Warum Homöopathie niemanden kaltlässt |
Cornelia Dölger |
11.01.2024 16:30 Uhr |
»Die Homöopathie ist eine Leistung, die keinen medizinischen Nutzen auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sachstandes erbringt«, so Bundesgesundheitsminister Lauterbach. / Foto: imago images/CSP_Katyjay
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Finanzierung homöopathischer Behandlungen durch die gesetzlichen Krankenkassen streichen. »Die Homöopathie ist eine Leistung, die keinen medizinischen Nutzen auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sachstandes erbringt«, sagte Lauterbach heute in Berlin.
Deshalb solle eine solche Leistung nicht von den Kassen bezahlt werden. »Das können wir uns nicht leisten.« Zuerst hatte der »Spiegel« berichtet und sich dabei auf ein Maßnahmenpaket des Ministers aus dem vergangenen Mai bezogen. Die Streichung solle »in Kürze« gesetzlich umgesetzt werden, so Lauterbach heute. In welchem Gesetzesverfahren, sagte er nicht.
Das Thema ist ein politischer (und gesellschaftlicher ) Wiedergänger und flammte schon lange vor Lauterbachs Amtsantritt immer wieder auf. Während Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU) sich gegen eine Streichung der Erstattung ausgesprochen hatte, machte Lauterbach von Anfang an deutlich, dass er kein Freund der Homöopathie sei, und unterstrich die Bedeutung von Wissenschaft in der Therapie. »Mit der Wissenschaft werden Pandemien bekämpft und Krankheiten geheilt. Wir brauchen mehr Wissenschaft in der Behandlung, nicht weniger. Die Homöopathie hat keinen Platz in der modernen Medizin«, hatte er Oktober 2022 dem »Spiegel« gesagt und angekündigt, Globuli auf Rezept streichen zu wollen.
Teil des GKV-Leistungskataloges ist die Homöopathie in Deutschland zwar ohnehin nicht, allerdings wird seit Langem darüber gestritten, ob es Krankenkassen erlaubt sein sollte, homöopathische Präparate und Beratungen per Satzungsleistung zu erstatten. In Deutschland gibt es einige Kassen, die individuell beschlossen haben, ihren Versicherten neben dem Leistungskatalog zusätzliche Homöopathie-Angebote zu machen.
Unterstützung bekam Lauterbach heute aus der Ampelfraktion. Wie der FDP-Gesundheitsexperte Lars Lindemann der PZ mitteilte, sei der geplante Schritt »längst überfällig«. Zwar dürfe jeder, der Leistungen in Anspruch nehmen möchte, für die es keine wissenschaftliche Evidenz gibt, diese bekommen, sagte der für Apotheken zuständige Berichterstatter der FDP. Schließlich lebe man in einem freien Land. Allerdings: »Eine Bezahlung solcher Leistungen durch die Solidargemeinschaft kann man sich zwar wünschen, entspricht aber nicht ihrer Aufgabe.«
Auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, begrüßte den Vorstoß. »Es ist richtig, Homöopathie als Kassenleistung abzuschaffen«, sagte Gassen der »Rheinischen Post« (Freitagausgabe). Es spiele dabei keine Rolle, ob es sich um kleine oder große Summen handele, sondern es gehe ums Prinzip, so Gassen. »Leistungen, die allen Versicherten angeboten werden, müssen evidenzbasiert ihren Nutzen belegen.«
Der Umgang mit Homöopathie berührt ganz offensichtlich. Das Thema ist emotional höchst aufgeladen – von einem Konsens über den Umgang damit ist man weit entfernt. Bezeichnenderweise verläuft einer Umfrage aus dem vergangenen Mai zufolge die Grenze zwischen Für- und Gegensprechern ziemlich genau in der Mitte der Bevölkerung in Deutschland. Demnach wertet etwa mehr als die Hälfte der Deutschen homöopathische oder anthroposophische Arzneimittel als (eher) positiv. Frauen sind demgegenüber mit 62 Prozent aufgeschlossener als Männer (47 Prozent). Die Umfrage, an der mehr als 1000 Befragte teilnahmen, hatte der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) in Auftrag gegeben.
