Sicher verhüten ohne Hormone |
Carolin Lang |
08.02.2024 18:00 Uhr |
Damit auch Personen mit dem Wunsch nach hormonfreier Kontrazeption die bestmögliche Beratung erhalten, beleuchtet eine neue Leitlinie nicht hormonelle Verhütungsmethoden. / Foto: Getty Images/dragana991
Bei der Wahl einer Verhütungsmethode spielen viele Faktoren eine Rolle: potenzielle Nebenwirkungen, der Schutz vor sexuell übertragbaren Infektionen (STI), die Langfristigkeit und Kosten der Methode sowie ihre Zuverlässigkeit. Aufgrund gefürchteter »negativer Auswirkungen auf Körper und Seele« sehen sexuell aktive Menschen hormonelle Verhütungsmethoden hierzulande zunehmend kritisch, zeigt eine repräsentative Wiederholungsbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die Nutzung der »Pille« geht entsprechend zurück.
Um den Wunsch vieler Menschen nach hormonfreier Verhütung zu adressieren, haben die Deutsche, Österreichische und Schweizerische Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe nun erstmals eine Leitlinie zur nicht hormonellen Empfängnisverhütung erstellt. Sie behandelt etwa die natürliche Familienplanung (NFP), Barriere-Methoden, Coitus interruptus (CI), Intrauterinpessare (IUP) und Sterilisation.
Um zu beurteilen, wie effektiv eine Verhütungsmethode ist, wird zwischen Gebrauchs- und Methodensicherheit unterschieden. Während erstere die Effektivität während der tatsächlichen Anwendung (»typical use«) beschreibt, drückt letztere die Effektivität bei idealer Anwendung (»perfect use«) aus. Sie werden üblicherweise als Raten unbeabsichtigter Schwangerschaften pro 100 Frauen pro Jahr angegeben.
Verhütungsmethode | Gebrauchssicherheit | Methodensicherheit |
---|---|---|
Sterilisation Mann | 0,15 | 0,1 |
Sterilisation Frau | 0,5 | 0,5 |
Kupfer-IUP mit ≥ 300 mm² Kupferoberfläche | 0,06 – 1 | k. A. |
Sensiplan® | 1,8 – 2,3 | 0,4 |
Kondom für den Mann | 13 | 2 |
Portiokappe ohne vaginale Geburt | 14 – 16 | k. A. |
Diaphragma mit Spermizid | 12 – 18 | 4 – 14 |
Coitus interruptus | 20 | k. A. |
Frauenkondom | 21 | 5 |
Portiokappe nach vaginaler Geburt | 29 | k. A. |
Bei der NFP werden hormonabhängige Parameter wie die Basaltemperatur oder der Zervixschleim herangezogen, um die fruchtbaren Tage zu bestimmen, ohne dabei in den Zyklus einzugreifen. So kann eine Schwangerschaft geplant, aber eben auch verhindert werden. »Obwohl alle Methoden der natürlichen Familienplanung die gleiche Grundintention haben, gibt es große Unterschiede in der Effektivität«, heißt es in der neuen S2k-Leitlinie. Die Methoden unterscheiden sich hinsichtlich des Regelwerks, nach dem die jeweiligen Parameter ausgewertet werden.
Bei Wunsch nach hoher kontrazeptiver Sicherheit seien derzeit »nur symptothermale Methoden mit hoher Effektivität« zu empfehlen. Dabei werden im Gegensatz zu sogenannten Einzeichen-Methoden stets zwei Parameter ausgewertet. Die sichere Anwendung setzt immer eine einführende Schulung beziehungsweise Beratung voraus.
Die Sensiplan®-Methode ist laut Leitlinie die am meisten untersuchte und validierte symptothermale Methode. Die Gebrauchssicherheit wird mit 1,8 bis 2,3 angegeben, womit sie zu den »sehr sicheren Familienplanungsmethoden« zähle.
Nicht infrage kommt die NFP bei Amenorrhö, die nicht postpartal bedingt ist, sowie bei kognitiven Einschränkungen. Arzneimittel, die den Zyklus beeinträchtigen, schränken die Anwendung ein. Für besondere Lebensphasen wie nach einer Geburt oder in der Stillzeit gelten Sonderregeln.
