Was steckt in der Anti-Aging-Pipeline? |
Theo Dingermann |
21.07.2019 08:00 Uhr |
Kann man das Altern medikamentös aufhalten? Zahlreiche Firmen suchen nach dem modernen Jungbrunnen. / Foto: Adobe Stock/Rawpixel.com
Es ist das verlockende Versprechen des Jungbrunnens, das Altwerden hinauszuzögern oder zumindest den Beginn und das Fortschreiten altersbedingter Krankheiten zu stoppen. Tatsächlich wird in diese Richtung eifrig geforscht. Start-ups wie das kalifornische Unternehmen Unity Biotechnology, Brisbane, oder die amerikanische Firma resTORbio, Boston, sind börsennotiert und sammeln Millionen von Dollars an Venture Capital ein und dies alles nur auf Basis einer Mischung aus interessanten Ideen, talentiertem Management, Investorenbegeisterung und Wunschdenken. Denn Produkte, die man verkaufen könnte und die eine etwas realistischere Einschätzung des Firmenwerts zulassen würden, haben die meisten noch nicht.
Andererseits sind die Ankündigungen alles andere als zurückhaltend. Das Unternehmen Unity Biotechnology beispielsweise, das 2011 von Ned David gegründet wurde, weil es »einfach die coolste Biologie war, die er je gesehen hat«, wirbt mit dem Slogan »extending human healthspan«. Das will man mit Medikamenten erreichen, die »altersbedingte Krankheiten stoppen, verlangsamen oder umkehren können«.
Ganz ähnlich ist resTORbio aufgestellt. Das Unternehmen wurde 2016 gegründet mit der Vision, »neuartige Therapeutika zur Behandlung altersbedingter Krankheiten« zu entwickeln.
Beide Firmen bewegen sich keineswegs in der wohlbekannten Grauzone von Nahrungsergänzungsmitteln oder Vitaminpillen. Vielmehr stellen sie sich mit ihren Produkten der klassischen Zulassungssystematik, nach der nur das als Arzneimittel verkehrsfähig ist, was sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen hat.
Das gilt auch für die beiden Unternehmen in Kalifornien: CohBar, Menlo Park, und Calico, San Francisco. CohBar ist ein Biotech-Unternehmen, das Krankheiten wie nicht-alkoholische Fettleber (NASH), Fettleibigkeit, Krebs, Typ-2-Diabetes sowie kardiovaskuläre und neurodegenerative Erkrankungen in den Fokus nimmt. Calico, das vierte hier betrachtete Unternehmen, wurde von Larry Page, dem Gründer von Google, initiiert. Fast alles in diesem Unternehmen wird zu einem großen Geheimnis hochstilisiert.
Das alles macht neugierig. Was haben diese Firmen in der Pipeline? Auf welchen pharmakologischen Prinzipien stützt sich das Management, um seine attraktiven Versprechungen zumindest mit einer gewissen Plausibilität zu unterlegen? Nicht alles ist neu, was da beforscht wird. Offensichtlich gibt es einen Taktgeber: ein alter Bekannter für Arzneimittelexperten (lesen Sie dazu auch den Titelbeitrag »Anti-Aging: Auf dem Weg zum Jungbrunnen« in PZ 7/2018).
Metformin ist immer noch die erste Wahl zur Behandlung des Typ-2-Diabetes, solange noch keine Insulinpflicht besteht. Dafür wurde Metformin in den 1950er-Jahren in Frankreich zugelassen. Erst in den 1990er-Jahren erteilte die FDA Metformin die Zulassung für die gleiche Indikation.
Man schätzt, dass jährlich 37 000 Tonnen des Wirkstoffs produziert werden. Unzweifelhaft ist Metformin heute eines der am häufigsten eingesetzten Diabetes-Medikamente und das, obwohl der genaue Wirkmechanismus nach wie vor ungeklärt ist.
Längst nicht so gut belegt, aber dennoch mit guten Hinweisen unterlegt sind Effekte, die Metformin auf alterungsrelevante Prozesse zu entfalten scheint (Abbildung 1).
Über diese Mechanismen kann Metformin Stoffwechsel- und Zellprozesse modulieren, die eng mit der Entwicklung altersbedingter Erkrankungen verbunden sind, darunter Entzündung (14), Autophagie (15; 16) und zelluläre Seneszenz (17; 18) (Abbildung 1, unten).
