Was steckt in der Pipeline? |
Theo Dingermann |
14.08.2022 08:00 Uhr |
Gesundes körperliches Altern kann man in Grenzen selbst beeinflussen – vielleicht auch einmal pharmakologisch. Die Lebenszufriedenheit hängt überwiegend von anderen Faktoren ab. / Foto: Shutterstock/LeventeGyori
Im letzten Jahrhundert ist die Lebenserwartung in großen Teilen der Welt drastisch gestiegen. Allerdings fühlen sich Menschen im Schnitt nur während der ersten Hälfte des Lebens gesund. Während der anderen Lebenshälfte plagen sie mehr oder weniger ausgeprägte gesundheitliche Einschränkungen. Das galt vor 100 Jahren, als die Lebenserwartung noch bei etwa 54 Jahren lag, ebenso wie heute, wo die Menschen im Schnitt 73 Jahre alt werden (1).
Altern gilt als größtes Risiko für den fortschreitenden Verlust der physiologischen Integrität. Chronische Krankheiten wie Osteoporose, Typ-2-Diabetes, Demenz und Krebs betreffen vor allem ältere und alte Menschen. Und sie treten selten isoliert auf. Vielmehr steigt das Risiko für Multimorbiditäten nach dem 70. Lebensjahr exponenziell. Das physische Altern selbst wird derzeit nicht als pathologischer Prozess angesehen. Doch es wird immer klarer, dass viele »Alterskrankheiten« übergeordnet reguliert werden.
Dem versuchen gerontowissenschaftlich geleitete Therapieansätze Rechnung zu tragen. Ihr Ziel ist es, den Beginn und das Fortschreiten mehrerer chronischer Erkrankungen zu verzögern, indem grundlegende biologische Wege des Alterns beeinflusst werden.
In einem in »Cell« im Jahr 2013 publizierten Übersichtsartikel werden neun prominente Merkmale definiert, die den fortschreitenden Verlust der physischen Integrität während eines Alterungsprozesses charakterisieren (2). Aus pharmazeutischer Sicht sind diese »Hallmarks« (Kennzeichen) deshalb so interessant, da hier potenzielle pharmakologische Angriffspunkte zu finden sein könnten, über die sich Alterungsprozesse vielleicht modulieren lassen. Im Einzelnen sind dies:
► Zunehmende genomische Instabilität
Im Lauf eines durchschnittlich 80-jährigen Lebens reichern sich in der DNA Fehler an, die durch äußere physikalische oder chemische Stressoren ebenso wie durch innere Mechanismen wie Kopierfehler induziert werden. Vor allem lässt mit zunehmendem Alter die Fähigkeit nach, die genomische Instabilität durch Reparatur auszugleichen beziehungsweise zu kontrollieren. Zur genomischen Instabilität tragen auch Defekte der Zellkernarchitektur bei; besonders betroffen sind beispielsweise Komponenten der wichtigen Kernhülle.
► Allmählicher Telomerverschleiß
Die Telomere, also die Enden der einzelnen Chromosomen, werden natürlicherweise mit jeder Zellteilung kürzer. Erreichen sie eine bestimmte Mindestlänge, können sich Zellen nicht mehr teilen. Damit verlieren sie ihre Funktionen und sterben ab.
► Verlust der Proteostase
Der allmähliche Telomerverschleiß gehört zu den wichtigen molekularen Prozessen des Alterns. Werden die Enden der einzelnen Chromosomen immer kürzer, sterben die Zellen irgendwann ab. / Foto: Adobe Stock/freshidea
Unter Proteostase wird das Gleichgewicht der Strukturdynamik der Proteine im Körper verstanden. Bekanntlich ist für die korrekte Funktion eines Proteins eine einzigartige dreidimensionale Struktur (Tertiärstruktur) verantwortlich. Diese ist jedoch teilweise recht locker nur durch schwache Wechselwirkungen zwischen einzelnen Strukturregionen stabilisiert. Daher verfügen alle Zellen über Kontrollmechanismen, um die Stabilität und Funktionalität ihrer Proteome und somit die Proteostase zu erhalten. Dazu gehören Mechanismen zur Stabilisierung korrekt gefalteter Proteine, beispielsweise durch Hilfsproteine wie Chaperone, und zum Abbau von Proteinen durch das Proteasom oder das Lysosom. Diese Prozesse sollen sicherstellen, dass die Strukturen fehlgefalteter Polypeptide korrigiert oder irreparabel denaturierte Proteine vollständig abgebaut und entfernt werden.
