Was ist dran am Antigen-Impfstoff? |
Christina Hohmann-Jeddi |
09.03.2021 15:30 Uhr |
Das Spike-Protein von SARS-CoV-2, vor allem dessen Rezeptor-Bindedomäne, ist das naheliegendste Antigen für Impfstoffe gegen den Pandemieerreger. / Foto: MPI für Biophysik/von Bülow, Sikora, Hummer
Eine Meldung machte in den vergangenen Tagen die Runde: Der Unternehmer und Mediziner Professor Dr. Winfried Stöcker aus Groß Grönau nahe Lübeck soll eine selbst hergestellte Vakzine an sich selbst und bis zu 100 Freunden und Mitarbeitern getestet haben – ohne Genehmigung.
In einem Bericht von »Spiegel TV« heißt es, er hätte möglicherweise die »Lösung für das Impfchaos« in Deutschland gefunden: ein Antigen, das immun gegen das SARS-Coronavirus-2 mache. Um was für ein Antigen es sich dabei handelt, wird in dem Beitrag nicht geklärt. Es sei aber nach Angaben Stöckers leicht und schnell zu produzieren. Innerhalb weniger Monate könne man ganz Deutschland damit versorgen. Als Vorteil wird herausgestrichen, dass das Antigen – anders als bei den mRNA- und Vektorimpfstoffen – nicht im Körper produziert werden müsse.
Was verbirgt sich hinter diesem Antigen? Zunächst einmal sollte noch einmal klar gestellt werden, dass alle Strukturen, die von Antikörpern erkannt werden, Antigene sind. Im Fall von SARS-CoV-2 sind es vor allem die Virusproteine und deren Fragmente, gegen die das Immunsystem Antikörper bildet. Auf seiner eigenen Website hat Stöcker Informationen zu dem von ihm entwickelten Antigen veröffentlicht. Dabei soll es sich um die Rezeptor-Bindedomäne (RBD) des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 handeln, die rekombinant hergestellt werden könne. Dieses Antigen sollte mit Alhydrogel (ein Aluminiumhydroxid-Gel) adjuvantiert werden.
Ist der Mediziner damit auf etwas ganz Besonderes gestoßen? Nein, gar nicht. Denn insgesamt 32 Prozent der aktuellen Impfstoffkandidaten, die sich derzeit gegen Covid-19 in klinischer Entwicklung befinden, sind solche Protein-Subunit-Impfstoffe. Sie enthalten alle entweder das Spike-Protein in voller Länge oder nur die RBD. Das geht aus der aktuellen Auflistung der Weltgesundheitsorganisation WHO aller internationaler Covid-19-Impfstoffprojekte hervor. So enthält zum Beispiel der adjuvantierte Impfstoff des US-Unternehmens Novavax, der bereits in der klinischen Phase III angekommen ist und von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in einem Rolling-Review-Verfahren geprüft wird, das Spike-Protein in voller Länge. Auch der Vakzine-Kandidat von Sanofi-Pasteur basiert auf dem Spike-Protein als Antigen. Das Prinzip der Protein-basierten Covid-19-Impfstoffe stellte die PZ bereits im Juli 2020 ausführlich vor.
Exakt dasselbe Konzept wie Stöckers Impfstoff – RBD als Antigen und ein Aluminium-Adjuvanz – haben laut WHO-Angaben noch zwei weitere Covid-19-Impfstoffkandidaten. Das Produkt vom Center for Genetic Engineering and Biotechnology (CIGB) in Kuba wird in einer Phase-I/II-Studie geprüft und das der Adimmune Corporation aus Taiwan befindet sich in Phase I.
Klinische Studien mit seinem Antigen hat Stöcker nicht initiiert, er hat den Impfstoff ohne Genehmigung verimpft. Seinen Angaben zufolge führe das Antigen bei 97 Prozent der Geimpften zu einer Antikörperbildung. Für seine ungenehmigten Untersuchungen hat sich der Unternehmer inzwischen zwei Strafanzeigen eingehandelt: Eine stammt vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und eine vom Landesamt für Soziale Dienste in Schleswig-Holstein. Es könne nicht ausgeschlossen werden, »dass weitere Herstellungen und Impfungen, die Gesundheit der Probanden schwer gefährden können«, heißt es von dort.
Zum Hintergrund: Anwendungen von experimentellen Impfstoffen am Menschen benötigen laut deutschem Arzneimittelgesetz (AMG) eine Bewilligung der klinischen Studie sowie die Begutachtung des klinischen Prüfpräparats vonseiten der zuständigen Behörde.