Viele ältere Typ-2-Diabetiker nehmen Metformin ein. Vielleicht senkt dieser Wirkstoff nicht nur ihren Blutzucker, sondern verlängert auch ihr Leben. / Foto: Shutterstock/Monkey Business
Diese molekularpharmakologischen Hinweise werden ergänzt durch Studien an Tiermodellen. Es konnte gezeigt werden, dass die Gabe von Metformin die durchschnittliche Lebensdauer von Nematoden um etwa 57 Prozent, die von Mäusen um 6 Prozent und die von Ratten um 2 Prozent erhöht. Noch ist die Frage offen, wie sich eine Metformin-Einnahme mit dem Ziel des Hinauszögerns von typischen »Alterskrankheiten« bei nicht an Diabetes erkrankten Menschen auswirkt.
Diese Frage versucht die TAME-Studie (Targeting Aging with Metformin) zu beantworten, die Dr. Nir Barzilai, Direktor des Institute for Aging Research am Albert Einstein College of Medicine, New York City, plant. Mit dieser Phase-III-Studie soll gezeigt oder widerlegt werden, dass Metformin die Lebensdauer verlängern und ein Altern in Gesundheit unterstützen kann. Die Initiatoren des Projekts sehen die TAME-Studie als einen ersten Schritt eines vierstufigen Prozesses, der darauf abzielt,
Alles ist sehr gut geplant und mit der FDA besprochen. Das Problem liegt darin, dass Metformin seit Langem generisch ist und keine Firma die erforderlichen etwa 55 Millionen US-Dollar in die Hand nehmen will.
In den Konzepten der vier genannten Firmen kann man einiges wiedererkennen, was für Metformin dargelegt wurde. Spannend ist, dass diese Unternehmen, die hier stellvertretend für eine ganze Armada ähnlicher Firmen fast willkürlich genannt werden, unterschiedliche Interventionsstrategien verfolgen.
Vielleicht lässt sich das Versprechen, das Altern einzubremsen und länger zu leben, eben nicht durch Umlegen eines einzelnen Schalters einlösen. Das zeigt die enorme Herausforderung, der sich die Firmen stellen.
Alternde Zellen erfüllen keine wichtigen physiologischen Aufgaben mehr, sind aber auch nicht stoffwechselneutral und können durchaus Probleme verursachen. Sie können beispielsweise pro-inflammatorische Zytokine, Chemokine und extrazelluläre Matrixproteasen sezernieren. Dieses Muster fasst man mit dem Begriff »Seneszenz-assoziierter sekretorischer Phänotyp« (SASP) zusammen. Es wird angenommen, dass dies signifikant zum Altern eines Organismus oder zur Krebsentstehung beiträgt.
Der Fokus von Unity Biotechnology liegt auf der Entwicklung von Senolytika. Darunter versteht man Wirkstoffe, die die Elimination alternder Zellen forcieren. Die Unternehmensphilosophie basiert auf der Hypothese, durch Abtöten dieser alternden Zellen auch viele Symptome des Alterns beseitigen zu können. Mehrere Wirkstoffe, darunter UBX0101 und UBX1967, befinden sich bei Unity Biotechnology in teils fortgeschrittener klinischer Entwicklung.
UBX0101 wird als potenter niedermolekularer Inhibitor der Proteininteraktion MDM2/p53 beschrieben. Eine Störung dieser Proteininteraktion kann die Eliminierung alternder Zellen auslösen. Zur Erklärung: p53 ist ein wichtiger Kontrollfaktor, der unter anderem als Reaktion auf äußeren Stress an Zielgene bindet, die an Zellzyklus-Stillstand, Apoptose, Seneszenz und Reparatur beteiligt sind, und der deren Transkription anstößt. Diese Aktivität wird durch das Protein MDM2 antagonisiert, indem MDM2 die Ubiquitinylierung von p53 katalysiert und p53 so dem proteasomalen Abbau zuführt (Abbildung 2).
Auf anderem Weg wirkt UBX1967. Es ist ein niedermolekularer Inhibitor spezifischer Mitglieder der Bcl-2-Familie, die maßgeblich an der Regulation der Apoptose beteiligt sind. Der Wirkstoff wird für die Therapie altersbedingter Erkrankungen des Auges, einschließlich altersbedingter Makuladegeneration, diabetischem Makulaödem und proliferativer diabetischer Retinopathie entwickelt. Unity Biotechnology plant, für die zweite Jahreshälfte 2019 eine klinische Phase-1-Studie zu beantragen.
