Was sich in der Beratung ändert |
Lieferengpässe und Nichtverfügbarkeiten erschweren den Apotheken seit Monaten den Alltag. Die Pandemie hat die Lage nochmals verschärft. Dafür hat nicht nur die fehlende Verfügbarkeit, sondern vor allem auch eine erhöhte, eventuell sogar überhöhte Nachfrage seitens der Apotheken, Kunden und Patienten gesorgt.
Bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln entscheidet der Arzt über die verordnete Menge, in der Selbstmedikation der Apotheker. Mit guter Aufklärung kann er Hamsterkäufe verhindern. / Foto: Getty Images/alvarez
Das Apothekenpersonal sollte den Kunden die Sorge vor zusammenbrechenden Lieferketten nehmen, wenngleich die Sorge um einzelne Lieferengpässe – unabhängig von der Corona-Pandemie – bestehen bleibt. Ebenso muss es – rhetorisch versiert und gleichzeitig sehr selbstbewusst – dem Patienten in der Offizin klarmachen, dass Arzneimittel sich keinesfalls für Hamsterkäufe eignen. Natürlich müssen eine ausreichende Therapietreue und die dauerhafte lückenlose Einnahme möglich sein.
Aktuell bleibt der Apotheke nur die Möglichkeit eines Spagats zwischen vernünftiger Vorratshaltung, zum Beispiel auf Basis ihrer Kundenkartei, und dem aufmerksamen Beobachten der täglichen Verfügbarkeiten. Das bedeutet einen unangenehmen Mehraufwand, der jedoch im Sinne der Patienten kaum zu umgehen ist.
Schließlich wird das pharmazeutische Personal auch mit Anfragen zu Nahrungsergänzungsmitteln konfrontiert, die einen Schutz oder gar ein Therapiepotenzial gegen eine Covid-19-Erkrankung bergen sollen. Die Angst, die in der Bevölkerung vor einer Ansteckung mit dem Virus herrscht, bietet Anbietern von Mitteln zum vermeintlichen Schutz vor der Erkrankung eine attraktive Plattform. Der Markt wird überschwemmt von Wundermitteln gegen Sars-CoV-2 (21). Durch ein Screening von Webseiten weltweit versucht die Europäische Kommission, den Betreibern und Versendern unseriöser Mittel Einhalt zu gebieten.
In der Apotheke steht man vor dem Problem, möglichst sofort und wissenschaftlich fundiert über Sinn oder Unsinn der Kundenwünsche entscheiden zu müssen. Ein Beispiel ist der Hype um Vitamin D. Seit einiger Zeit kursieren Berichte und Studien über dessen angebliche Wirksamkeit als Prophylaktikum. Vitamin D soll das Risiko durch Reduktion der Virusreplikation senken und die Konzentration von proinflammatorischen Zytokinen reduzieren, die letztlich einen schweren Verlauf triggern können (23). Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat in einer systematischen Literaturrecherche festgestellt, dass es Hinweise auf eine Assoziation zwischen dem Vitamin-D-Status und dem Auftreten von akuten Atemwegserkrankungen gibt (24). Allerdings gebe es in der Behandlung von Patienten mit akuten Atemwegserkrankungen keinen Benefit durch die Vitamin-D-Einnahme.
Grundsätzlich muss man den Kunden davon überzeugen, dass es (derzeit) keine Nahrungsergänzungsmittel gibt, die eine Erkrankung mit SARS-CoV-2 verhindern können (22, 24). Auch reicht die Studienlage nicht aus, um eine generelle Zufuhr von Vitamin D zur Reduktion des Infektionsrisikos zu empfehlen (24). Eine andauernde, hohe Zufuhr von Vitamin D mit Dosierungen von mehr als 4.000 I.E. kann unerwünschte Wirkungen wie Nierensteine oder Nierenverkalkungen hervorrufen. Auf diese Gefahr sollten Apotheker die Kunden, die sich mit entsprechenden Präparaten versorgen wollen, unbedingt hinweisen. Als Höchstmengen, die sich aus der (angereicherten) Ernährung und der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln ergeben, sind ungefähr 100 µg pro Tag für Erwachsene und 50 µg pro Tag für Kinder zwischen einem und elf Jahren anzusetzen.
Die SARS-CoV-2-Virus-Pandemie beeinflusst auch die Beratungsabläufe bei typischen OTC-Indikationen. Allerdings muss Covid-19 hier einen angemessenen Platz bekommen. Die Patienten brauchen gerade jetzt eine verantwortungsvolle Begleitung in der Selbstbehandlung. Dazu ist es nötig, dass Apotheker als Arzneimittelexperten neue seriöse Informationen kontinuierlich verfolgen und bewerten und die Beratungsabläufe bei Bedarf anpassen. Online-Quellen wie die Seiten des Robert-Koch-Instituts oder von Cochrane Deutschland bieten dafür eine gute Grundlage.
(1) World Health Organization, Coronavirus disease (COVID-19) advice for the public: Myth busters. www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/advice-for-public/myth-busters (Abruf 19. 5. 2020).
(2) Robert-Koch-Institut, SARS-CoV-2 Steckbrief zu Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19). Stand 15. 5. 2020. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText2 (Abruf 19. 5. 2020).
(3) Pascarella, G., et al., COVID-19 diagnosis and management: a comprehensive review. J Intern Med 2020. DOI 10.1111/joim.13091.
(4) Frohn, L P., Symptome – Allergie oder Corona? DAZ-online – News 13. 4. 2020, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/04/13/allergie-oder-corona/chapter:all
(5) Lungenärzte im Netz. Covid-19: Krankheitsanzeichen. www.lungenaerzte-im-netz.de/krankheiten/covid-19/symptome-krankheitsverlauf/ (Abruf 19. 5. 2020).
