Was steckt in der Pipeline? |
Theo Dingermann |
14.08.2022 08:00 Uhr |
Wegen der Fülle von Hinweisen, dass metabolische Prozesse das Altern stark beeinflussen, ist die sogenannte somatotrope Signalachse als Quelle für möglicherweise pharmakologisch interessante Zielstrukturen in den Fokus gerückt.
Ausgehend von Signalen, die zunächst zur Ausschüttung von Wachstumshormon aus dem Hypophysenvorderlappen und dann zur Aktivierung des Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktors führen, erlangt das Protein mTOR besondere Bedeutung. Viel Evidenz existiert, dass sich seine Hemmung tatsächlich positiv auf den Alterungsprozess auswirkt (Grafik 1). Es ist bekannt als Zielstruktur des Immunsuppressivums Rapamycin, aber mTOR hat natürlich auch physiologische Wirkungen. Insbesondere fungiert mTOR als Enzym, das sich im Zytoplasma mit mehreren anderen Proteinen zu einem Komplex namens TORC1 verbindet. Dieser überwacht eine ganze Reihe von Zellaktivitäten, die mit Wachstum zu tun haben.
Aber in erster Linie dient TOR als Nährstoffsensor. Bei ausreichend Nahrung steigt die Aktivität von mTOR, woraufhin die Zelle die Proteinproduktion ankurbelt und sich zu teilen beginnt. Unter schlechteren Bedingungen hingegen wird die mTOR-Aktivität heruntergefahren.
Allgemein sinkt bei allen potenziell lebensbedrohlichen Zuständen die TOR-Aktivität, wodurch die Proteinproduktion und Teilungsaktivität gehemmt werden. Im Extremfall beginnen vorgeschädigte Zellen, sich selbst zu verdauen. Diesen Prozess bezeichnet man als Autophagie. Die dadurch freigesetzten Ressourcen können in die DNA-Reparatur oder andere Schutzmaßnahmen gesteckt werden.
Fasten, die Aktivierung der AMP-Kinase (AMPK) und die Aktivierung der Sirtuine: Alle wirken hemmend auf mTOR. Metformin verstärkt diesen Effekt, da es die AMPK aktiviert. Eine aktivierte AMPK im Zusammenspiel mit einer Hemmung von mTOR versetzt den Organismus in einen katabolen Zustand, in dem komplexe Stoffwechselprodukte zu einfachen Molekülen abgebaut werden. Und das scheint ein gesundes Altern zu fördern.
Der prominente Alternsforscher Professor Matt Kaeberlein, Direktor des Healthy Aging and Longivity Research Instituts an der University of Washington sowie Direktor des Nathan Shock Centers of Excellence in the Biology of Aging, hat versucht, die große Heterogenität der experimentellen Alternsforschung für die Maus zu ordnen. Danach zeigen der Einsatz von Rapamycin und eine 30-prozentige Kalorienreduktion die deutlich größten Effekte (Grafik 2). Im Mittelfeld rangieren sogenannte Senolytika (die die Apoptose von seneszenten Zellen selektiv induzieren können) wie Dasatinib plus Quercetin sowie Metformin. Enttäuschend geringe Effekte beobachtet man bei einer Supplementation mit NAD+ (zur Aktivierung der Sirtuine) und mit Alfa-Ketoglutarat, das auch als Supplement verwendet wird.
Grafik 2: Interventionen zur Verlängerung der Lebensspanne bei Mäusen. Die Grafik gibt einen Überblick über die Ergebnisse sehr unterschiedlicher Studien; modifiziert nach (7). / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Um die Anwendung beim Menschen effizienter voranzutreiben, regte aktuell eine Gruppe amerikanischer und französischer Forscher die Schaffung eines standardisierten Verfahrens an, nach dem zugelassene Medikamente im Sinn eines Repurposings auf ihr gerontowissenschaftliches Potenzial hin untersucht werden (5).
Sie verwenden ein Zwölf-Punkte-System, das zu gleichen Teilen zwischen Grundlagen- und klinischen Studien (jeweils sechs Punkte) aufgeteilt ist. Von den sechs Punkten zur Bewertung grundlegender oder präklinischer Faktoren wurden jeweils bis zu zwei Punkte für die Beeinflussung von Alterungsmerkmalen, die Verbesserung der präklinischen Gesundheitsspanne und die präklinische Lebensdauer vergeben (Tabelle). Von den sechs Punkten für die Bewertung der klinischen Aspekte entfallen jeweils bis zu drei Punkte für die Gesundheit und für Mortalitätsdaten. Hinsichtlich der Gesundheit muss das Medikament nachweisen, dass es auf mindestens eine altersbedingte Krankheit oder einen pathologischen Prozess abzielt, für den es nicht zugelassen ist. Bezüglich der Mortalität muss das Medikament nachweisen, dass es die Gesamtmortalität oder den Tod durch eine Krankheit, für die es nicht zugelassen ist, senkt. In diesem Ranking schneiden SGLT-2-Inhibitoren und Metformin mit Abstand am besten ab (Tabelle).
Die eingangs gestellte Frage, ob was in der Anti-Aging-Pipeline steckt, muss momentan wohl so beantwortet werden: Einiges – aber es ist noch eine beachtliche Strecke zu gehen.
Gerotherapeutika | Alterungsmerkmale | Präklinische Gesundheitsspanne | Präklinische Lebensdauer | Verbesserung der Gesundheit | Verzögerung der Mortalität | Score |
---|---|---|---|---|---|---|
SGLT-2-Inhibitoren | 2 | 2 | 2 | 3 | 3 | 12 |
Metformin | 2 | 2 | 1 | 3 | 3 | 11 |
Acarbose | 2 | 2 | 2 | 3 | 0 (keine Daten) | 9 |
Rapamycin/Rapaloge | 2 | 2 | 2 | 3 | 0 (keine Daten) | 9 |
Methylenblau | 2 | 2 | 2 | 3 | 0 (keine Daten) | 9 |
ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Blocker | 2 | 2 | 1 | 3 | 8 | |
Dasatinib + (Quercetin) | 2 | 2 | 1 | 1 | 0 (keine Daten) | 6 |
Acetylsalicylsäure | 2 | 2 | 2 | 0 (keine Daten) | 0 (keine Daten) | 6 |
N-Acetyl-Cystein | 1 | 2 | 2 | 0 (keine Daten) | 0 (keine Daten) | 5 |
Theo Dingermann studierte Pharmazie in Erlangen. Nach Promotion und Habilitation war er bis 2013 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Jetzt ist er Seniorprofessor der Universität. Die Apotheker kennen ihn als Referenten und Autor von wissenschaftlichen Fach- und Lehrbüchern. Der PZ ist er seit April 2010 als externes Mitglied der Chefredaktion, seit Frühjahr 2019 als einer von drei Chefredakteuren und aktuell als Senior Editor verbunden.