Situation in den Krankenhäusern wird ernster |
Christina Hohmann-Jeddi |
12.11.2020 15:00 Uhr |
Die steigende Zahl an hospitalisierten Covid-19-Patienten und Ausfälle beim medizinischen Personal bringen Kliniken in Bedrängnis, berichtete RKI-Präsident Professor Dr. Lothar Wieler beim Pressebriefing in Berlin. / Foto: Wenzel-Pool/Getty Images
Trotz des Teil-Lockdowns sei die Lage in Deutschland nach wie vor ernst, betonte der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Professor Dr. Lothar Wieler, bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Berlin. Die Fallzahlen stiegen in Deutschland weiterhin an. Am Vortag wurden dem RKI insgesamt 21.866 bestätigte SARS-CoV-2-Infektionen gemeldet. Mit der Zunahme der Neuinfektionen steige auch – mit einem zeitlichen Verzug von etwa zwei Wochen – die Zahl der schweren Covid-19-Verläufe und der Patienten, die intensivmedizinisch behandelt werden müssten, berichtete Wieler. Man müsse damit rechnen, dass einige Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen könnten.
Derzeit werden laut Daten des Registers der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) 3127 Covid-19-Patienten intensivmedizinisch betreut; davon werden 1787 beatmet (56 Prozent). »Das sind jetzt schon mehr als im April«, sagte Wieler. In den letzten beiden Wochen habe sich die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen verdoppelt. Die Zahl werde noch weiter steigen, vor allem auch weil der Anteil der Über-60-Jährigen an den Infizierten wieder zugenommen habe. Den Zeitverzug müsse man im Hinterkopf haben, wenn man bedenke, was auf die Intensivstationen noch zukomme.
»Neben der quantitativen Auswertung geben die am DIVI beteiligten Kliniken auch eine individuelle Einschätzung der Gesamtsituation an«, berichtete Wieler. Diese bezieht neben der reinen Bettenauslastung auch die Personalsituation mit ein sowie die Arbeitsbelastung und die Raumsituation. »Während in den Sommermonaten eine stabile Verfügbarkeit der invasiven Beatmung angegeben wurde, wechselten in den letzten vier Wochen zahlreiche Kliniken auf den Status ›begrenzte Verfügbarkeit‹ oder ›gar keine Verfügbarkeit‹«, sagte der RKI-Präsident.
Aktuell berichte fast die Hälfte der an das Register meldenden Kliniken von einer eingeschränkten Verfügbarkeit. Während Beatmungsgeräte und Materialien kein Problem darstellten, seien die Räumlichkeiten und vor allem das medizinische Personal die limitierenden Faktoren. Der Grund hierfür sei, dass durch die hohen Fallzahlen auch zunehmend Personal infiziert sei oder in Quarantäne müsse. »Es kommt somit zunehmend zu Einschränkungen des Betriebs aufgrund von Personalmangel.« Die Kliniken müssten sich auf diese Engpässe vorbereiten und das täten sie auch schon, sagte Wieler.
Vorsichtig optimistisch stimme ihn, dass die Kurve der Neuinfektionen zuletzt weniger steil gestiegen sei. Noch wisse man aber nicht, ob es sich dabei um eine stabile Entwicklung handele. Es sei abzuwarten, ob sich dies fortsetze. Für eine Beurteilung der Effekte des derzeitigen Teil-Lockdowns sei es noch zu früh.
Ziel der Maßnahmen ist es, die bundesweite Inzidenz von derzeit 138 pro 100.000 auf 50 pro 100.000 Einwohner zu senken. Wie schnell das Infektionsgeschehen abgebremst werden könne, hänge vom Verhalten der Menschen ab, betonte Wieler. Er rief erneut zum Einhalten der Maßnahmen auf. Regeln wie Abstandhalten, Tragen von Mund-Nasen-Schutz, Hygiene und Lüften würden die Menschen noch lange begleiten. »Wir müssen noch ein paar Monate die Pobacken zusammenkneifen«, sagte er. Selbst bei baldiger Zulassung eines oder mehrerer Impfstoffe müssten die Maßnahmen noch den Winter über umgesetzt werden. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland habe den Sinn der Maßnahmen verstanden.
Nicht auszuschließen sei, dass die beobachtete Abnahme der Zahl der gemeldeten Neuinfektionen auch mit der geänderten Teststrategie zusammenhänge. Dieser zufolge sollen nämlich aufgrund der überlasteten Diagnostiklabore nur noch Patienten mit schweren Symptomen auf SARS-CoV-2 getestet werden, Personen mit milderen Symptomen oder Asymptomatische dagegen nicht. Entsprechend könne es sein, dass man vermehrt schwere Verläufe erfasse, aber milde Infektionen übersehe. Die eigentliche Zahl der Infektionen könne daher höher sein als die Zahl der Meldungen der Gesundheitsämter. Schon vor der Änderung der Testkriterien sei das RKI von einer Dunkelziffer ausgegangen, die vier- bis fünfmal so hoch wie die offiziellen Zahlen lag.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.