Wie Apotheken zu besserer Frauengesundheit beitragen können |
| Melanie Höhn |
| 19.09.2025 11:00 Uhr |
Welche Rolle die geschlechtersensible Perspektive in der Arzneimitteltherapie spielt, diskutierten Cornelia Wanke, Anja Konhäuser, Anja Klauke, Tilly Duderstadt und die Professorin Clarissa Kurscheid (v.l.n.r.). / © PZ/Alois Müller
Seit dem Contergan-Skandal in den 1960er-Jahren sei in der Forschung ausschließlich auf Männer gesetzt worden, führte Clarissa Kurscheid, Professorin für Gesundheitsökonomie und Geschäftsführerin des Forschungsinstituts figus, in das Thema ein. »Es wurde aber nicht daran gedacht, dass es Unterschiede gibt: Frauen reagieren aufgrund hormoneller Schwankungen ganz anders auf Medikamente und haben eine ganz andere Verstoffwechselung.« All dies sei jahrelang missachtet worden – »mit dem Effekt, dass bei Frauen ganz andere Herzinfarktraten auftreten oder sie die Medikamente nicht vertragen.«
Kurscheid hat sich deshalb dieses Thema auf die Fahnen geschrieben und ein großes Versorgungsforschungsprojekt abgeschlossen. Dabei wurden Leitlinien mit Blick auf geschlechtsspezifische Versorgung überprüft. »Mit dem Effekt, dass nur 60 Prozent der Ärztinnen und Ärzte bei einer Befragung im stationären Sektor das entsprechende Wissen zu geschlechtsspezifischer Versorgung vorweisen konnten«, berichtete die Expertin. »Es gibt noch viel zu tun.«
Tilly Duderstadt, Filialleiterin der Nordring Apotheke in Berlin, sieht beim Thema Frauengesundheit enormes Potenzial für die Apotheke vor Ort. Eine große Chance würde dabei derzeit in der elektronischen Patientenakte (ePA) liegen. Weitere Möglichkeiten seien die individualisierte und wissenschaftlich fundierte Beratung zu Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln sowie Blutuntersuchungen in der Offizin. Duderstadt schlägt ein neues Konzept in den Apotheken vor, in denen sich Zeit für Frauengesundheit genommen wird.
Die Digital-Health-Expertin kritisiert, dass viele zugelassene Arzneimittel hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Sicherheit nicht ausreichend an Frauen getestet wurden. »Arzneimittel werden von Frauenkörpern unterschiedlich verarbeitet und wir müssen häufig Nebenwirkungen melden. Das ist ein riesiges Problem in unserer Gesellschaft«, machte sie bei der Diskussion deutlich. In den meisten Leitlinien der Arzneimitteltherapie seien keine Dosierungsempfehlungen für Frauen enthalten und in den Lehrbüchern sei das weibliche Geschlecht kaum abgebildet. Medial werde das Thema vermehrt diskutiert und Frauen seien inzwischen immer informierter. Wissen aus Social Media werde präsenter bei ihren Kundinnen, »aber wir haben die Expertise«, betonte die Apothekerin. »Warum kommen die Frauen nicht direkt in die Apotheke?«
Frauengesundheitskompetenz könne dann aufgebaut werden, wenn ein Bewusstsein dafür geschaffen werde, dass man in der Apotheke vor Ort niedrigschwelligen Zugang und hochqualifizierte Beratung erhalte und dort mit Akademikerinnen intensiv über Frauengesundheit sprechen könne, betonte Duderstadt. Zudem müssten Vor-Ort-Apotheken als Gesundheitsdienstleister mehr in den Fokus rücken. »Ich frage mich, woher es kommt, dass wir nicht so richtig wahrgenommen werden«, stellte die Apothekerin in den Raum.
Mit den Ärztinnen und Ärzten gehe sie inzwischen interprofessionell ins Gespräch und versuche, immer wieder eine gute Lösung zu finden. »Aber wir merken, dass da eine Wissenslücke ist.« Apotheker und Ärzte müssten mehr in den Dialog treten, in ein »empathisches Miteinander« kommen und die jeweiligen Abläufe verstehen. Durch die elektronische Patientenakte werde es möglich, interdisziplinär besser zusammenzuarbeiten, erklärte sie.
Für Tilly Duderstadt ist klar: Der demografische Wandel muss effizienter gestaltet werden. Dazu brauche es eine Transformation im Gesundheitssystem, auch Künstliche Intelligenz (KI) müsse mehr in den Apothekenalltag integriert werden. Zudem seien »Mensch-zu-Mensch«-Dialoge in Zeiten von ChatGPT in der Vor-Ort-Apotheke essenziell.
Cornelia Wanke als Mitgründerin der Healthcare Frauen ist es ein großes Anliegen, das Thema Frauengesundheit weiter voranzubringen. »Unsere Befürchtung: Wenn es niemand macht, versandet das Thema«, sagte sie auf der Podiumsdiskussion. Es brauche die Perspektive der unterschiedlichen Akteure im Gesundheitswesen: »Darin liegt ein riesiges Potenzial, das man anpacken sollte und das können wir gemeinsam schaffen«, erklärte sie. Außerdem sei ein Ort vonnöten, bei dem alles zusammenlaufe, die Daten gesammelt werden können, wo die Ergebnisse in Medikationspläne umgesetzt werden und man kuratiert Angebote bekomme. »Die Apotheke vor Ort ist sehr nah dran an den Menschen«, so die Gesundheitsexpertin. »Aber wo fangen wir an, das Frauenthema zu lösen?«, fragte sie in die Runde und bezog sich zunächst auf das Stichwort Daten.
Daten und Technologie seien vorhanden, berichtete Anja Konhäuser, Co-Founderin & Partnerin der Digitalberatung Ommax. Doch vor allem die Datenqualität sei relevant, »algorithmische Diskriminierung« müsse vermieden werden: »Wenn ich Kunden geschlechterspezifisch unterstützen will, dann startet das mit den richtigen Daten.« Heutzutage sei man in der Lage, diese Daten zu beschaffen. Dabei sei es jedoch schwierig, der KI die Verantwortung komplett zu überlassen. Letztere müsse bei den Menschen bleiben, die KI dürfe nur als Tool genutzt werden. Es brauche menschliche Intelligenz, um künstliche Intelligenz zu steuern. »Deshalb führt kein Weg daran vorbei, die einzelnen Player wie Leistungserbringer, Krankenkassen und Patienten zusammenzubringen und gemeinschaftlich intersektoral ins Arbeiten zu kommen«, so Konhäuser.
Die Begleitung von Frauen, beispielsweise in den Wechseljahren, sei eine »riesige Chance« für die Vor-Ort-Apotheken, machte Konhäuser deutlich. »Ich sehe viele Apotheken als Leuchttürme und würde mir wünschen, dass flächendeckend jede Frau die Chance hat, eine Begleitung zu bekommen und gezielt für ihre persönliche Situation zu schauen, welche Mangelzustände herrschen.« Durch Begleitung bei der Medikation könnten viele chronische Erkrankungen verhindert werden.
Anja Klauke, Leiterin des Geschäftsfeldes Selbstmedikation beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), ergänzte, dass bei KI-Gesundheitsanalysen ein heilberuflicher Blick erforderlich sei. Sie bezeichnete die Apotheke vor Ort als eine »Chance für die Versorgung, die uns an vielen Stellen wegbricht«. Gemeinsam müsse überlegt werden, was eine Apotheke braucht, um die bestmögliche Unterstützung anzubieten. Auch für sie ist es unabdingbar, mehr Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung zu schaffen. Dabei sei die Apotheke vor Ort unerlässlich.