Urlaub mit Nebenwirkung |
Christina Hohmann-Jeddi |
18.06.2025 18:00 Uhr |
In fremden Ländern trifft man auch auf fremde Erreger. Gerade bei rohen Nahrungsmitteln sollte man vorsichtig sein, um Magen-Darm-Infektionen zu vermeiden. / © Getty Images/Jim Purdum/Blend Images LLC
Wer eine Reise in andere Länder unternimmt, kommt immer auch mit neuen Erregern in Kontakt, die unter anderem Magen-Darm-Infektionen auslösen können. Reisedurchfall ist entsprechend häufig. Ein Update zu der Thematik gab Professor Dr. Robert Steffen von der Universität Zürich beim Forum für Reisen und Gesundheit des Centrums für Reisemedizin (CRM) Anfang März.
Einer aktuellen Metaanalyse zufolge sind 20 bis 56 Prozent aller Reisenden – im Durchschnitt jeder Dritte – von einer Reisediarrhö betroffen (»Journal of Travel Medicine«). Etwa 8 Prozent der Reisenden hatten demnach moderate und 3 Prozent schwere Erkrankungen. Allerdings beruhe dies auf älteren Daten; nach 2017 habe es keine Inzidenzstudien mehr gegeben, sagte Steffen.
Das Risiko für eine Reisediarrhö hängt dabei von einigen Faktoren ab. Der Publikation zufolge wirken ein Alter über 35 Jahre, eine Herkunft aus einem einkommensschwachen Land und der Besuch von Familie (im Vergleich zu touristischen Reisen) im Reiseland schützend. Dagegen erhöhen Rucksackreisen (im Vergleich zu luxuriösen Reisen) das Risiko. Auch vorbestehende Erkrankungen und Medikationen haben der Metaanalyse zufolge einen Einfluss: So steigt das Risiko für Reisedurchfall bei bestehendem allergischen Asthma, unter einer Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren oder psychiatrischen Arzneimitteln und auch bei erhöhtem Body-Mass-Index.
»Eine Durchfallerkrankung kann nicht nur die Reise beeinträchtigen, sondern auch langfristige Folgen haben«, machte Steffen deutlich. Sie kann zum Beispiel über eine anhaltende immunologische Aktivierung zu einem Reizdarmsyndrom führen. In einer niederländischen Studie entwickelten 12 Prozent der Probanden nach einem Reisedurchfall ein Reizdarmsyndrom (»Journal of Travel Medicine«, 2023). Dieses persistierte bei fast 80 Prozent über zwölf Monate. Von den Probanden, die auf ihrer Reise keine Durchfallerkrankung durchgemacht hatten, entwickelten immerhin 3,5 Prozent ein Reizdarmsyndrom.
Unter Diarrhö litten die Probanden in dieser Untersuchung vor allem auf Reisen in Indien, Südostasien, Südamerika und Ländern südlich der Sahara. Bei den Reisenden mit Reisedurchfall erhöhten eine Antibiotikaeinnahme, das Auftreten von Bauchkrämpfen und Übelkeit während der Reise sowie vorbestehende Erkrankungen das Risiko für ein Reizdarmsyndrom. Frauen und Personen, die vegan oder vegetarisch leben, waren häufiger betroffen. Einer Metaanalyse aus dem Jahr 2017 zufolge bestehe das höchste Risiko für ein Reizdarmsyndrom bei Infektionen mit Protozoen, vor allem Giardia lamblia, gefolgt von Bakterien und zum Schluss Viren, berichtete Steffen.
Das Erregerspektrum, das für Reisedurchfälle verantwortlich ist, unterscheidet sich regional. Die wichtigsten Erreger sind einer Studie aus dem Jahr 2023 zufolge enterotoxische Escherichia coli (ETEC), die in allen untersuchten Ländern einen Anteil von 67 bis 82 Prozent ausmachten (»Emerging Infectious Diseases«) . Inzwischen kämen in verschiedenen Regionen auch vermehrt enteropathogene (EPEC) und enteroaggregative Escherichia coli (EAEC) vor. Als bakterielle Erreger spielten zudem Shigellen und Campylobacter eine Rolle und bei den Viren vor allem Noroviren – besonders in Südostasien und Südamerika. Bei den Parasiten dominiere ganz klar der Einzeller Giardia lamblia, der in verschiedenen Regionen vor allem in Südasien und Subsahara-Afrika vorkomme. »Aktuelle Studien zeigen, dass in bis zu 60 Prozent der Fälle von Reisedurchfällen eine Mischinfektion vorliegt«, sagte der Reisemediziner.
Infektionen mit dem Parasiten Giardia lamblia können zu einem Reizdarmsyndrom führen. / © Getty Images/Scott Camazine
Bei der Diagnostik habe »das Mikroskop ausgedient«; heute würden die Erreger von Durchfallerkrankungen mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) bestimmt. Allerdings sei das meist nicht notwendig – eine PCR sei komplizierten, schwer verlaufenden Fällen vorbehalten, so Steffen.