Protein-Subunit-Impfstoffe sind ein altes Prinzip, das betont auch Petra Falb, Gutachterin in der Zulassung für Impfstoffe beim österreichischen Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG), in ihrem Blog. Sowohl Grippe-Impfstoffe als auch HPV- und Hepatitis-Vakzinen basieren auf diesem Prinzip.
Bei der Herstellung des Impfantigens sei einiges zu beachten, gibt sie zu Bedenken. So werden solche Antigene rekombinant (gentechnisch) hergestellt. Dies bedeutet, dass ein viraler Vektor die Geninformation für das Antigen in eine geeignete Zelllinie einschleusen muss, die dann das Protein oder Proteinfragment herstellt. »Die Kontrolle solcher Zellen und auch der betreffenden Expressionssysteme plus der bei diesem Vorgang verwendeten Materialien, die meist zum Teil aus Tieren gewonnen werden, stellen einen sehr kritischen und heiklen Punkt in der Impfstoffherstellung dar, da all dies mit Fremdviren oder Mykoplasmen kontaminiert sein kann, ist es sehr wichtig, dass all dies gut charakterisiert und genetisch stabil ist«, schreibt Falb. Welche Systeme und Zelllinien bei Stöckers Vakzine verwendet werden, sei nicht erwähnt, kritisiert die Expertin. Überwacht wurde die Herstellung auch nicht.
Diese Art der Impfstoff-Herstellung ist zudem nicht einfacher und schneller als bei mRNA-Impfstoffen. Im Gegenteil: Die schnelle und einfache synthetische Produktion von mRNA-Impfstoffen, für die keine Zellen zur Vermehrung benötigt werden, gilt als einer der großen Vorteile dieser Impfstoffklasse (»Nature« 2018).
Da reibt man sich schon die Augen, wenn man liest, dass ein Unternehmer und Medizinprofessor beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) mit der Bitte vorstellig wird, einem von ihm entwickelten und produzierten »Impfstoff« gegen Covid-19 die Zulassung zu erteilen. Dies umso mehr, als man in den einschlägigen Quellen vergeblich nach dieser Impfstoffentwicklung sucht.
Wie sich herausstellt, hat dieser durchaus erfolgreiche Unternehmer die Rezeptor-Bindedomäne (RBD) des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 rekombinant hergestellt und isoliert und dieses Antigen dann im Selbstversuch getestet. Wenig überraschend konnte er dann nach kurzer Zeit auch Antikörper in seinem Blut nachweisen.
Schon ein solcher Selbstversuch löst bei mir Entsetzen aus. Dass dieser Molekularbiologe dann aber hingeht und knapp 100 weitere Menschen in seinem direkten Umfeld mit dieser Präparation »impft«, ist absolut verantwortungslos. Der Professor spricht dann auch noch beim PEI vor, was einer Selbstanzeige gleichkommt, da er bei der Entwicklung seines Antigen-Impfstoffs alle Konventionen und Vorschriften der Arzneimittelzulassung ignoriert hat. Man kann froh sein, dass das PEI darauf mit einer Anzeige reagiert hat.
Denn so wie Herr Stöcker meint, geht es nicht. Wer Gesetze nicht beachtet oder diese bricht, muss mit Strafverfolgung rechnen. So einfach ist das, auch wenn Teile der Presse mit Entrüstung reagieren.
Denn nicht umsonst ist die Zulassung von Impfstoffen, die ja bei gesunden Menschen prophylaktisch angewendet werden sollen, noch strenger geregelt als bei anderen Medikamenten. Wo sind die analytischen Daten, wo die toxikologischen Untersuchungen? Wo wurde das Antigen in den klinischen Phasen I bis III getestet? Sind die Antikörper, die tatsächlich nachgewiesen wurden, auch neutralisierende Antikörper? Und entfaltet eine Immunisierung mit diesem Antigen eine schützende Immunantwort?
Aus pharmazeutischer Sicht kann man über diese Naivität nur staunen. Dies sollten sich auch diejenigen zu Herzen nehmen, die Sympathie für den Unternehmer hegen, auch vor dem Hintergrund, wie kritisch von vielen der Astra-Zeneca-Impfstoff gesehen wird, der ein Vorschriften-konformes Test- und Zulassungsverfahren durchlaufen hat und seine Wirksamkeit mittlerweile eindeutig bewiesen hat.
Professor Dr. Theo Dingermann, PZ-Senior Editor