Weniger Behandlungen als erwartet |
Annette Rößler |
05.08.2020 14:58 Uhr |
T-Zellen können Krebszellen erkennen und bekämpfen, wenn diese bestimmte Oberflächenmerkmale haben. Mit der CAR-T-Zelltherapie wird den Immunzellen dies künstlich beigebracht. / Foto: Fotolia/Juan Gärtner
Das Prinzip der CAR-T-Zelltherapie beruht auf der gezielten Manipulation von T-Zellen. Die Immunzellen werden einem Patienten entnommen, im Labor mit einem chimären Antigenrezeptor (CAR) versehen und zurückgegeben. Abhängig vom Oberflächenmerkmal, gegen das der CAR gerichtet ist, induzieren die T-Zellen anschließend eine Immunreaktion des Patienten bei bestimmten Zellen.
Die beiden bislang verfügbaren CAR-T-Zelltherapeutika Tisagenlecleucel (Kymriah®) und Axicabtagen-Ciloleucel (Yescarta®) richten sich gegen CD19 und sind zur Behandlung von Patienten mit rezidivierten beziehungsweise refraktären, aggressiven B-Zell-Lymphomen und rezidivierter beziehungsweise refraktärer B-Zell-Leukämie (ALL) zugelassen. Mit ihnen lassen sich bei schwer vorbehandelten Patienten Ansprechraten erzielen, an die vor Einführung dieser Therapieform nicht zu denken war. Laut der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) betragen sie bei Lymphompatienten etwa 30 Prozent und bei Leukämiepatienten 50 bis 70 Prozent. Kymriah, das erste CAR-T-Zelltherapeutikum auf dem deutschen Markt, erhielt deshalb auch 2019 den PZ-Innovationspreis.
Die Beschreibung der Therapie lässt bereits erahnen, wie kompliziert eine Behandlung mit CAR-T-Zellen ist. Die Vorbereitung des Patienten, die Entnahme der T-Zellen, der Transport in das Labor, wo die Manipulation stattfindet, die Manipulation selbst sowie anschließend Rücktransport und Infusion der CAR-T-Zellen sind alles Schritte, die präzise aufeinander abgestimmt werden müssen. All das muss beantragt, genehmigt und dokumentiert werden. Dabei gibt es keinerlei Fehlertoleranz, denn das Überleben des Patienten hängt davon ab und zudem sind die Therapien sehr teuer. Deshalb dürfen CAR-T-Zelltherapien auch nur von Behandlungsteams verabreicht werden, die eine spezielle Schulung absolviert haben.
Der hohe administrative und regulatorische Aufwand hat laut DGHO dazu geführt, dass Kymriah und Yescarta erst etwa ein Jahr nach ihrer Markteinführung in Deutschland flächendeckend verfügbar waren. Anders als in anderen europäischen Ländern mit stärker zentralistisch organisierten Gesundheitssystemen, wo nur wenige Zentren für die Therapie zugelassen wurden, gibt es demnach hierzulande aktuell 26 Zentren, in denen eine CAR-T-Zelltherapie möglich ist. Die Fachgesellschaft hat sich bei ihnen mit einer Online-Umfrage erkundigt, wie häufig sie die CAR-T-Zelltherapie bereits eingesetzt haben und welche Erfahrungen sie damit gemacht haben.
In den Verfahren zur Frühen Nutzenbewertung hatte der Gemeinsame Bundesausschuss geschätzt, dass pro Jahr etwa 600 Lymphompatienten und zwischen 50 und 60 Leukämiepatienten für eine CAR-T-Zelltherapie infrage kommen. Laut DGHO liegen die bisherigen Zahlen deutlich unterhalb dieser Schätzungen. Das könne zum einen an logistischen Problemen in der Einführungsphase liegen, zum anderen aber auch an einer strengen Indikationsstellung. »Zusammen mit den CAR-T-Zellen haben wir gerade bei den aggressiven Lymphomen in den letzten Jahren erfreulicherweise mehrere neue Arzneimittel mit Heilungschancen in die Hand bekommen. Die Kunst besteht in der Wahl der richtigen Therapie für den richtigen Patienten zum richtigen Zeitpunkt«, so Professor Dr. Lorenz Trümper, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der Klinik für Hämatologie und Medizinische Onkologie der Universitätsmedizin Göttingen.
Die Manipulation des Immunsystems kann schwerwiegende Nebenwirkungen haben, etwa einen sogenannten Zytokinsturm, eine lebensgefährliche Überreaktion des Immunsystems. In der Praxis kamen aber solche Nebenwirkungen seltener vor als zuvor befürchtet. Laut DGHO-Umfrage mussten 14 Prozent der behandelten Patienten intensivmedizinisch versorgt werden und 3 Prozent starben. Mittlerweile ist die frühzeitige Identifikation und der Umgang mit Nebenwirkungen der CAR-T-Zelltherapie in Leitlinien beschrieben. Der Interleukin-6-Antikörper Tocilizumab (Roactemra®) hat mittlerweile auch eine Zulassungserweiterung zur Behandlung des Zytokinsturms bei einer CAR-T-Zelltherapie erhalten.
Mit zunehmender Vertrautheit mit der CAR-T-Zelltherapie sei in den nächsten Jahren mit einem Anstieg der Patientenzahlen zu rechnen, so die DGHO. Dabei wird sich das Spektrum der behandelbaren Erkrankungen vermutlich bald erweitern: Mit Idecabtagen-Vicleucel befindet sich ein Wirkstoff zur Behandlung von Patienten mit Multiplem Myelom bereits in fortgeschrittener klinischer Prüfung. Die DGHO rechnet mit einer Zulassung spätestens Anfang des kommenden Jahres.