Was sie verbindet, was sie unterscheidet |
| Brigitte M. Gensthaler |
| 29.07.2025 10:00 Uhr |
Wenn Demenz und Depression zusammenkommen, ist dies eine schwere Bürde für den Patienten und seine Angehörigen. Eine Depression kann und sollte auch bei demenzkranken Menschen behandelt werden. / © Getty Images/lucigerma
Beide Erkrankungen können das Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen erheblich verändern. Depressive Störungen beeinträchtigen die kognitiven Fähigkeiten, Alltagsfunktionen und soziale Kompetenz von Menschen mit Demenz zusätzlich und lassen sie noch »kränker« erscheinen. Aber sie können die Kognition auch bei nicht dementen Menschen so sehr stören, dass es wie eine Demenz wirkt (Pseudodemenz). Natürlich können Depression und Demenz auch »zufällig« nebeneinander vorliegen. Schätzungsweise jeder fünfte Demenzkranke leidet auch an einer depressiven Störung. Darüber hinaus gilt die Depression als einer der 14 anerkannten Risikofaktoren für die Manifestation einer Demenz.
Das Thema Altersdepression hat Mitte Juli große mediale Aufmerksamkeit gefunden, als der Familienunternehmer Wolfgang Grupp offen über einen Suizidversuch sprach. Der frühere Trigema-Chef begründete dies mit einer Altersdepression.
Grundsätzlich können Depressionen in jedem Lebensalter auftreten, heißt es in der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) zur unipolaren Depression (Stand 2022). In stationären Einrichtungen der Altenpflege werde ihre Prävalenz auf bis zu 50 Prozent geschätzt. Auch die Suizidrate, vor allem bei Männern, sei bei Hochbetagten am höchsten.
Zu den häufigsten Auslösern einer Altersdepression gehören gesundheitliche Einschränkungen, der Verlust von Selbstständigkeit oder Mobilität sowie einschneidende Veränderungen wie Renteneintritt, Umzug oder der Tod von Angehörigen. Auch soziale Isolation und Einsamkeit können depressiv machen.
Die NVL nennt als Differenzialdiagnose unter anderem depressive Anpassungsstörungen, zum Beispiel Trauerreaktionen nach Verlust des Partners oder nach Diagnose einer schweren Erkrankung. Diese stehen in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Auslöser und sind gekennzeichnet durch wiederkehrende negative Gedanken, anhaltende Sorgen oder Anpassungsprobleme an die neue Situation. Daraus können Interessenverlust, Konzentrations- und Schlafprobleme entstehen. Die Grenze zwischen Anpassungsstörungen und depressiven Störungen sei aber nicht trennscharf, wobei Erstgenannte laut NVL meist innerhalb eines halben Jahres nachlassen.
Bei älteren Menschen zeigen sich Depressionen oft anders als bei jüngeren, denn Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit sind oft weniger deutlich oder werden überspielt. Oft richten sie ihre Bedenken und Sorgen auf körperliche Beschwerden wie Schmerzen, Schwindel, Schlaf- oder Verdauungsstörungen und sprechen nur diese beim Arzt an. Andere empfinden bestehende Rückenschmerzen oder Ohrgeräusche zunehmend als unerträglich. Zudem hätten ältere Betroffene oft Schwierigkeiten, psychische Erkrankungen zu akzeptieren, schreibt die Deutsche Depressionshilfe.
Viele Patienten mit Altersdepression ziehen sich zurück, verlieren das Interesse an früheren Aktivitäten oder wirken still und kraftlos – ähnlich wie Betroffene mit beginnender Demenz.
Es gibt aber wichtige Unterschiede zwischen den Erkrankungen (Tabelle). So nehmen Menschen mit Depression ihre kognitiven Einschränkungen meist sehr bewusst wahr und sprechen diese auch an. Sie sagen zum Beispiel: »Ich kann mich auf nichts mehr konzentrieren« oder »Ich weiß gar nichts mehr«. Demenzkranke Menschen erkennen ihre Ausfälle oft nicht, überspielen oder verharmlosen sie.
| Kriterium | Depression | Alzheimer-Demenz |
|---|---|---|
| Beginn | innerhalb weniger Wochen | schleichender Beginn über Monate |
| Stimmung | depressiv, kaum beeinflussbar und über längere Zeit konstant typische Änderung im Tagesverlauf: Morgentief und Aufhellung am Abend | insgesamt eher instabil und leichter zu beeinflussen |
| individuelles Empfinden | Erkrankte klagen über ihren Zustand, typische Aussage: »Ich kann und weiß nichts mehr.« | Erkrankten klagen eher wenig, haben »keine Probleme« oder verleugnen |
| Denkvermögen | gehemmt und verlangsamt, aber nicht verwirrtOrientierung in Zeit und Raum erhalten | Orientierung in Raum und Zeit beeinträchtigtnicht selten nächtliche Verwirrtheitszustände |
Oft schwer zu erkennen ist eine Pseudodemenz, also eine kognitive Beeinträchtigung, die durch eine Depression entsteht. Zu den Ursachen von behandelbaren, mitunter reversiblen Demenzformen zählt die Alzheimer-Forschungsinitiative (AFI) – neben Depressionen – auch den Normaldruck-Hydrocephalus, Delirien, Hirntumoren, Vitamin-B12-Mangel, toxische Hirnschädigung oder Dehydrierung.