Insgesamt ist die Pipeline von Unity Biotechnology beachtlich, wobei die Firma vielfach keinen tieferen Einblick zulässt (https://unitybiotechnology.com/pipeline).
Das Unternehmen resTORbio wurde 2016 gegründet. Das Leitprogramm der Firma richtet sich auf die im Alter immer schwächer werdenden Immunfunktionen. Durch diese Immunoseneszenz steigt die Anfälligkeit für zahlreiche Krankheiten, darunter vor allem Atemwegsinfektionen und die Parkinson-Erkrankung. Diese tragen ganz wesentlich zur Morbidität und Mortalität älterer Menschen bei.
Wenn das Immunsystem schwächer wird, steigt das Risiko für schwere Erkrankungen wie eine Pneumonie / Foto: Shutterstock/Dmytro Zinkevych
Das Zielsystem, das resTORbio zu beeinflussen versucht, ist der mTOR-Signalweg (Target of Rapamycine). Die Mitarbeiter wollen Wirkstoffe entwickeln, die selektiv den Rapamycin-Komplex TORC1 hemmen. mTOR ist eine Serin-/Threonin-Proteinkinase, die mehrere Zellfunktionen, einschließlich Zellwachstum und Stoffwechsel, über zwei Komplexe reguliert: TORC1 und TORC2. Die Hemmung von TORC1 hat sich in präklinischen Modellen als vorteilhaft erwiesen, wenn Alterungsprozesse verlangsamt werden sollen, während die Hemmung von TORC2 in präklinischen Modellen mit erheblichen unerwünschten Ereignissen verbunden war, einschließlich verminderter Lebensdauer, Hyperglykämie und Hypercholesterolämie.
Der Entwicklungsschwerpunkt von resTORbio liegt derzeit auf RTB101, einem potenten und selektiven, oral bioverfügbaren, niedermolekularen TORC1-Inhibitor, der die Phosphorylierung mehrerer Targets unterhalb von TORC1 katalysiert (Abbildung 3).
Zu diesen Zielstrukturen zählt auch das ribosomale Protein S6K (S6-Kinase). Der Translationsrepressor 4EBP1, der mit dem eukaryontischen Translationsinitiationsfaktor 4E (eIF4E) interagiert, und der ULK1/Atg-Komplex, der eine wesentliche Rolle bei der Einleitung der Autophagie spielt, werden hingegen durch die TORC1-Inhibition aktiviert.
Dass sich dies lebensverlängernd auswirken könnte, machen unabhängige Beobachtungen plausibel: So verlängern inaktivierende genetische Mutationen im mTORC1-Gen die Lebenszeit, ebenso Knockout-Mutationen des ribosomalen Proteins S6K.
Derzeit wird RTB101 allein und in Kombination mit Everolimus in einer klinischen Phase-2b-Studie zur Verringerung der Inzidenz von Atemwegsinfektionen bei älteren Menschen evaluiert. Die Kombination RTB101 plus Sirolimus soll noch in diesem Jahr in einer Phase-2-Studie getestet werden.
Bei CohBar konzentriert man sich auf Mitochondrien basierende Therapeutika (MBT). Dabei handelt es sich um mitochondriale Peptide, die den Metabolismus und den Zelltod regulieren und deren biologische Aktivität mit zunehmendem Alter abnimmt.
Das mitochondriale Peptid MOTS-c ist ein 16 Aminosäuren langes Signalpeptid, das die Insulinempfindlichkeit und die metabolische Homöostase reguliert. Sein primäres Zielorgan scheint der Skelettmuskel zu sein. Es hemmt den Folatzyklus und die daran angeschlossene De-novo-Purin-Biosynthese. In der Folge kumuliert das Purin-Biosynthese-Zwischenprodukt AICAR (5-Aminoimidazol-4-carboxamid-Ribonukleotid), das als potenter Aktivator des Stoffwechselregulators AMP-abhängige Proteinkinase (AMPK) wirkt. Dadurch werden die metabolischen Effekte von MOTS-c zum Teil vermittelt. Bei Mäusen verhindert eine Behandlung mit MOTS-c alters- und ernährungsbedingte Insulinresistenz und Fettleibigkeit.
