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Retard- und Kombipräparate

Weniger Tabletten, bessere Compliance

Retardformulierungen und die Kombination mehrerer Wirkstoffe in einer Tablette sind Möglichkeiten, die Anzahl der Tabletten zu senken, die ein Patient einnehmen muss. Weil das die Compliance deutlich verbessert, empfiehlt es die neue europäische Bluthochdruck-Leitlinie. Galenisch sind solche Produkte aufwendig – und oft nicht gegeneinander austauschbar.
Annette Mende
25.01.2019  14:40 Uhr

Vergesslichkeit ist offenbar ein Grundzug des menschlichen Wesens. Denn je häufiger am Tag Menschen daran denken sollen, eine Tablette einzunehmen, desto seltener gelingt ihnen das langfristig. »Bei einer Dauertherapie mit nur einmal täglicher Einnahme sind etwa 85 Prozent der Patienten compliant. Sollen sie zwei- beziehungsweise dreimal täglich eine Tablette einnehmen, sind es nur noch 69 beziehungsweise 61 Prozent«, sagte Professor Dr. Rolf Daniels von der Universität Tübingen beim Fortbildungskongress Pharmacon in Schladming. Auch die Zahl der Tabletten pro Einnahmezeitpunkt beeinflusst die Compliance.

Dies ist für die Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen relevant, weil sie in aller Regel dauerhaft erfolgen muss und mehrere Wirkstoffe erfordert. Die neue europäische Leitlinie zur Behandlung der Hypertonie sieht deshalb den bevorzugten Einsatz von Zwei- oder sogar Dreifachkombinationen vor. Das ist sicher patientenfreundlich, doch rechtlich momentan noch schwierig: Die meisten antihypertensiven Kombipräparate sind nur für Patienten zugelassen, bei denen Monopräparate nicht ausreichend wirken. Folgt also ein Arzt der Leitlinie, drohen ihm Regresse – ein bisher noch ungelöstes Problem.

Ob ein Wirkstoff sich per se überhaupt für eine einmal tägliche Gabe eignet, entscheidet seine Eliminationshalbwertszeit. »Ab einer Eliminationshalbwertszeit von mehr als zwölf Stunden kann in aller Regel auf eine Retardierung verzichtet werden«, sagte Daniels. Ist die Halbwertszeit kürzer, kann ein verlängertes Dosierungsintervall nur durch Retardierung erreicht werden. Ein Beispiel für einen solchen Arzneistoff ist der Betablocker Metoprolol, dessen Eliminationshalbwertszeit drei bis fünf Stunden beträgt.

Unterschiede bei Metoprolol-Präparaten

Die retardierten Metoprolol-Präparate im Handel entfallen auf zwei Gruppen: solche mit nicht konstanter Freisetzung aus einer Matrixtablette, die als Metoprolol-Salz das Tartrat verwenden, und solche mit nahezu konstanter Freisetzung aus Retardpellets unter Verwendung des Succinat- oder Tartrat-Salzes. Bei der Matrixtablette erfolgt die Freisetzung, indem zunächst Wasser in die Tablette diffundiert, der Wirkstoff aufgelöst wird und dann durch die Poren der Matrix herausdiffundiert. Die extrahierte Matrix, also dem Anschein nach die intakte Tablette, bleibt zurück und wird mit dem Stuhl ausgeschieden. »Darauf müssen Sie die Patienten im Beratungsgespräch vorbereiten«, sagte Daniels.

Aus den Matrixtabletten wird mehr als 60 Prozent des Wirkstoffs innerhalb von zwei Stunden freigesetzt. Trotz des anschließenden deutlich flacheren Verlaufs der Freisetzungskurve scheiden sie damit für die einmal tägliche Gabe aus. Wird statt des Metoprolol-Tartrats das schlechter lösliche -Succinat verwendet und in Retardpellets verpackt, resultiert dagegen eine nahezu gerade ansteigende Freisetzungskurve. Die Hersteller kennzeichnen entsprechende Präparate mit Namenszusätzen wie ZOK (Zero Order Kinetik), ZOT (Zero Order Technologie), ZK (Zero Kinetik), ZNT (Zero Neue Technologie), NT (Neue Technologie), NK (Neue Kinetik) oder O.K. (Nullte Kinetik). Auch die extrahierten Pellets werden mit dem Stuhl ausgeschieden, sind aber so klein, dass sie normalerweise nicht bemerkt werden. Die konstante und lange Freisetzung aus den Retardpellets erlaubt die einmal tägliche Gabe entsprechender Präparate. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Tabletten teilbar sind.

Trotz dieser gravierenden Unterschiede wirft der Gemeinsame Bundesausschuss alle diese Präparate in einen großen gemeinsamen Topf mit der Aufschrift »Darreichungsformen mit verlängerter Wirkstofffreisetzung«. Ein generischer Austausch ist somit prinzipiell möglich, wenn auch natürlich nicht aus pharmazeutischer Sicht. Daniels verwies in diesem Zusammenhang auf die Leitlinie der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft zur guten Substitutionspraxis. Gegen den Austausch spreche auch, dass die Retardpellets-Präparate mit der Erhaltungstherapie nach Herzinfarkt und der Herzinsuffizienz mehr Indikationen haben als die Matrixtabletten.

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