Mit zunehmendem Alter arbeiten die Kontrollmechanismen weniger aktiv und zuverlässig, weshalb das Risiko gerade auch für neurodegenerative Erkrankungen so steil ansteigt, da hier beispielsweise mit den Alzheimer-Plaques falsch gefaltete Proteine eine besondere pathologische Bedeutung haben.
► Gestörte Nährstoffsensitivität
Die somatotrope Achse bei Säugetieren besteht aus dem Wachstumshormon (GH), das vom Hypophysenvorderlappen produziert wird, und seinem sekundären Vermittler, dem Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor (IGF-1), der als Reaktion auf eine GH-Ausschüttung von vielen Zelltypen produziert wird. Der intrazelluläre Signalweg von IGF-1 ist identisch mit dem von Insulin, das die Zellen über das Vorhandensein von Glucose informiert. Zu den Zielen dieses in der Evolution sehr gut konservierten Signalwegs gehören bestimmte Transkriptionsfaktoren und die mTOR-Komplexe, von denen man annimmt, dass sie maßgeblich am Alterungsprozess beteiligt und in fast allen Modellorganismen, die in der Altersforschung eingesetzt werden, konserviert sind (2).
► Mitochondriale Dysfunktion
Wenn Zellen und der Organismus altern, nimmt auch die Effizienz der Atmungskette ab, wodurch der Elektronenverlust steigt und die ATP-Erzeugung abnimmt. Der Zusammenhang zwischen mitochondrialer Dysfunktion und Alterung wird seit Langem vermutet, aber die Entschlüsselung der Details ist eine große Herausforderung.
Eine mitochondriale Dysfunktion macht sich besonders in Nerven- und Muskelzellen bemerkbar, die bis zu 6000 Mitochondrien pro Zelle enthalten. Die nachlassende mitochondriale Energiebildung und eine chronische Entzündungsbereitschaft über aktivierte COX-Enzyme führen unter anderem zur Schwächung der Muskelkraft und der Ausdauer bis hin zu Muskelschwund (Sarkopenie), chronischer Infektanfälligkeit oder zum Nachlassen der Sehkraft bis zur Erblindung. Somit ist die Aufrechterhaltung der mitochondrialen Qualitätskontrolle entscheidend wichtig, um Alterungsprozessen zu begegnen. Denn mit dem Altern akkumulieren geschädigte Mitochondrien und das Gleichgewicht zwischen der Bildung neuer und der Beseitigung geschädigter Mitochondrien wird auf Kosten der Lebenserwartung gestört.
► Stammzellenerschöpfung
Mit dem Alter verlieren Stammzellen ihre Fähigkeit, sich zu teilen, mit der Konsequenz, dass diese wichtige Quelle der Zellregeneration langsam versiegt. Letztlich führt das dazu, dass aussortierte Zellen in den Geweben nicht mehr adäquat ersetzt werden können.
► Veränderte interzelluläre Kommunikation
Die Integrität der menschlichen Physiologie basiert auf einer komplexen Aufgabenverteilung. Sie ist nur dann gewährleistet, wenn zwischen den etwa 200 verschiedenen Zelltypen, in denen die Funktionsprogramme der Organe ablaufen, intensiv und korrekt »kommuniziert« wird. Kommt es zum Beispiel bei Neurotransmitter- oder elektrischen Übertragungen zu Störungen, resultieren Funktionsverluste mit teils drastischen Auswirkungen auf das physiologische Altern. Folge dieser Kommunikationsstörungen sind beispielsweise zunehmende Entzündungsreaktionen und eine abnehmende Immunüberwachung.
