Steckbrief Levetiracetam |
Brigitte M. Gensthaler |
10.01.2023 09:00 Uhr |
Das Antikonvulsivum Levetiracetam kann als Zusatztherapie ab dem Säuglingsalter bei verschiedenen Epilepsieformen eingesetzt werden. / Foto: Adobe Stock/Tobilander
Wofür ist Levetiracetam zugelassen?
Levetiracetam ist zur Monotherapie partieller Anfälle mit oder ohne sekundäre Generalisierung bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 16 Jahren mit neu diagnostizierter Epilepsie indiziert. Als Zusatztherapie darf es bereits bei epilepsiekranken Säuglingen ab einem Monat eingesetzt werden. Ebenfalls als Add-on-Therapie ist es indiziert bei Menschen ab zwölf Jahren mit juveniler myoklonischer Epilepsie sowie zur Behandlung von primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen bei Patienten ab zwölf Jahren mit idiopathischer generalisierter Epilepsie.
Anders als einige ältere Antikonvulsiva sollte Levetiracetam nicht in anderen Indikationen, zum Beispiel bei neuropathischen Schmerzen oder bipolarer Erkrankung, eingesetzt werden.
Wie wird Levetiracetam dosiert?
Patienten ab 50 kg Körpergewicht nehmen initial zweimal täglich 500 mg ein. Man kann auch mit halber Dosierung starten und nach zwei Wochen verdoppeln. Je nach Ansprechen und Verträglichkeit kann die Tagesdosis bis auf 3000 mg, aufgeteilt in zwei Gaben, gesteigert werden. Anfangs- beziehungsweise Höchstdosis für Kinder und Jugendliche ab 25 kg Körpergewicht sollten 250 mg beziehungsweise 750 mg, jeweils zweimal täglich, betragen.
Für Säuglinge und (Klein-)Kinder, Patienten unter 50 kg sowie mit eingeschränkter Nierenfunktion und Dialysepflicht müssen Dosis und Einnahmehäufigkeit angepasst werden. Die Fachinformationen geben dafür genaue Hinweise. Bei leicht bis mäßig eingeschränkter Leberfunktion ist keine Dosisanpassung nötig.
Die Tabletten können unabhängig von einer Mahlzeit geschluckt werden. Säuglinge und Kinder unter sechs Jahren sollten eine Lösung zum Einnehmen bekommen. Die Lösung kann direkt aus einer Applikationsspritze verabreicht oder in einem Glas Wasser verdünnt werden. Nach der oralen Verabreichung kann der bittere Geschmack von Levetiracetam spürbar sein. Die Infusion ist eine Option, wenn eine orale Medikation kurzzeitig nicht möglich ist. Es ist keine Dosistitration nötig. Es gibt aber keine Erfahrungen mit der intravenösen Anwendung über mehr als vier Tage.
Muss das Medikament abgesetzt werden, erfolgt dies ausschleichend nach einem definierten Schema.
Wie wirkt Levetiracetam?
Levetiracetam ist ein Pyrrolidon-Derivat (S-Enantiomer). Obwohl der Wirkstoff seit rund 35 Jahren auf dem Markt ist, ist der Wirkmechanismus nicht vollständig aufgeklärt. Laut In-vitro-Studien am Tier bindet Levetiracetam an das synaptische Vesikelprotein SV2A, das an der Vesikelfusion und der Exozytose von Neurotransmittern beteiligt sein soll. Dies soll zum antiepileptischen Wirkmechanismus beitragen. Außerdem beeinflusst Levetiracetam die intraneuronalen Calciumspiegel, indem der durch N-Typ-Kanäle vermittelte Calciumionen-Strom partiell inhibiert und die Freisetzung von Calciumionen aus intraneuronalen Speichern vermindert wird. Weiterhin kehrt es partiell die Reduktion der GABA- und Glycin-gesteuerten Ströme um.
In klinischen Studien wurde die Aktivität von Levetiracetam bei partiellen und generalisierten Epilepsien beim Menschen bestätigt. Es wirkt nicht prokonvulsiv; der primäre Metabolit ist inaktiv.
Welche Nebenwirkungen sind möglich?
Die häufigsten Nebenwirkungen sind Nasopharyngitis, Somnolenz, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schwindel. Häufig kommt es auch zu psychiatrischen Symptomen wie Depression, Feindseligkeit/Aggression, Angst, Insomnie, Nervosität und Reizbarkeit sowie Erkrankungen des Nervensystems wie Gleichgewichtsstörungen, Lethargie und Tremor. Auch Psychosen und Suizidgedanken können auftreten. Das Sicherheitsprofil von Levetiracetam ist in den verschiedenen Altersgruppen und zugelassenen Indikationen im Allgemeinen ähnlich, jedoch treten Nebenwirkungen, die das Verhalten und die Psyche betreffen, bei Kindern häufiger auf als bei Erwachsenen.
Was tun bei Überdosierung?
Es gibt kein spezifisches Antidot. Nach einer akuten Überdosierung kann der Magen durch Magenspülung oder Erbrechen entleert werden. Die Überdosierung wird symptomatisch behandelt, eventuell auch mit Hämodialyse.
Was ist in der Schwangerschaft zu beachten?
Laut dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Berliner Charité Embryotox ist Levetiracetam neben Lamotrigin das Antiepileptikum der Wahl in der Schwangerschaft. Es sollte möglichst in Monotherapie verordnet werden; die Kombinationstherapie mit Lamotrigin scheint aber nicht mit einem erhöhten Fehlbildungsrisiko verbunden zu sein. Stillen ist bei Monotherapie und guter Beobachtung des Kindes akzeptabel.
Wichtig für die Mutter: Während der Schwangerschaft steigt die Clearance des Antikonvulsivums, wobei eine vermehrte renale Ausscheidung sowie ein gesteigerter enzymatischer Abbau eine Rolle spielen können. Ab dem ersten Trimenon können die Plasmaspiegel deutlich sinken, sodass Dosisanpassungen notwendig werden können. Postpartal normalisiert sich die Clearance innerhalb von Tagen bis Wochen. Levetiracetam ist plazentagängig
Und bei älteren Menschen?
Im Medikamentenklassifizierungssystem »Fit for The Aged« (FORTA-Liste 2021) ist Levetiracetam als »vorteilhaft« eingestuft (Gruppe B). Auf jeden Fall muss die Tagesdosis individuell gemäß der Nierenfunktion festgelegt werden.
Auf welche Wechselwirkungen ist zu achten?
Es scheint keine relevanten Wechselwirkungen zwischen Levetiracetam und anderen Antiepileptika zu geben. Auch mit Digoxin, oralen Kontrazeptiva oder Warfarin wurden keine pharmakokinetisch relevanten Interaktionen beobachtet.
Bei gleichzeitiger Anwendung mit Methotrexat verringert sich die MTX-Clearance, was dessen Toxizität erhöht. Daher sollten die Serumkonzentrationen der Wirkstoffe sorgfältig überwacht werden. Die gleichzeitige Einnahme von Macrogol kann die Wirksamkeit von oral angewendetem Levetiracetam verringern. Daher sollte unbedingt ein zeitlicher Abstand von mindestens einer Stunde zwischen den Einnahmen liegen.
Sicherheitshinweis
Levetiracetam hat geringe bis mäßige Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn Somnolenz oder andere zentralnervöse Störungen auftreten. Den Patienten ist zu raten, kein Fahrzeug zu führen oder Maschinen zu bedienen, bis klar ist, dass ihre Fähigkeiten dazu nicht beeinträchtigt sind.
Strukturformel Levetiracetam / Foto: Wurglics