Bei einer depressiven Pseudodemenz wirken Betroffene vergesslich oder unsicher und können sich schlecht konzentrieren. Da sie sich schnell überfordert fühlen, antworten sie auf Fragen mitunter: »Ich weiß nicht.« Sie beschreiben ihr Denken als blockiert und Entscheidungen fallen ihnen schwer. Manchmal werden auch Sprache und Bewegungen langsamer. Obwohl räumliche und zeitliche Orientierung sowie logisches Denken in der Regel intakt sind, denken Außenstehende bei älteren Personen schnell an eine beginnende Demenz.
Nicht selten entwickeln Menschen mit Demenzerkrankung zusätzlich eine Depression. Fachleute schätzen, dass rund 40 Prozent aller Alzheimer-Erkrankten betroffen sind. Besonders häufig tritt die Depression in frühen bis mittleren Demenzstadien auf – wenn die Erkrankten merken, dass »etwas nicht stimmt«, das aber nicht genau einordnen oder beeinflussen können.
Eine Studie mit mehr als vier Millionen Menschen aus Schweden zeigte: Frauen und Männer mit Alzheimer-Demenz hatten ein mehr als doppelt so hohes Risiko, eine Depression zu entwickeln, als Nicht-Demenzkranke. Das Risiko war im ersten Jahr nach der Diagnosestellung sogar dreifach höher und bis zu drei Jahre später noch deutlich erhöht. Am stärksten betroffen waren Personen, die zum Zeitpunkt der Demenzdiagnose 85 Jahre oder älter waren.
Laut AFI äußern sich Depressionen bei Demenzkranken sehr unterschiedlich. Während manche Menschen unruhig werden oder ständig Nähe suchen, ziehen sich andere zurück, schlafen schlecht oder entwickeln ein ungewöhnliches Sammelverhalten. Oft kämen körperliche Beschwerden hinzu, etwa Kopf- oder Magenschmerzen. Gleichzeitig falle es den Patienten zunehmend schwer, Gefühle wie Traurigkeit, Schuld oder Hoffnungslosigkeit anzusprechen.
Depression und Demenz können das Risiko für einen Suizid erhöhen. Vor allem in den ersten drei Monaten nach Diagnosestellung ist das Suizidrisiko erhöht, denn die ärztliche Übermittlung der Diagnose kann Betroffene in eine existenzielle Krise stürzen. Bei Demenzkranken wirken hohes Alter und ein fortgeschrittenes Erkrankungsstadium jedoch protektiv, da kognitive Störungen, vor allem der Exekutivfunktionen, eine Suizidplanung und -ausführung verhindern. Dies gilt auch für körperliche Schwäche und Behinderung.
Stärkend wirken soziale Beziehungen, gute Begleitung durch Angehörige sowie Zugang zu professioneller Hilfe und externe Unterstützung. Weitere Informationen finden Betroffene und Angehörige auf der Internetseite des Nationalen Suizidpräventionsprogramms und in der Broschüre »Wenn ältere pflegebedürftige Menschen lebensmüde sind« vom Zentrum für Qualität in der Pflege. Eine Liste mit Hilfsstellen findet man auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.
Nicht nur wegen des Suizidrisikos: Depression ist behandelbar, auch bei bestehender Demenz. Ziel ist es, die Stimmung zu stabilisieren, Unruhe und Rückzug zu verringern und die Lebensqualität zu verbessern. Dazu eignen sich nicht medikamentöse Maßnahmen wie gut strukturierte Tagesabläufe, Bewegung, Musik, Gespräche, kreative Angebote oder soziale Kontakte. Diese Ansätze können sich positiv auf Stimmung, Schlaf und Antrieb auswirken.
Bei leichten oder mittelschweren Depressionen ist eine Psychotherapie ebenso erfolgversprechend wie Antidepressiva und das Nebenwirkungsrisiko ist geringer. Allerdings gibt es sehr wenige Angebote für Menschen mit Demenz.
In der Arzneimitteltherapie sind trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin, Imipramin oder Clomipramin zu vermeiden, da sie anticholinerg wirken und die geistige Leistungsfähigkeit weiter verschlechtern können. Bevorzugt werden selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Sertralin oder Citalopram sowie neuere Wirkstoffe wie Mirtazapin oder Venlafaxin, die die kognitive Leistungsfähigkeit nicht negativ beeinflussen.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie nicht mehr weiterleben möchten oder denken Sie daran, Ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen? Reden hilft und entlastet. Die Telefonseelsorge hat langjährige Erfahrung in der Beratung von Menschen in suizidalen Krisen und bietet Ihnen Hilfe und Beratung rund um die Uhr am Telefon (kostenfrei) sowie online per Mail und Chat an. Rufen Sie an unter den Telefonnummern 0800 1110111 und 0800 1110222 oder melden Sie sich unter www.telefonseelsorge.de. Die Beratung erfolgt anonym.