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Coronavirus-Impfstoff

Wer wird zuerst geimpft?

Weltweit werden die aktuellen Fortschritte der zurzeit vielversprechendsten Coronavirus-Impfstoffkandidaten genau beobachtet. Die Hoffnung, die eng mit einer Impfstoffzulassung einhergeht: Wiederkehr der Normalität in allen Bereichen. Doch wenn ein Impfstoff zugelassen wird, wie sehen die Pläne für die knappen Ressourcen aus? Welche Verteilungsstrategien werden derzeit diskutiert?
Charlotte Kurz
28.08.2020  14:27 Uhr

Die ganze Welt blickt auf die zügig voranschreitende Entwicklung der aktuell sieben Coronavirus-Impfkandidaten, die in der letzten Testphase sind. Insgesamt werden zurzeit 30 Impfstoffkandidaten im Rahmen von Studien mit Probanden erprobt. Nach Ansicht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) könnte Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres ein Impfstoff zugelassen werden. Doch es ist auch klar, dass die Zulassung nicht bedeutet, »dass dieser sofort für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen wird«, so das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf Anfrage der PZ. Damit stellt sich die Frage: Wenn es anfangs nur knappe Vorräte an Impfdosen gibt, wer erhält dann zuerst eine Impfung gegen SARS-CoV-2?

»Es ist Aufgabe der Ständigen Impfkommission (STIKO) zu priorisieren« heißt es weiter vonseiten des BMG. Am 17. April beauftragte das BMG die STIKO, die am Robert-Koch-Institut (RKI) angesiedelt ist, mit der Entwicklung eines sogenannten »risikoorientierten Priorisierungskonzepts« für eine mögliche Impfoption. Auf PZ-Anfrage bei der STIKO bestätigte eine Sprecherin die entsprechende Beauftragung durch das BMG. Seit Mai 2020 ist demnach eine STIKO-Arbeitsgruppe mit der Evidenzaufarbeitung befasst.

 »An der Entwicklung sind Expertengruppen unter anderem von Bund und Ländern, des PEI, des RKI und der STIKO sowie der Nationalen Lenkungsgruppe Impfen (NaLI) beteiligt. Zudem muss die aktuelle wissenschaftliche Datenlage zu den Impfstoffkandidaten berücksichtigt werden«, erklärte eine Sprecherin des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), die im Auftrag für die NaLI arbeitet. Allerdings sei es im Moment nicht einfach, dieses Konzept zu erstellen, so die LGL-Sprecherin: »Erst wenn ausreichend Daten zur Verfügung stehen, kann die STIKO am RKI eine medizinisch begründete Empfehlung zur Impfung von Risikogruppen auf Basis der vorliegenden Erkenntnisse erarbeiten.«

Medizinisches Personal zuerst

Weiterhin ist ein Kreis aus Public-Health Experten an der Beratung zu den ethischen Fragen rund um den Umgang mit dem Coronavirus und den entsprechenden Impfungen beteiligt. Das Kompetenznetz Public Health Covid-19 verfasste ein Policy Papier, auf das sich die NaLI beruft und empfiehlt darin eine Priorisierung von Personen im medizinischen und pflegerischem Bereich. Aber auch Menschen, die in anderen systemrelevanten Berufen, wie etwa bei der Feuerwehr, Supermärkten oder im öffentlichen Nahverkehr arbeiten, sollen priorisiert behandelt werden. 

Nach Aussage der Public Health-Experten, die sich im Zuge der Pandemie zusammengeschlossen hatten, sind zusätzlich besonders vulnerable Gruppen zu priorisieren, unter anderem Risikogruppen, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit einen schweren oder sogar tödlichen Covid-19-Verlauf erleiden würden. Insbesondere werden hier ältere Erwachsene oder Personen mit chronischen Krankheiten erwähnt. Aber auch finanziell und sozial benachteiligte Gruppen sollten Teil der Priorisierung sein. Die womöglich verbleibenden Restimpfstoffdosen müssen laut Kompetenznetz fair verteilt werden. Die Wissenschaftler sprechen sich gegen die Verteilung durch den freien Markt aus, denn dies würde zu einem starken Preisanstieg führen und befürworten daher eine zufällige Verteilung der Impfungen. Zwar werde es einige Personen geben können, die eine Impfung ablehnen. Eine Impfpflicht sollte aber nur als letzte mögliche Alternative eingeführt werden. Ein Impfzwang könnte das Vertrauen und die Akzeptanz der Gesellschaft in andere Public Health Maßnahmen erheblich mindern, so fürchten die Wissenschaftler.

Eine ähnlich mögliche Vorgehensweise bei der Priorisierung erklärt auf Anfrage der PZ eine Sprecherin des PEI. Zuerst müsse medizinisches Personal Zugang zu einem Impfstoff erhalten. Danach gäbe es zwei Optionen, zum einen könnten Risikogruppen priorisiert werden, zum anderen Berufsgruppen, die die öffentliche Ordnung sicherstellen, also insbesondere Polizisten und Lehrer. Bei sehr knappen Ressourcen müsste Deutschland sich also höchstwahrscheinlich für eine der beiden Optionen entscheiden. In Russland wurden nach der umstrittenen Zulassung eines Impfstoffs zuallererst medizinisches Personal und Lehrer geimpft, Staatspräsident Putin wählte also letztere Strategie.

