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Tourette-Syndrom

Weniger Tics durch ein Wearable?

Forschende aus England haben ein Wearable für das Handgelenk entwickelt, das bei Menschen mit dem Tourette-Syndrom die Schwere und Häufigkeit der Tics reduzieren soll. Ein Prototyp erwies sich in einer Erprobungsstudie als vielversprechend. Er stimuliert den Medianusnerv im Handgelenk mit elektrischen Impulsen und soll dadurch die Aktivität von Hirnarealen regulieren, die an der Tic-Störung beteiligt sind. 
Laura Rudolph
13.03.2023  16:00 Uhr

Das Tourette-Syndrom ist eine neurologische Entwicklungsstörung. Sie geht mit unwillkürlich verursachten Lauten und Bewegungen, den sogenannten Tics, einher. Behandelt wird die Erkrankung etwa mit Verhaltenstherapie, Neuroleptika oder in schweren Fällen mit einer tiefen Hirnstimulation, die einen invasiven Eingriff in das Gehirn erfordert.

Nun haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Nottingham gemeinsam mit Mitarbeitenden des US-Unternehmens Neurotherapeutics ein Wearable in Form eines Armbands entwickelt, das die Tic-Häufigkeit und -Intensität bei Menschen mit dem Tourette-Syndrom nicht-invasiv senken soll. Das Gerät gibt in rhythmischen Abständen Elektroimpulse ab, die den Medianusnerv im Handgelenk stimulieren. Frühere Forschungsarbeiten aus Nottingham lieferten Hinweise, dass hierdurch die Aktivität bestimmter Hirnareale beeinflusst wird, die mit der Unterdrückung von Bewegungen assoziiert sind (DOI: 10.1016/j.cub.2020.04.044).

Ein Prototyp des Armbands zeigte in einer doppelblinden, scheinkontrollierten Erprobungsstudie im Vereinigten Königreich erste Erfolge, berichtete Professor Dr. Stephen Jackson von der Universität Nottingham und wissenschaftlicher Leiter bei Neurotherapeutics in einer Pressemitteilung der Universität: »Obwohl sich das Gerät noch in einem frühen Entwicklungsstadium befindet, sind die Ergebnisse der Studie äußerst ermutigend.«

Die Forschenden werteten Daten von 121 Menschen mit mittelschweren bis schweren Tics aus. 41 Teilnehmende erhielten durch das Wearable eine aktive Elektrostimulation, individuell nach Reizschwelle mit einer Intensität zwischen 1 und 19mA. Auf zwei Minuten Elektrostimulation folgte eine Minute ohne Stimulation. Dies wurde fünfmal wiederholt und dauerte insgesamt 14 Minuten pro Tag. 39 Patienten erhielten eine Scheinstimulation, bei der die Stromstärke nach 15 Sekunden spürbarer Stimulation stark gedrosselt wurde. Eine Kontrollgruppe mit 41 Patienten bekam ihre übliche Behandlung und stand auf einer Warteliste für das Wearable. Subkohorten jeder Gruppe wurden täglich gefilmt, um die Tic-Frequenz zu beurteilen.

Nach vierwöchiger Stimulation reduzierte sich die Tic-Frequenz in der aktiv stimulierten Gruppe auf der Skala »Yale Global Tic Severity Scale – Total Tic Severity Score« um durchschnittlich 7,1 Punkte (entsprechend 35 Prozent), in der Scheingruppe nur um 2,13 Punkte und in der Kontrollgruppe um 2,11 Punkte. Im Vergleich zur Scheinstimulation reduzierten sich die Tics pro Minute bei der aktiven Stimulation etwa um 25 Prozent. Das berichten die Forschenden in einem Preprint auf dem Server »Medrxiv«

»Dieses Gerät hat das Potenzial, das Leben von Menschen mit Tourette-Syndrom, für die es oft schwierig ist, ihre Tics zu kontrollieren, drastisch zu verbessern, indem es ihnen eine bessere Kontrolle über ihre Tics auf Abruf ermöglicht«, sagte Jackson. Innerhalb der nächsten drei Jahre soll ein kommerzielles Gerät samt App zur Verfügung stehen. Finanziert wurde die Forschung von der britischen Wohltätigkeitsorganisation Tourettes Action, dem NIHR Nottingham Biomedical Research Centre sowie von Neurotherapeutics.

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