► Zelluläre Seneszenz
Im Fokus vieler Grundlagenforscher stehen alternde Zellen und Störungen der Zell-Zell-Kommunikation im Alter. / Foto: Adobe Stock/KaYann
Unter der »zellulären Seneszenz« versteht man den Verlust der Teilungsfähigkeit einer Zelle, ohne dass die Zelle wirklich abstirbt und beispielsweise durch Autophagie eliminiert wird. Im Gegenteil: Die betroffenen Zellen bleiben weiter metabolisch aktiv, reagieren jedoch nicht mehr auf mitogene Stimuli. Sie sind quasi irreversibel im Zellzyklus arretiert. Das kann vorteilhaft sein, beispielsweise um eine irreparabel genetisch geschädigte Zelle aus dem Verkehr zu ziehen. Allerdings muss sichergestellt sein, dass die stillgelegten Zellen effizient ersetzt werden, was bei einem jungen Organismus möglich ist.
Im Alter werden seneszente Zellen jedoch zum Problem. Zum einen kumulieren sie wegen der verstärkt auftretenden Funktionsprobleme, zum anderen werden sie immer ineffizienter eliminiert, auch weil die Immunfunktionen schwächer werden.
Das Hauptproblem scheint jedoch nicht in der Akkumulation seneszenter Zellen per se zu liegen. Vielmehr ist es der »Seneszenz-assoziierte sekretorische Phänotyp«. Die Zellen sondern nämlich weiterhin alarmierende Botenstoffe ab und erzeugen so eine allgemein entzündliche Umgebung, die mit Alterserscheinungen wie Arteriosklerose, Lungenfibrose, Demenz und Arthritis assoziiert ist. Dieses proinflammatorische Sekretom trägt somit entscheidend zur Entstehung von Krankheiten bei, die durch eine starke Entzündung aufrechterhalten werden.
Sollte die Hypothese stimmen, dass ein Übermaß an seneszenten Zellen die Entstehung von Alterskrankheiten befördert, so sollte die gezielte Entfernung dieser Zellen eventuell sogar das Altern verzögern. Genau das zeigten Forscher in einer im Jahr 2016 in »Nature« publizierten Studie, wenn auch nur an Mäusen. Das Ergebnis war relativ eindeutig. Die Tiere, bei denen über Umwege seneszente Zellen entfernt worden waren, hatten eine um ein Viertel erhöhte mediane Lebenserwartung (3).
► Vielfältige epigenetische Veränderungen
Die Epigenetik ist charakterisiert durch Modifikationen an den Histonen, den Proteinen, um die sich der DNA-Strang windet, sowie an bestimmten Cytosin-Resten in der DNA. Die Modifikation der Histone durch Acetylierung oder Methylierung erfolgt an den N-terminalen Enden der Proteine. Je nach Art der Modifikation und der Aminosäure, die modifiziert wird, resultiert entweder eine Aktivierung oder eine Repression der Genaktivität, indem das Chromatin entweder kompaktiert oder relaxiert wird. Einen analogen Einfluss auf die Genaktivität hat auch die Methylierung der DNA, bei der eine Methylgruppe an das 5’-Kohlenstoffatom eines Cytosins, meist innerhalb eines Cytosin-phosphatidyl-Guanin (CpG)-Dinukleotids, kovalent angeheftet wird.
Bemerkenswert ist, dass sich das DNA-Methylierungsmuster im Lauf des Lebens stark ändert. Diese Anpassung ist so typisch, dass sich auf Basis des jeweiligen Methylierungsmusters erstaunlich genau das biologische Alter einer Zelle bestimmen lässt (Kasten).
