
  • bei Erwachen des Patienten: sofort je zwei bis drei KE schnell und zwei bis drei KE langsam resorbierbare Kohlenhydrate wie Brot geben, um ein erneutes Abrutschen in die Hypoglykämie zu vermeiden,
  • nach dem Aufwachen: engmaschige Blutzuckerkontrollen über vier bis sechs Stunden.

Glucagon mobilisiert die im Körper vorhandenen Zuckerreserven (vornehmlich in der Leber) innerhalb von etwa zehn Minuten. Dadurch steigt der Blutzucker um etwa 20 bis 30 mg/ dl an. In der Regel reicht dies aus, um das Gehirn mit ausreichend Glucose zu versorgen, sodass der Betroffene zu sich kommt.

Glucagon wird in den alpha-Zellen des Pankreas produziert und ist der stärkste hormonelle Gegenspieler von Insulin. Das Fertigarzneimittel GlucaGen® HypoKit ist bei Raumtemperatur maximal 18 Monate haltbar. Bei einer schweren Unterzuckerung kann es subkutan auch von Laien gespritzt werden. Daher sollte man abgelaufene Kits nicht wegwerfen, sondern man kann sie als Demo- und Übungsmaterial für Begleitpersonen und Freunde verwenden. Nach Absprache, Zustimmung und Schulung kann ein HypoKit zusammen mit Traubenzucker in der Schule oder im Kindergarten deponiert werden.

Wie geht es in der Schule weiter?

Damit Kinder mit Typ-1-Diabetes wie alle anderen Kinder an Kindergarten und Schule teilnehmen können, müssen Erzieher und Lehrer gut informiert sein. Für sie bieten Diabetesberater und Diabetologen teilweise noch während des Klinikaufenthalts des Kindes eine mehrstündige Schulung an. Ebenso gibt es Veranstaltungen in der Schule für Lehrer und Mitschüler.

Wenn das Kind wieder zur Schule geht, gibt es allen Beteiligten Sicherheit, wenn ein Elternteil es in den ersten Schultagen und gegebenenfalls in der Mittagsbetreuung begleitet. Wenn das Mittagessen im Hort oder Kindergarten genutzt wird, benötigt man Lebensmitteltabellen (zum Beispiel von Diabetesambulanzen) und eine Waage. Die Eltern sollten in den ersten Tagen bei der Berechnung der richtigen Insulinmenge, die gespritzt werden muss, zumindest telefonisch beratend helfen. Der Caterer liefert auf Nachfrage auch den KE-Gehalt je Portion Mittagessen. Eine Mittagsbetreuung ist nur möglich, wenn das Kind selber spritzen oder die Insulinpumpe selber sicher bedienen kann.

Bei der ersten Klassenfahrt nach der Diagnosestellung ist ein Elternteil als Begleitperson sehr erwünscht. Ist das nicht möglich, müssen die begleitenden Lehrer gut geschult und bereit sein, diese Verantwortung zu übernehmen. Denn damit ist natürlich auch verbunden, dass das Basalinsulin am späten Abend korrekt gespritzt und der Blutzucker direkt vorher kontrolliert wird.

Übernachten bei Freunden

Steht eine Übernachtung bei Freunden an, muss das Kind bereits eine gewisse Sicherheit im Umgang mit dem Diabetes haben. Die Eltern und das befreundete Kind sollten wissen, was im Notfall zu tun ist und bei Blutzuckermessungen unterstützen können. Das gibt Sicherheit und lässt den Diabetes »normal« werden.

Je mehr befreundete Kinder einbezogen werden, desto eher erkennen sie, wenn es dem erkrankten Kind nicht gut geht und sich eine Hypoglykämie ankündigt. Sie sollten Traubenzucker dabeihaben und anschließend helfen, den Blutzucker zu messen.

Mit den Gasteltern sollte man besprechen, welche Lebensmittel bei der Insulinberechnung einbezogen werden und somit abgewogen werden sollten. Hilfreich ist auch, Süßigkeiten nicht offen herumstehen zu lassen. Nüsse jeglicher Art sind eine gute Alternative zum Naschen.

Lässt sich die »übliche Ernährung« auf Kinderpartys in Form von Eis, Kuchen, Limonade und Süßigkeiten nicht vermeiden, sollte das Kind eine in etwa passende (untere) Insulinmenge spritzen und stündlich den Blutzuckerwert kontrollieren. Für einige Stunden sind leicht erhöhte Werte akzeptabel. Das Kind kann recht ungezwungen alles mitmachen und es droht keine Unterzuckerung.

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