Was Medikamente leisten können |
Brigitte M. Gensthaler |
17.02.2020 17:00 Uhr |
Sich regen bringt Segen: Bewegung und angepasste Ernährung sind die Basis jeder Gewichtsabnahme. Medikamente können unterstützen. / Foto: Stock.adobe.com/Vadym
In Deutschland gilt aktuell ein Viertel der Erwachsenen mit einem BMI über 30 kg/m² als adipös. »Mindestens jeder Dritte wird im Lauf seines Lebens adipös«, berichtete Professor Dr. Hans Hauner vom Else-Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin der TU München beim Kongress »Diabetologie grenzenlos« in München. Der Anstieg sei eng mit Lebensstil- und Umgebungsfaktoren assoziiert.
Die bisherigen Behandlungsoptionen seien begrenzt und nicht medikamentöse Gewichtsreduktionsprogramme bei den Betroffenen unbeliebt. Zudem sind deren Effekte oft mäßig und halten nur kurzfristig an. Daher hoffen viele auf gewichtssenkende Arzneistoffe. Diese Medikamente seien aber ausschließlich aus medizinischen Gründen und nur unter ärztlicher Aufsicht einsetzbar, betonte der Ernährungsmediziner. »Die Gewichtsreduktion durch Lebensstilmaßnahmen muss immer im Vordergrund stehen«. Arzneimittel sollten nur adjuvant und unter Beachtung von Nebenwirkungen und Adhärenz eingesetzt werden. Zudem sei die Wirksamkeit einzelner Arzneistoffe begrenzt, da das Körpergewicht komplex und redundant geregelt ist und rasch kompensatorische Mechanismen aktiv werden, um es stabil zu halten.
Die Palette der zugelassenen Medikamente zur Gewichtsreduktion ist überschaubar. In den USA, nicht aber in Europa zugelassen ist die Kombination des Amphetamin-Derivats Phentermin mit dem Antiepileptikum Topiramat (Qsymia®). Dagegen sind Cathin-Hydrochlorid, Naltrexon/Bupropion, Orlistat und Liraglutid auch in Deutschland zugelassen.
Der Appetitzügler Cathin-HCl (Norpseudoephedrin, Alvalin®) dämpft das Hungergefühl. Die mittlere Gewichtsreduktion über ein Jahr betrage etwa 3,5 kg, berichtete Hauner. Nebenwirkungen sind ein Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck. Dagegen ist Orlistat (Xenical®) als Lipase-Inhibitor im Dünndarm wirksam und inhibiert die Aufspaltung der Nahrungsfette. Damit werden weniger Fett und Cholesterol aufgenommen. Hier sei eine mittlere Reduktion des Gewichts um 3 kg zu erwarten.
Der Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1)-Agonist Liraglutid ist als Victoza® seit 2009 in der Diabetologie und seit 2016 in höherer Dosierung (0,6 mg bis zu 3,0 mg täglich subkutan) zum Abnehmen (Saxenda®) zugelassen. Dank verzögerter Magenentleerung und einem gedämpften Hungergefühl könne man das Gewicht um 4 bis 5 kg senken. In der gleichen Größenordnung gelingt dies laut Hauner mit der Kombination Bupropion/Naltrexon.
Der Arzt wies auf die hohen Therapiekosten der Medikamente hin. Da die Krankenkassen diese in der Regel nicht bezahlen, würden sie kaum eingesetzt.
Aktuelle Forschungsprojekte verfolgen Ansätze, die auf GLP-1-Koagonisten basieren. Ausgangspunkt für die Entwicklung der Kombinationsmoleküle waren die günstigen Effekte von GLP-1-Agonisten auf die Glucoseregulation bei gleichzeitiger Gewichtsabnahme.
Inzwischen sind zahlreiche unimolekulare Multiagonisten enwickelt worden. Am weitesten fortgeschritten sind Hauner zufolge GLP-1/Glukagon-Koagonisten. Die Polypeptide wirken agonistisch sowohl an GLP-1- als auch an Glucagon-Rezeptoren. Die kombinierten Substanzen hätten stärkere Effekte auf den Blutzucker und das Körpergewicht als die einzelnen Agonisten. Ebenso werden GLP-1/GIP-Koagonisten entwickelt; diese Kombinationsmoleküle wirken agonistisch an Rezeptoren von GLP-1 sowie an Glucose-abhängigen insulinotropen Peptiden (auch Gastric Inhibitory Polypeptide, GIP, genannt) und senken ebenfalls Blutglucose und Körpergewicht. Da GLP-1 und GIP zu den Inkretin-Hormonen zählen, werden die neuen Substanzen auch »Twincretine« genannt. In der frühen Entwicklungsstufe sind unimolekulare Triple-Agonisten, die agonistisch an Rezeptoren für GLP-1, GIP und Glucagon wirken. Laut Hauner forschen viele große Pharmafirmen an diversen Koagonisten. Bis zur Zulassung hat es aber noch kein Molekül geschafft.