Foto: Adobe Stock/Mikhail Leonov
Im Jahr 2013 publizierte der deutsch-amerikanische Genetiker und Biostatistiker Professor Steve Horvath das Konzept einer epigenetischen Uhr (»Horvath’s clock«), mit der sich das biologische Alter der meisten humanen Gewebe- und Zelltypen erstaunlich genau bestimmen lässt. Zur Entwicklung dieses Systems wertete er 82 Methylierungsmuster-Datensätze aus circa 8000 Proben aus, die 51 Gewebe- und Zelltypen umfassten. Heute ist die epigenetische Uhr definiert als der gewichtete Mittelwert der Methylierungsmuster über 353 CpG-Positionen.
Eine epigenetische Uhr wurde auch für Mäuse etabliert. Mäuse spielen in der Alternsforschung eine erhebliche Rolle. Sie werden nur etwa zweieinhalb Jahre alt. Entsprechend schneller tickt auch die Altersuhr. Aber das biologische Alter lässt sich äußerst präzise bestimmen. So liegen die Fehlerraten für Mäuse bei etwa 3,3 Wochen, für Menschen (Lebenserwartung 80 bis 85 Jahre) bei etwa 3,6 Jahren. Das sind bezogen auf die unterschiedlichen Lebenserwartungen sehr ähnliche Fehlerquoten für epigenetische Vorhersagen.
Noch ist man auf der Suche nach nachweislich wirksamen Stoffen, die die typischen Pathologien des Alterns positiv beeinflussen können.
Ganz oben auf der Liste steht das »alte« Antidiabetikum Metformin. Seit Langem versucht man zu klären, ob es die pathologischen Begleitsymptome des Alterns positiv beeinflussen könnte. Theoretisch erscheint dies nicht unplausibel, denn dieser gut etablierte Wirkstoff ist alles andere als hochspezifisch. Nach wie vor ist der exakte Wirkmechanismus von Metformin, dessen Wirksamkeit bei der Behandlung des nicht insulinpflichtigen Diabetes unstrittig ist, nicht bekannt.
In Affinitätsstudien kann man zeigen, dass Metformin extrazellulär mit Rezeptoren für Zytokine, Insulin, IGF-1 und Adiponectin interagiert. Als Konsequenz der Bindung werden die Aktivitäten der Zytokin-, Insulin- und IGF-1-Rezeptoren geblockt, wohingegen Metformin den Adiponectin-Rezeptor zu stimulieren scheint. Es gibt gute Hinweise, dass eine Modulation dieser Signalwege Alterungsprozesse fördern kann.
Grafik 1: Die somatotrope Achse, ausgehend von einer Wachstumshormon-(GH-)Ausschüttung, und deren Einfluss auf die Zellalterung werden vom Fasten ebenso beeinflusst wie von verschiedenen Wirkstoffen, unter anderem Metformin. Modifiziert nach (6) / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Intrazellulär hemmt Metformin durch den Transkriptionsfaktor NF-kB kontrollierte Entzündungswege und aktiviert die AMP-Kinase (AMPK), wodurch ATP-generierende Stoffwechselwege aktiviert und ATP-verbrauchende Wege gehemmt werden. Die Aktivierung der AMPK schaltet prominent von Gluconeogenese auf Glykolyse um, was man derzeit als Hauptwirkmechanismus von Metformin betrachtet. Dies führt zur Senkung der Glucose-, Fettsäure- und Triglycerid-Konzentration im Blut, was der Entstehung des metabolischen Syndroms entgegenwirkt. Zudem hemmt Metformin die Aktivität der Serin/Threonin-Kinase mTOR, die an der Modulation des Alterns beteiligt zu sein scheint und daher aktuell als Zielstruktur zur pharmakologischen Korrektur von Alterungsprozessen erforscht wird (Grafik 1).
