UK: Inflation beschleunigt Apothekensterben |
Jennifer Evans |
17.01.2023 14:00 Uhr |
Der UK-Apothekerverband National Pharmaceutical Association hat die Auswirkungen der Inflation auf die Offizinen im Land untersuchen lassen. / Foto: Imago Images/Jürgen Schwarz
Nachdem der Inflationsdruck im vergangenen Jahr stark angestiegen ist, hat die National Pharmacy Association (NPA) im Juni 2022 eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse zweier Wissenschaftler aus London sprechen eine deutliche Sprache: Passiert nichts, müssen bald Tausende Apotheken im Vereinigten Königreich aufgrund der steigenden Kosten und der stagnierenden Finanzierung durch den nationalen Gesundheitsdienst National Health Service (NHS) schließen. Betroffen sind vor allem Offizinen in England. Die bedrohten Apotheken befinden sich meist in benachteiligten Gebieten, wo die NHS-Arzneimittelversorgung ernsthaften Schaden nehmen könnte, wenn die Regierung nicht bald eingreift.
Zum Hintergrund: Die Untersuchung »Protecting the UK Public Interests in NHS Community Pharmacy« hatte der NPA im Nachgang zu einer Ernst & Young-Studie aus dem September 2020 in Auftrag geben. Diese hatte seinerzeit nämlich ein Defizit von 500 Millionen Pfund (knapp 564 Millionen Euro) bei der Finanzierung von Apotheken bis zum Jahr 2024 ermittelt sowie klar herausgestellt: Das NHS-Apothekennetz ist unterfinanziert. Die Vereinbarungen zum aktuellen Rahmenvertrag für Apotheken gelten für den Zeitraum zwischen 2019 und 2024 und gehen damit auf Abmachungen vor der Pandemie beziehungsweise Inflationskrise zurück.
Einige Vor-Ort-Apotheken in Großbritannien seien während der Covid-19-Pandemie vermutlich künstlich offengehalten worden, weil sie vorübergehende staatliche Zahlungen erhielten und gleichzeitig geringere Einnahmen akzeptierten oder sogar Schulden machten, berichtete das »Integrated Care Journal«. Demnach hatten viele Offizinen zudem ihr Dienstleistungsangebot in den letzten Jahren reduziert. Oder ihre Öffnungszeiten verkürzt – die Rede ist von durchschnittlich sechs Stunden pro Woche.
Außerhalb Englands sieht das Bild jedoch etwas weniger düster aus. Das liegt daran, dass man die NHS-Apothekenhonorare in Wales in Richtung pharmazeutischer Dienstleistungen umschichtete und Apothekerinnen und Apotheker in Schottland inzwischen einige Krankheiten selbst diagnostizieren und behandeln dürfen, für die früher ein Hausarzt nötig war. Es geht um gängige Beschwerden wie etwa Hals- und Ohrenschmerzen, Lippenbläschen oder Harnwegsinfektionen. Die PZ hatte bereits darüber berichtet.
Nach NPA-Angaben ist der inflationsbereinigte Wert der Vergütungssumme der NHS-Apotheken zwischen den Jahren 2015 und 2017 um 10 Prozent auf rund 2,5 Millionen Pfund (gut 2,8 Millionen Euro) gesunken und stagnierte ohne weiteren Inflationsausgleich. Vor diesem Hintergrund wird der Anteil der englischen NHS-Finanzierung für die Apotheken bis 2024 um mehr als ein Drittel sinken. Die gestiegenen NHS-Ausgaben sowie die höheren Inflationsraten bedeuteten aber auch, dass der Rückgang wahrscheinlich größer ausfallen werde als angenommen. Die neuesten Auswertungen zeigen, dass die Nettofinanzlücke für die Apotheken in England bei bis zu 15 Prozent im Jahr 2023 und zwischen 20 und 25 Prozent im Jahr 2024 liegt.
Die Autoren des Berichts, Professor David Taylor vom University College London und Panos Kanavos von der London School of Economics and Political Science, haben angesichts der Ergebnisse die Regierung aufgefordert einzugreifen, um das Apothekensterben aufzuhalten und das Überleben des Sektors sicherzustellen.
Vielleicht lässt sich das Schlimmste noch einmal abwenden. Denn auch der Apothekennachwuchs im Vereinigten Königreich wird ja demnächst verschreiben können. Außerdem hatte die UK-Regierung bereits angekündigt, dass die Offizinen in Zukunft einen Teil der klinischen Dienstleistungen übernehmen sollen, um so den Druck auf die Hausarztpraxen und die Notaufnahmen zu verringern. Angefangen hat das etwa mit der Unterstützung des NHS durch Blutdruckmessungen Leben zu retten und Diabetes-Beratungen anzubieten sowie Krebserkrankungen frühzeitig auf die Spur zu kommen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.