Ein zunehmendes Problem stellten multiresistente Erreger (Extended Spectrum β-Lactamase-producing Enterobacteriaceae, ESBL-PE) dar. Das Risiko, sich einen solchen Keim zuzuziehen, steige mit zunehmender Reisedauer und sei erhöht bei Reisen in Länder mit niedrigem Einkommen speziell in Südasien, Reisedurchfall, Antibiotikaeinnahme, Krankenhausaufenthalt, Tierkontakt, Konsum von Street Food und Teilnahme an Massenveranstaltungen. »Nach Indienreisen tragen je nach Studie zwischen 34 und 93 Prozent der Rückkehrer ESBL-PE in sich«, verdeutlichte Steffen. Solche Infektionen können sehr schwer verlaufen. Bei Frauen rufen sie auch häufig eine Zystitis (Harnblasenentzündung) hervor.
Um Reisedurchfall vorzubeugen, ist vor allem eine konsequente Lebensmittel- und Trinkwasserhygiene wichtig. Reisende sollten ausschließlich abgekochtes, gefiltertes oder original verschlossenes Wasser trinken und auch zum Zähneputzen verwenden. Eiswürfel sollten vermieden werden, da sie häufig aus Leitungswasser hergestellt werden. Bei Lebensmitteln gilt die Faustregel: »Cook it, peel it or leave it« – also nur Speisen essen, die gekocht wurden oder die man selbst schälen kann. Besonders rohes Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte sowie nicht durchgegarte Eier und ungeschältes Obst oder Salate bergen ein erhöhtes Risiko, kontaminiert zu sein. Häufiges Händewaschen – immer mit Seife – hilft ebenfalls, Infektionen zu verhindern.
Darüber hinaus könne die prophylaktische Einnahme von Probiotika versucht werden, so Steffen. Einer aktuellen Metaanalyse zufolge liegt eine begrenzte Evidenz für die Wirksamkeit von verschiedenen probiotischen Stämmen vor (»Travel Medicine and Infectious Disease«). Dies sind neben Lactobacillus acidophilus, L. rhamnosus und L. fermentum auch Saccharomyces cerevisiae sowie Saccharomyces boulardii.
An Impfstoffen gegen verschiedene Erreger der Reisediarrhö wie Shigellen, ETEC und Noroviren werde derzeit gearbeitet, berichtete Steffen. Als Beispiel nannte er den Kandidaten ETVAX des Unternehmens Scandinavian Biopharma, der gegen vier verschiedene E.-coli-Stämme schützen soll. Die angestrebte Schutzwirkung von 70 Prozent sei in einer Phase-II-Studie allerdings nicht erreicht worden. Ebenfalls wenig überzeugend seien die Ergebnisse für den oral verabreichten Norovirus-Impfstoff VXA-G1.1-NN von Vaxart gewesen. Er reduzierte in einer Phase-II-Studie die Zahl der Norovirus-Infektionen um 30 Prozent, die Zahl der Gastroenteritiden aber nicht signifikant. »So schnell ist nicht mit Zulassungen für Impfstoffe zu rechnen«, schloss Steffen.
Eine mit Doxycyclin durchgeführte Malariaprophylaxe konnte dagegen die Inzidenz von Reisediarrhö erheblich senken. Das Ergebnis sei interessant, eine solche Prophylaxe aus seiner Sicht aber wegen möglicher Resistenzentwicklungen und negativer Einflüsse auf das Mikrobiom nicht empfehlenswert.
Falls es trotz aller Vorsicht doch zu Reisedurchfall kommt, ist die wichtigste Maßnahme der Ausgleich des Flüssigkeits- und Elektrolytverlustes. Dazu eignen sich am besten orale Rehydratationslösungen (ORS) aus der Apotheke. Alternativ können selbst hergestellte Lösungen aus Wasser, Salz und Zucker helfen. Bei leichten Symptomen genügt es oft, viel zu trinken und leichte Kost zu sich zu nehmen. In schwereren Fällen können Medikamente wie Loperamid kurzfristig zur Symptombekämpfung eingesetzt werden.
Es stelle sich immer die Frage, ob Antibiotika eingenommen werden sollten. Dagegen spreche das erhöhte Risiko für Infektionen mit multiresistenten Erregern – dafür, dass das Reiseerlebnis mit einer Antibiotikaeinnahme weniger beeinträchtigt sei und das Risiko eines Reizdarmsyndroms sinke. Steffen empfahl eine Therapie mit einer Einzeldosis Azithromycin, Rifaximin oder Levofloxacin (plus Loperamid). Diese schädige das Darmmikrobiom nicht und steigere im Gegensatz zu einer längeren Antibiotikaeinnahme auch die Zahl der Resistenzgene nicht.
Bei anhaltendem oder blutigem Durchfall, hohem Fieber oder schweren Begleitsymptomen ist unbedingt ärztliche Hilfe erforderlich.