Durch einige dieser Mechanismen könnte Metformin tatsächlich die Aktivitäten von Stoffwechsel- und Zellprozessen beeinflussen, die eng mit der Entwicklung altersbedingter Erkrankungen verbunden sind, darunter Entzündung, Autophagie und zelluläre Seneszenz.
Ob die pleiotropen Eigenschaften von Metformin tatsächlich eine klinische Relevanz entfalten, ist nach wie vor hoch spekulativ. Allerdings scheitert dies nicht am festen Willen, die Hypothese zu belegen oder zu verwerfen. Vielmehr fehlt es an den nötigen Mitteln. Denn der wissenschaftliche Direktor der »American Federation for Aging Research (AFAR)«, Dr. Nir Barzilai, hat eine gut aufgebaute, randomisierte, kontrollierte klinische Studie (RCT) konzipiert: die Treating Aging with Metformin-Studie. Doch die TAME-Studie ist aufwendig und teuer. Sie könnte zeigen, dass sich das Altern ganz analog zu klassischen Krankheiten behandeln lässt. Folglich ist als Endpunkt auch nicht ein längeres Leben, sondern ein vermindertes Auftreten einer oder mehrerer typischer Alterskrankheiten definiert.
Insgesamt 14 Zentren sollen an der Studie teilnehmen, die Behandlung über sechs Jahre laufen und mindestens 3000 Probanden im Alter zwischen 65 und 79 Jahren eingeschlossen werden. Da Metformin jedoch keinen Patentschutz mehr genießt, zeigt die pharmazeutische Industrie kein Interesse, die Studie zu finanzieren. Bisher gelang es nicht, ausreichend Mittel von unabhängigen Investoren zusammenzutragen.
Dieses Schicksal könnte auch andere vielversprechende Kandidaten ereilen, denn aktuell handelt es sich bei der Mehrzahl der in präklinischen Studien aufgefallenen Kandidaten um bekannte Wirkstoffe, die bereits für andere Indikationen zugelassen sind.
Diese Probleme hat man mit Lifestyle-Interventionen nicht. Vielleicht sind die Aussagen, die man zu diesen Interventionen machen kann, auch aus dem Grund am solidesten.
Kalorienrestriktion oder noch besser Fasten in Verbindung mit Sport hat auf vielen experimentellen Ebenen gezeigt, dass diese Maßnahmen ein gesundes Altern und wahrscheinlich auch ein längeres Leben fördern. In allen Tiermodellen, die in der Alternsgrundlagenforschung eingesetzt werden, zeigt die Kombination von Fasten, Kalorienrestriktion und Sport erstaunliche Effekte. Dies gilt auch für den Menschen, wie vielfach gezeigt wurde.
Foto: Adobe Stock/malickim
Unter den Maßnahmen »Fasten«, »Intervallfasten«, »zeitlich begrenzte Ernährung« und »Kalorienreduktion« zeigt das Fasten bei Weitem den größten Effekt. Vor allem kommt es bei zeitlich begrenztem Fasten reproduzierbar zu einem gewissen »Reset« wichtiger Funktionen: Das Immunsystem wird gestärkt, seneszente Zellen werden verstärkt eliminiert und Sirtuine (Histondeacetylasen, HDAC, die wichtige Funktionen der DNA kontrollieren) werden aktiviert.
Bei anderen Methoden der Lebensstilanpassung steht zumindest zu Beginn die Reduktion des Körpergewichts im Vordergrund. Dies resultiert vor allem aus einer Einschränkung der Kalorienzufuhr. Eine zeitliche Begrenzung der täglichen Nahrungsaufnahme kann diesen Effekt noch steigern, denn es hilft, sich konsequent an die Vorgaben der Diät zu halten. Darüber hinaus zeigen Versuche mit Mäusen, dass eine Kalorienreduktion im Verbund mit eingeschränkten Fresszeiten erstaunliche Zusatzeffekte entfalten kann.