(6) D’Amico, F., et al., Diarrhea during COVID-19 infection: pathogenesis, epidemiology, prevention and management. Clinical Gastroenterology and Hepatology 2020. DOI doi.org/10.1016/j.cgh.2020.04.001
(7) Tian, Y., et al., Review article: gastrointestinal features in COVID-19 and the possibility of faecal transmission. Aliment Pharmacol Ther. 2020; 51: 843–851.
(8) Henry, B. M., et al., Gastrointestinal symptoms associated with severity of coronavirus disease 2019 (COVID‑19): a pooled analysis. CE-Research letter to the editor. Intern Emerg Med. 2020, doi.org/10.1007/s11739-020-02329-9
(9) Cai, X., et al., Clinical characteristics of 5 COVID-19 cases with non-respiratory symptoms as the first manifestation in children. Front Pediatr. 2020; 8, 258.
(10) Wang, D., et al., Clinical characteristics of 138 hospitalized patients with 2019 novel Coronavirus-infected pneumonia in Wuhan, China. JAMA. 2020;323(11):1061-1069. DOI 10.1001/jama.2020.1585
(11) Pan, L., et al., Clinical characteristics of COVID-19 patients with digestive symptoms in Hubei, China: a descriptive, cross-sectional, multicenter study. Am J Gastroenterol. 2020; 115(5): 766-773.
(12) Konturek, P. C., Wie das Coronavirus den Magen-Darm-Trakt angreift. MMW Fortschr Med. 2020; 162 (8).
(13) Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (DEGAM). Neues Coronavirus (SARS-CoV-2) – Informationen für die hausärztliche Praxis. DEGAM S1-Handlungsempfehlungen. 2020, Stand: 22. 5. 2020.
(14) Hagel, S., et al., S2k-Leitlinie Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple. Z Gastroenterol. 2015; 53: 418–459.
(15) World Health Organization. Oral rehydration salts. Production of the new ORS. 2006.
(16) Fachinformation Vaprino® gegen akuten Durchfall, Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Stand Juni 2018.
(17) Robert-Koch-Institut, Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText2 (Abruf 23. 5. 2020).
(18) Assessment for suspectet Covid-19, der australischen National COVID-19 Clinical Evidence Taskforce. 21. 5. 2020. covid19evidence.net.au/wp-content/uploads/COVID-19-FLOWCHART-1-ASSESSMENT-FOR-SUSPECTED-V2.2.pdf (Abruf 23. 5. 2020).
(19) Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, 14/20 Informationen der Institutionen und Behörden: BMG: Mengenbeschränkte Belieferung bzw. Abgabe von Paracetamol-haltigen Arzneimitteln durch Hersteller, pharmazeutische Großhändler und Apotheken. www.abda.de/fuer-apotheker/arzneimittelkommission/amk-nachrichten/detail/14-20-informationen-der-institutionen-und-behoerden-bmg-mengenbeschraenkte-belieferung-bzw-abgabe-von-paracetamol-haltigen-arzneimitteln-durch-hersteller-pharmazeutische-grosshaendler-und-apotheken/ (Abruf 24. 5. 2020)
(20) Borsch, J., DAZ Online, Wann ist Paracetamol „alternativlos“? www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/03/26/wann-ist-paracetamol-alternativlos/chapter:2 (Abruf: 24. 5. 2020)
(21) Kurz, C., EU prüft angebliche Wundermittel gegen das Coronavirus. Pharm. Ztg. online, 27. 5. 2020. www.pharmazeutische-zeitung.de/eu-prueft-angebliche-wundermittel-gegen-das-coronavirus-117844 (Abruf 27. 5. 2020).
(22) Verbraucherzentrale. Coronavirus: was können Nahrungsergänzungsmittel? Stand 21. 4. 2020. www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/auswaehlen-zubereiten-aufbewahren/coronavirus-was-koennen-nahrungsergaenzungsmittel-45640 (Abruf 27. 5. 2020).
(23) Grant, W. B., et al., Evidence that Vitamin D Supplementation Could Reduce Risk of Influenza and COVID-19 Infections and Deaths. Nutrients. 2020; 12, 988. DOI 10.3390/nu12040988
(24) Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). DGE aktuell 05/2020 vom 26. 3. 2020. Trotz Kontaktverbot können Sie jetzt etwas für Ihren Vitamin-D-Haushalt tun. www.dge.de/presse/pm/trotz-kontaktverbot-koennen-sie-jetzt-etwas-fuer-ihren-vitamin-d-haushalt-tun/ (Abruf 28. 5. 2020).
(25) Robert-Koch-Institut, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html (Abruf: 28. 5. 2020)
Miriam und Christian Ude leiten seit 2013 in Darmstadt gemeinsam die Stern-Apotheke. Sie sind den Kollegen als Referenten von Fachvorträgen und als Autoren für Fachbücher und -artikel bekannt. Miriam Ude hat einen Lehrauftrag an der Goethe-Universität für das Fach »Klinische Pharmazie« am Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler. Sie ist freie Mitarbeiterin der Deutschen Stiftung Organspende (DSO), Frankfurt und Leitende Redakteurin der PZ Prisma (Avoxa Mediengruppe). Christian Ude hat einen Lehrauftrag am Institut für Pharmazeutische Chemie der Goethe-Universität sowie eine Lehrtätigkeit im Fach Klinische Pharmazie. Er ist erster Vorsitzender des Vereins »NELA – Netzwerk Lebensqualität durch Arzneimitteltherapiesicherheit« und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesapothekerkammer und gehört der Redaktion der PZ Prisma (Avoxa Mediengruppe) an.