Wer wird zuerst geimpft? |
Medizinisches Personal, chronisch Kranke und Senioren werden vermutlich zu den ersten Gruppen gehören, die gegen das neue Coronavirus geimpft werden sollen. / Foto: Getty Images/Daniel Balakov
Die internationale Impfallianz Gavi rät Regierungen und Gesundheitsorganisationen zu frühen internationalen Vereinbarungen über die künftige Verteilung einer Immunisierung gegen das Coronavirus. So sollte es Regeln für die Reihenfolge von Impfungen geben, aber auch für eine faire internationale Verteilung, sagte der Gavi-Geschäftsführer und Epidemiologe Seth Berkley in einem Videogespräch mit deutschen Journalisten. Er rechne binnen 12 bis 18 Monaten mit der Verfügbarkeit eines Impfstoffes. Mit Glück und den bereits vereinfachten regulatorischen Auflagen könne es auch schneller gehen.
Berkley, der international als ein führender Experte für Impfprogramme gilt, gab einen Überblick über die aktuelle Situation. Von der Weltgesundheitsorganisation würden zum Thema Covid-19 aktuell 76 mögliche Impfstoffe genannt. Von diesen seien fünf bereits in klinischen Studien und 71 in der Phase von Vorstudien. «Die Wissenschaftsgemeinschaft ist nun wirklich angetreten», sagte er. Allerdings könnten nicht hunderte Impfstoffe in ausgedehnte klinische Test und eine Produktion einbezogen werden. Berkley nannte mehrere «wichtige Herausforderungen», für die möglichst internationale Übereinstimmung erzielt werden müsse. «Die erste ist es, genug Impfstoff für jeden bereitzustellen», sagte er. Dabei müsse es Prioritäten und einen Verteilmechanismus geben. Für ihn stünden Mitarbeiter der Gesundheitsdienste an oberster Stelle. Auch müsse verhindert werden, dass reiche Staaten alles aufkauften. Zudem müssten mit Blick auf hohe Opferzahlen bei anderen Krankheiten Routineimpfungen weltweit fortgesetzt werden.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte in einer Pressekonferenz am 17. April erklärt, dass sich die Ständige Impfkommission (STIKO) bereits jetzt damit befassen sollte, welche Gruppen zuerst geimpft werden sollen, sobald eine Vakzine zur Verfügung steht.
Berkley forderte, einen künftigen Impfstoff für einige Zeit zum öffentlichen Gemeingut zu erklären. «Natürlich bin ich nicht der politische Entscheider, aber wir sollten daran denken, einen solchen Impfstoff als weltweites öffentliches Gut zu betrachten.» Der öffentliche Sektor müsse deswegen auch die Entwicklung, Produktion und Verteilung finanzieren – mindestens für eine bestimmte Zeit. Danach könne der Impfstoff zurück an kommerzielle Produzenten gehen. Er könne dann mit unterschiedlichen Preisen an die Lage in einzelnen Staaten angepasst werden, aber auch mit einer «vernünftigen Gewinnmarge» versehen sein.
Der französische Impfstoffhersteller Sanofi-Pasteur warnte vor internationalen Spannungen. «Wer als erster den Impfstoff hat, kommt als erster aus der Wirtschaftskrise», sagte Firmenchef David Loew der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Die Wirtschaftsblöcke würden die Impfstoff-Entwicklung und Herstellung auf ihren eigenen Territorien fördern, doch ihre Ergebnisse nicht teilen. «Die Vereinigten Staaten werden sagen: Wir haben das finanziert, wir brauchen das jetzt für uns. Bei den Chinesen wird es ähnlich sein.»
Loew sagte, daher brauche auch Europa einen «Risikopakt», der seinen Herstellern Garantien und finanzielle Unterstützung zukommen lasse. Angesichts des großen Bedarfs drohten Engpässe bei Abfüll- und Verpackungsanlagen, bei Spritzen und bei einigen Rohstoffen.
Der Bundesentwicklungsminister Gerd Müller hat dazu aufgerufen, schon jetzt die Weichen für ein internationales Corona-Impfprogramm zu stellen. «Sobald wirksame Medikamente und ein Impfstoff gegen das Virus vorliegen, müssen alle Menschen auf der Welt gleichen Zugang dazu haben», erklärte der CSU-Politiker am Donnerstag. Müller kündigte an, weitere Finanzmittel für Gavi über die bereits zugesagten 600 Millionen Euro hinaus bereitstellen zu wollen. Deutschland hatte diesen Betrag für die schon bestehenden internationalen Impfkampagnen zugesagt. Diese dürften nicht vernachlässigt werden, warnte Müller. «Es liegt auch in unserem Interesse, dass wir Covid-19 weltweit bekämpfen. Sonst wird es in Wellen zu uns nach Deutschland und Europa zurückkehren», so Müller weiter.
Ob ein Corona-Impfstoff als Injektion verabreicht oder beispielsweise oral eingenommen werden müsse, sei derzeit unklar, sagte Gavi-Experte Berkley. Er selbst tippe auf eine Injektion in einer oder auch zwei Dosen. Man könne aber auch nicht ausschließen, dass ein solcher Impfstoff jährlich verabreicht werden müsse. Berkley wies auch auf die lange bestehenden Warnungen vor den Folgen einer Pandemie hin und sagte, nun erst verstünden viele Menschen die Bedeutung von Impfungen für den weltweiten Gesundheitsschutz.
Gavi wurde vor 20 Jahren beim Weltwirtschaftsforum in Davos aus der Taufe gehoben. Seit ihrer Gründung hat die Impfallianz nach eigenen Angaben über 760 Millionen Kinder geimpft und so mehr als 13 Millionen Leben gerettet.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.