Mäuse gehören zu den wichtigsten Modellsystemen der Altersforschung. / Foto: Adobe Stock/Jasongeorge
In einer aktuellen Studie wurde gezeigt, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung von Mäusen, die über 24 Stunden verteilt neun gleich große Mahlzeiten einer um 30 Prozent kalorienreduzierten Diät erhielten, um etwa 10 Prozent verlängerte im Vergleich zu Mäusen, die keine Diät bekamen (4). Erhielten die Tiere Nahrung nur innerhalb von zwei Stunden während der aktiven Zeit (bei Mäusen in der Nacht), verlängerte sich die durchschnittliche Lebenserwartung noch einmal um 25 Prozent. Ein nahezu gleiches Ergebnis wurde erzielt, wenn die Futtermenge in Form von acht gleichen Mahlzeiten alle 90 Minuten über zwölf Stunden während der aktiven Zeit angeboten wurde. Fraßen die Mäuse hingegen während der inaktiven Zeit, sank der lebensverlängernde Effekt von 35 Prozent auf etwa 20 Prozent – trotz Kalorienrestriktion.
Wegen der Fülle von Hinweisen, dass metabolische Prozesse das Altern stark beeinflussen, ist die sogenannte somatotrope Signalachse als Quelle für möglicherweise pharmakologisch interessante Zielstrukturen in den Fokus gerückt.
Ausgehend von Signalen, die zunächst zur Ausschüttung von Wachstumshormon aus dem Hypophysenvorderlappen und dann zur Aktivierung des Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktors führen, erlangt das Protein mTOR besondere Bedeutung. Viel Evidenz existiert, dass sich seine Hemmung tatsächlich positiv auf den Alterungsprozess auswirkt (Grafik 1). Es ist bekannt als Zielstruktur des Immunsuppressivums Rapamycin, aber mTOR hat natürlich auch physiologische Wirkungen. Insbesondere fungiert mTOR als Enzym, das sich im Zytoplasma mit mehreren anderen Proteinen zu einem Komplex namens TORC1 verbindet. Dieser überwacht eine ganze Reihe von Zellaktivitäten, die mit Wachstum zu tun haben.
Aber in erster Linie dient TOR als Nährstoffsensor. Bei ausreichend Nahrung steigt die Aktivität von mTOR, woraufhin die Zelle die Proteinproduktion ankurbelt und sich zu teilen beginnt. Unter schlechteren Bedingungen hingegen wird die mTOR-Aktivität heruntergefahren.
Allgemein sinkt bei allen potenziell lebensbedrohlichen Zuständen die TOR-Aktivität, wodurch die Proteinproduktion und Teilungsaktivität gehemmt werden. Im Extremfall beginnen vorgeschädigte Zellen, sich selbst zu verdauen. Diesen Prozess bezeichnet man als Autophagie. Die dadurch freigesetzten Ressourcen können in die DNA-Reparatur oder andere Schutzmaßnahmen gesteckt werden.
Fasten, die Aktivierung der AMP-Kinase (AMPK) und die Aktivierung der Sirtuine: Alle wirken hemmend auf mTOR. Metformin verstärkt diesen Effekt, da es die AMPK aktiviert. Eine aktivierte AMPK im Zusammenspiel mit einer Hemmung von mTOR versetzt den Organismus in einen katabolen Zustand, in dem komplexe Stoffwechselprodukte zu einfachen Molekülen abgebaut werden. Und das scheint ein gesundes Altern zu fördern.
Der prominente Alternsforscher Professor Matt Kaeberlein, Direktor des Healthy Aging and Longivity Research Instituts an der University of Washington sowie Direktor des Nathan Shock Centers of Excellence in the Biology of Aging, hat versucht, die große Heterogenität der experimentellen Alternsforschung für die Maus zu ordnen. Danach zeigen der Einsatz von Rapamycin und eine 30-prozentige Kalorienreduktion die deutlich größten Effekte (Grafik 2). Im Mittelfeld rangieren sogenannte Senolytika (die die Apoptose von seneszenten Zellen selektiv induzieren können) wie Dasatinib plus Quercetin sowie Metformin. Enttäuschend geringe Effekte beobachtet man bei einer Supplementation mit NAD+ (zur Aktivierung der Sirtuine) und mit Alfa-Ketoglutarat, das auch als Supplement verwendet wird.