Auch bei den Heilberuflern ist die Homöopathie umstritten. Der Deutsche Ärztetag beschloss im Mai 2022, dass die Ärztekammern in Zukunft keine Weiterbildungen mehr für Homöopathie anbieten. Es gebe keine wissenschaftlichen Belege dafür, die Homöopathie guten Gewissens in der Weiterbildung zu behalten, hieß es. Im Januar 2023 ließ die AOK Plus verlauten, dass sie ab 1. April nicht mehr die Kosten für homöopathische Behandlungen bei Kassenärzten in Thüringen und Sachsen übernimmt.
Eine längere Diskussion bei den Apothekern gab es zuletzt beim Deutschen Apothekertag 2022 in München. Die Kammer Berlin hatte beantragt, die Zusatzbezeichnung »Naturheilverfahren und Homöopathie« der Musterweiterbildungsordnung in »Phytopharmazie und Naturheilkunde« umzubenennen. Der Titel suggeriere, dass die Homöopathie evidenzbasiert sei. Thomas Benkert, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), räumte damals ein: »Mir ist bewusst, dass Homöopathie nach wie vor ein Reizthema ist. Dennoch müssen wir interessierten Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit geben, sich über dieses Thema fundiert zu informieren.«
Auch der pharmazeutische Nachwuchs steht der Homöopathie kritisch gegenüber; das machte der Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD) zuletzt im vergangenen Mai in einem Positionspapier deutlich.
Ein Apotheker, der explizit auf seine naturwissenschaftlichen Ausbildung sowie Promotion samt Weiterbildung in Arzneimittelinformation hinweist und der Homöopathie dennoch etwas abgewinnen kann, ist der Hagener Apothekeninhaber Christian Fehske. Ihn habe Lauterbachs Forderung nicht überrascht, sagte Fehske der PZ. »Zur Einschätzung der Relevanz mag sich jeder sein eigenes Urteil bilden, aber vorsichtig formuliert sollten sich die Beitragszahler in der GKV davon keine Absenkungen ihrer Kassenbeiträge versprechen«, so Fehske. Tatsächlich liegen die Ausgaben der Kassen insgesamt bei nicht einmal 7 Millionen Euro, Tendenz sinkend.
Globuli spielten nicht nur in der Homöopathie, sondern auch in anderen naturheilkundlichen Therapieformen eine Rolle, betonte Fehske. Es gebe »auch über die Anthroposophie hinaus noch viel mehr Therapieformen und Arzneimittel, die stärker auf Erfahrung als unseren heutigen Maßstäben von wissenschaftlicher Evidenz basieren«. Darunter seien übrigens auch viele bekannte und von vielen geschätzte pflanzliche Arzneimittel.
Er wundere sich manchmal, sagte Fehske, warum die Debatte um Homöopathie derart emotional geführt werde. Man sollte sich mit Möglichkeiten und Grenzen von Naturheilkunde und Homöopathie sowohl dann auskennen, wenn man dazu berät, so Fehske weiter – »aber eben auch dann, wenn man sie kritisiert oder sogar abschaffen möchte«, sagte Fehske mit Seitenblick auf Lauterbachs Pläne. Grundsätzlich wünsche er sich mehr Gelassenheit in der Debatte. »Toleranz für Vielfalt sollte auch in Medizin und Pharmazie einen Platz haben.«
Zum Thema Toleranz und Vielfalt in der Apotheke hat sich Fehske vor Kurzem in einem PZ-Podcast ausführlich geäußert. Und auch beim kommenden PZ-Management-Kongress, der vom 20. bis 22. März 2024 in Palma de Mallorca stattfindet, wird Fehske zum Thema »Interkulturelle Vielfalt in der Apotheke« referieren.