Medizinethikerin fordert zusätzliches Gremium

Ein weiteres Gremium, das sich mit der Frage der Priorisierung von Impfstoffen befasst, fordert die Präsidentin des Deutschen Ethikrats und Professorin für Medizinethik Alena Buyx. Im NDR-Podcast »Das Coronavirus-Update« vom 6. August erklärte Buyx, dass eine zusätzliche, gesellschaftlich breit und interdisziplinär besetzte Kommission wichtig wäre, um hier eine transparente Kommunikationsstrategie auszuarbeiten. Um die Einführung eines Impfstoffs erfolgreich zu gestalten, wäre eine transparente Kommunikation insbesondere für Menschen wichtig, die aktuell skeptisch gegenüber Impfungen eingestellt sind, so Buyx.

Eine weitere Frage ist noch offen: Wer ist dafür verantwortlich, dass ein Impfstoff nach der Zulassung auch bei den Menschen ankommt? Die Verantwortlichkeit liegt hier auf den ersten Blick auf der europäischen Ebene. Die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten haben sich kürzlich dazu verpflichtet, nicht mehr bilateral mit Pharmaunternehmen über Impfstofflieferungen zu verhandeln. Dies übernimmt nun seit einiger Zeit bereits die EU-Kommission im Namen aller 27 Staaten. So berichtete zuletzt das Ärzteblatt. Auch die Impfallianz, für die der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Anfang Juni 2020 die Niederlande, Italien und Frankreich um sich versammelte und versuchte, erste Verhandlungen mit den Herstellern aufzunehmen, geht jetzt in der EU auf. »Eine zentralisierte Beschaffung von Impfstoffen auf EU-Ebene ist im Vergleich zu 27 Einzelverfahren deutlich schneller und einfacher«, heißt es in einer Mitteilung der EU-Kommission an das europäische Parlament und an den EU-Rat. Zudem würde das Vorgehen rivalisierende Ansätze unterbinden und Solidarität zwischen den EU-Mitgliedsstaaten schaffen. Allerdings erklärte das BMG, dass die Bundesregierung an den aktuellen Verhandlungen beteiligt sei.

EU schließt Verträge ab, Mitgliedsstaaten bezahlen

In mehreren Verhandlungen und Vorverträgen mit diversen Biotechnologie-Unternehmen sicherte sich die EU bereits einige Hundert Millionen Impfdosen. Mit dem Pharmakonzern AstraZeneca schloss die EU-Kommission zuletzt am Donnerstag einen Vertrag von bis zu 400 Millionen Impfdosen ab. Da aber beispielsweise der AstraZeneca-Impfstoff auf zwei Dosen je Impfung angewiesen ist, werden die vorbestellten Mengen bei den zurzeit knapp 448 Millionen EU-Bürgern kaum ausreichen. In der Kommissionsmitteilung ist zwar als Voraussetzung für den Abschluss eines Vorvertrags von der »Fähigkeit, 2020 und 2021 ausreichende Mengen des Impfstoffs liefern zu können« die Rede. Ob die Produktion eines neuen Impfstoffs aber so schnell in millionenfacher Menge angekurbelt werden kann, bleibt offen.

Die EU vereinbart mit den Herstellern jedoch nur eine Art Vorkaufsrecht, die Impfstoffe werden am Ende trotzdem von den Mitgliedsstaaten gekauft und anhand eines fairen Schlüssels aufgeteilt: »Die Aufteilung des Zugangs zu Impfstoffdosen zwischen den Mitgliedstaaten würde nach einem Verteilungsschlüssel anhand der Bevölkerungszahl erfolgen«, erläuterte die EU-Kommission in der Mitteilung vom 17. Juni. In dem Papier wird auch deutlich festgehalten, dass die »einkaufenden Mitgliedsstaaten« für die Bereitstellung und Verwendung der Impfstoffe verantwortlich sein werden. Es wird demnach also keine europäische Priorisierungsstrategie geben.

Nationale Priorisierungsstrategie in der Kritik

Dies sieht Wolfgang Greiner, Professor für Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement an der Universität Bielefeld, kritisch. Greiner war in derselben Folge des NDR-Podcasts zu Gast wie Buyx und erklärte dort: »Die EU kann über ihre Grenzen hinaus Dinge schon jetzt regeln und mit anderen Ländern überlegen nach welchen Kriterien international eine solche Verteilung durchgeführt werden sollte.« Ein solches Vorgehen würde sich der Wissenschaftler wünschen. Um international Kriterien für eine mögliche Priorisierung von Patienten aufzustellen, sei beispielsweise die WHO im Moment etwas geschwächt, andere Institutionen wie die UNO oder die EU hätten jedoch größeren politischen Einfluss, so Greiner.

Für die praktische Verteilung der Impfungen vor Ort sind dann letztlich die einzelnen Bundesländer zuständig. Personen in systemrelevanten Berufen könnten durch die Betriebsärzte geimpft, Risikogruppen würden im Rahmen der normalen Gesundheitsversorgung geimpft werden, informiert das Kompetenznetz Public Health Covid-19.

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