Grafik 2: Interventionen zur Verlängerung der Lebensspanne bei Mäusen. Die Grafik gibt einen Überblick über die Ergebnisse sehr unterschiedlicher Studien; modifiziert nach (7). / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Um die Anwendung beim Menschen effizienter voranzutreiben, regte aktuell eine Gruppe amerikanischer und französischer Forscher die Schaffung eines standardisierten Verfahrens an, nach dem zugelassene Medikamente im Sinn eines Repurposings auf ihr gerontowissenschaftliches Potenzial hin untersucht werden (5).
Sie verwenden ein Zwölf-Punkte-System, das zu gleichen Teilen zwischen Grundlagen- und klinischen Studien (jeweils sechs Punkte) aufgeteilt ist. Von den sechs Punkten zur Bewertung grundlegender oder präklinischer Faktoren wurden jeweils bis zu zwei Punkte für die Beeinflussung von Alterungsmerkmalen, die Verbesserung der präklinischen Gesundheitsspanne und die präklinische Lebensdauer vergeben (Tabelle). Von den sechs Punkten für die Bewertung der klinischen Aspekte entfallen jeweils bis zu drei Punkte für die Gesundheit und für Mortalitätsdaten. Hinsichtlich der Gesundheit muss das Medikament nachweisen, dass es auf mindestens eine altersbedingte Krankheit oder einen pathologischen Prozess abzielt, für den es nicht zugelassen ist. Bezüglich der Mortalität muss das Medikament nachweisen, dass es die Gesamtmortalität oder den Tod durch eine Krankheit, für die es nicht zugelassen ist, senkt. In diesem Ranking schneiden SGLT-2-Inhibitoren und Metformin mit Abstand am besten ab (Tabelle).
Die eingangs gestellte Frage, ob was in der Anti-Aging-Pipeline steckt, muss momentan wohl so beantwortet werden: Einiges – aber es ist noch eine beachtliche Strecke zu gehen.
Gerotherapeutika | Alterungsmerkmale | Präklinische Gesundheitsspanne | Präklinische Lebensdauer | Verbesserung der Gesundheit | Verzögerung der Mortalität | Score |
---|---|---|---|---|---|---|
SGLT-2-Inhibitoren | 2 | 2 | 2 | 3 | 3 | 12 |
Metformin | 2 | 2 | 1 | 3 | 3 | 11 |
Acarbose | 2 | 2 | 2 | 3 | 0 (keine Daten) | 9 |
Rapamycin/Rapaloge | 2 | 2 | 2 | 3 | 0 (keine Daten) | 9 |
Methylenblau | 2 | 2 | 2 | 3 | 0 (keine Daten) | 9 |
ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Blocker | 2 | 2 | 1 | 3 | 8 | |
Dasatinib + (Quercetin) | 2 | 2 | 1 | 1 | 0 (keine Daten) | 6 |
Acetylsalicylsäure | 2 | 2 | 2 | 0 (keine Daten) | 0 (keine Daten) | 6 |
N-Acetyl-Cystein | 1 | 2 | 2 | 0 (keine Daten) | 0 (keine Daten) | 5 |
Theo Dingermann studierte Pharmazie in Erlangen. Nach Promotion und Habilitation war er bis 2013 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Jetzt ist er Seniorprofessor der Universität. Die Apotheker kennen ihn als Referenten und Autor von wissenschaftlichen Fach- und Lehrbüchern. Der PZ ist er seit April 2010 als externes Mitglied der Chefredaktion, seit Frühjahr 2019 als einer von drei Chefredakteuren und aktuell als Senior Editor verbunden.