Was Tumorzellen antreibt |
Theo Dingermann |
06.02.2020 15:32 Uhr |
Welche Genveränderungen lassen normale Zellen entarten? Diese Frage ging ein Konsortium aus mehr als 1300 Forschern nun umfassend an. / Foto: Foto: Fotolia/ktsdesign -
Tumorgenome umfassend molekular zu analysieren, war das Ziel des internationalen Großprojekts. Das Forscherkonsortium der Initiative Pan-Cancer Analysis of Whole Genomes (PCAWG), an der sich etwa 1.300 Wissenschaftler beteiligen, analysierte detailliert mit bioinformatischen Methoden 2.658 Ganzkrebsgenome und die dazu passenden Normalgewebe. Die Proben entstammten 38 Tumorarten. Die ersten Ergebnisse der PCAWG-Arbeitsgruppen wurden nun zeitgleich in 23 Artikeln in »Nature« und anderen Fachzeitschriften publiziert. Sie machen es immer wahrscheinlicher, dass Medikamente zur Tumortherapie künftig vermehrt anhand molekularer und weniger auf Basis anatomisch-pathologischer Parameter ausgewählt und eingesetzt werden.
Analysiert wurden Datensätze von zwischenzeitlich mehr als 22.000 Tumorgenomen, die im Rahmen zweier konsortionaler, transnationaler Forschungsprogramme bereitgestellt werden: dem Internationalen Krebsgenom-Konsortiums (ICGC) und dem »The Cancer Genome Atlas«-Projekt. Dabei interessierte die Forscher auch die Frage, welche genetischen Veränderungen oder welches Muster an Mutationen die Krebsentstehung und das Tumorwachstum antreiben. Im Durchschnitt wurden in den Krebsgenomen in kodierenden und nicht kodierende Sequenzelementen vier bis fünf Treibermutationen gefunden, also Mutationen, die für das maligne Wachstum der Tumorzellen verantwortlich sind. In etwa 5 Prozent der Fälle blieb die Suche nach molekularen Treibern jedoch erfolglos, was darauf hindeutet, dass noch nicht alle Treibermutationen identifiziert sind. Diese Elemente zu kennen, ist extrem wichtig, da sie als primäre Ziele für moderne Krebstherapeutika die Entscheidungsfindung für eine bestimmte Therapie mitbestimmen.
»Wenn Krebs entsteht, laufen mehrere Programme der Zelle gleichzeitig aus dem Ruder: Die Zellteilung wird angekurbelt, die Zellen müssen dem Zelltod Apoptose entgehen, Gewebegrenzen werden durchbrochen und das Immunsystem wird ausgetrickst. Für all diese krebstypischen Eigenschaften bedient sich jeder individuelle Tumor aus einem ganzen Pool an krebstreibenden Erbgutveränderungen«, erklärt Genomforscher Professor Dr. Peter Lichter vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in einer Mitteilung des Forschungszentrums. Mit den Genomdaten von Hirntumoren bei Kindern und von Prostatakrebs bei jüngeren Männern trugen DKFZ-Forscher maßgeblich zum ICGC bei. Für die Analyse bösartiger Lymphome zeichnete außerdem die Universität Kiel verantwortlich.
Aufgabe der verschiedenen Arbeitsgruppen der PCAWG-Initiative war es, die Mutationsereignisse unter verschiedenen Fragestellungen zu bewerten und zu klassifizieren: Welche Mutationen betreffen nicht proteinkodierende Bereiche des Erbguts? Welche Spuren hinterlassen bestimmte mutagene Einflüsse oder infektiöse Erreger im Genom? Wie verläuft die Evolution der Tumoren? Welche Mutationen verleihen den Tumorzellen Unsterblichkeit? Welche Konsequenzen haben bestimmte Mutationen für die Expression wichtiger Proteine?