Mitochondriale Peptide und synthetische Analoga senken Leberenzymwerte und wirken nicht-alkoholischen Fettlebererkrankungen entgegen. / Foto: Adobe Stock/jarun011
CB4211 ist ein neuartiges Analogon des natürlich vorkommenden MOTS-c-Peptids. In präklinischen Modellen zeigte CB4211 ein signifikantes therapeutisches Potenzial für die Behandlung von nicht-alkoholischer Steatohepatitis (NASH). Es normalisierte den Triglyzeridspiegel und wirkte günstig auf Leberenzyme, die mit der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) und NASH assoziiert sind.
Die Firma Calico ist die große Blackbox unter den Anti-Aging-Unternehmen. Hinter Calico steht Larry Page, der zusammen mit Sergey Brin 1998 Google gegründet hat. »Wir gehen das Altern an, eines der größten Rätsel des Lebens«, lautet die Mission der Firma, deren Name Calico sich von »California Life Company« ableitet.
Geld spielt keine Rolle, und das macht das Unternehmen besonders attraktiv. So wundert man sich nur auf den ersten Blick, dass Arthur Levinson, der von 1995 bis 2009 CEO von Genentech war und aktuell Aufsichtsratsvorsitzender von Apple ist, als Firmengründer und Chief Executive Officer (CEO) firmiert. Als Chief Scientific Officer (CFO) fungiert David Bodstein, einer der weltweit führenden Genetiker. Calico gelang es, AbbVie 1 Milliarde US-Dollar abzuringen, und AbbVie nahm diese beachtliche Summe in die Hand, um sich eine Option auf den attraktiven Zukunftsmarkt rund um die Anti-Aging-Biotechnologie zu sichern.
Lange hüllte sich das Unternehmen über seine Entwicklungsaktivitäten in Schweigen. Seit Ende 2017, Anfang 2018 deuten jedoch umfangreiche Publikationen, die auf der Calico-Homepage gelistet sind, an, in welche Richtung sich die Firma bewegt (19, 20).
Eine Schlüsselaussage ist, dass man mit dem Nacktmull (Heterocephalus glaber) ein »nicht alterndes Säugetier« identifiziert habe (19, 20). Zu diesem Schluss kamen die Wissenschaftler, nachdem sie für den Nacktmull ein etabliertes mathematisches Modell zur Sterblichkeit, das Gompertz’sche Gesetz, nicht bestätigen konnten. Nach diesem Gesetz steigt das Sterberisiko für jedes Säugetier mit zunehmendem Alter exponentiell an. Dazu waren die Daten von mehr als 3000 Tieren über einen Zeitraum von 30 Jahren ausgewertet worden. Daraus schlossen die Forscher, dass der Nacktmull »eindeutig als nicht alterndes Säugetier« anzusehen ist.
Dies wird sicherlich eine bedeutende Plattform für das Unternehmen, ähnlich wie andere Modelle für Studien zum Altern, darunter der Fadenwurm Caenorhabditis elegans und die Hefe. Es wurden schon erste Moleküle vorgestellt, die in Studien mit den Modellorganismen Altersprozesse positiv zu modulieren scheinen (21, 22).
Hier erkennt man die Strategie des Unternehmens, die offensichtlich darin besteht, die Kernkompetenz Googles, die in der Analyse riesiger Datenmengen besteht, mit ausgeklügelten biologischen Systemen zu kombinieren, in denen der Schlüssel zur Langlebigkeit versteckt sein könnte. Viel mehr weiß man (noch) nicht von Calico!
Theodor Dingermann studierte Pharmazie in Erlangen. Nach der Approbation 1976 folgten Promotion und 1987 Habilitation. Von 1991 bis 2013 war er Geschäftsführender Direktor des Instituts für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Jetzt ist er Seniorprofessor der Universität. Dingermann war von 2000 bis 2004 Präsident der DPhG und arbeitet in zahlreichen Gremien, unter anderem beim BfArM. Die Apotheker kennen ihn als Referenten, Autor und Co-Autor von wissenschaftlichen Fach- und Lehrbüchern. Seit April 2010 ist er externes Mitglied der Chefredaktion der PZ, seit Frühjahr 2019 einer der beiden Chefredakteure.