Mit Zyklus-Apps lassen sich Zyklusparameter tracken, um das fertile Fenster zu ermitteln. Sie werden nicht nur als Menstruationskalender, sondern auch bei Kinderwunsch oder zur Kontrazeption genutzt. Die Leitlinie unterscheidet vier Typen. Sogenannte Prognose-Apps sagen das fertile Fenster meist aufgrund von Durchschnittswerten anhand der Dauer weniger, vorangegangener Zyklen vorher. Derartige Prognosen seien nicht zuverlässig, heißt es in der Leitlinie. Auch von Apps oder Zykluscomputern, die auf Messung der Basaltemperatur beruhen, rät die Leitlinie zur sicheren Kontrazeption derzeit ab, da Effektivitätsstudien fehlten beziehungsweise erhebliche Mängel aufwiesen. Für viele NFP-Methoden existierten mittlerweile passende, mit dem jeweiligen Regelwerk programmierte Apps. »Nutzerinnen von effektiven Varianten der symptothermalen Methode können zur Unterstützung der Dokumentation geeignete NFP-Apps verwenden«, lautet die Empfehlung. Gebrauchssicherheitsstudien, die belegen, dass die In-App-Führung eine sichere Anwendung ermöglicht, fehlten jedoch bislang. Apps und Messsysteme, die auf anderen Parametern beruhen, etwa peripherer Körpertemperatur oder nächtlicher Pulsrate, ordnet die Leitlinie aktuell noch als experimentell ein und empfiehlt sie nicht zur Kontrazeption.
Barriere-Methoden verhindern, dass Spermien und Eizelle zusammentreffen. Am bekanntesten ist wohl das Kondom, dessen Nutzung parallel zum Rückgang hormoneller Verhütungsmethoden zunimmt. Da sie das sexuelle Empfinden beeinträchtigen können, werden sie nicht immer konsequent angewendet. Die Gebrauchssicherheit liegt laut Leitlinie bei 13. Ein wichtiger Zusatznutzen ist der Schutz vor STI.
Menschen, die mit Kondomen verhüten, sollten auf eine passende Größe, das Vorhandensein eines CE-Prüfzeichens sowie das Haltbarkeitsdatum achten. Wichtig ist, die Kondome vor Hitze und Sonne geschützt zu lagern und sie nicht ständig Druck und Reibung, zum Beispiel durch Lagerung im Portemonnaie, auszusetzen.
Es sollte kein Gleitgel in das Kondom appliziert werden, da dadurch die Gefahr steigt, dass es abrutscht. Gleitgele auf Wasser- oder Silikonöl-Basis können insbesondere bei trockener Vagina das Risiko reduzieren, dass das Kondom reißt. Achtung: Gleitgele sowie Vaginalia auf fettlöslicher Basis können Latex-Kondome schädigen. Bei Non-Latex-Kondomen ist das Risiko, dass das Kondom abrutscht oder reißt, generell höher.
Von Kondomen, die mit Nonoxynol-9 beschichtet sind, rät die Leitlinie klar ab. Ein zusätzlicher kontrazeptiver Schutz sei nicht belegt. Stattdessen gebe es »deutliche Hinweise«, dass das Spermizid die Vaginalhaut angreift, zu Erosionen führt und so das Risiko für eine STI-Übertragung erhöht. Es könnte bei Frauen außerdem das Risiko für Harnwegsinfekte erhöhen.
Weniger kontrazeptive Sicherheit als das Kondom für Männer bietet das Frauenkondom. Es kann bis zu acht Stunden vor dem Geschlechtsverkehr mit dem geschlossenen Ende in die Vagina eingelegt werden, ein offener Ring verbleibt auf der Vulva. Es wurde primär zum Schutz vor STI entwickelt, doch ist unklar, wie sich dieser verglichen mit dem Schutz durch Kondome für Männer verhält.
Die Leitlinie rät, immer das größtmögliche Diaphragma anzuwenden, das keine Beschwerden verursacht. / Foto: PantherMedia/Andriy Popov
Weitere Barriere-Methoden für Frauen sind das Diaphragma und die Portiokappe. Mit einem motilitätshemmenden oder spermiziden Gel angewendet, entsteht eine mechanisch-chemische Barriere vor dem Muttermund, die verhindert, dass Spermien in den Gebärmutterhals (Zervix) wandern.
Nach dem Geschlechtsverkehr sollte das Diaphragma nicht länger als 24 bis 30 Stunden und eine Kappe nicht länger als 48 Stunden in der Vagina verbleiben, beide aber mindestens sechs Stunden. Während der Menstruation sollten sie nicht angewendet werden.
Die Anwendung verlangt laut Leitlinie »etwas Übung« und setzt voraus, dass Anwenderinnen zur vaginalen Selbstuntersuchung bereit sind, die Zervix ertasten und den korrekten Sitz der Barriere überprüfen können. Eine geschulte Fachkraft sollte die Anwendung zunächst erklären, die richtige Größe und den adäquaten Sitz überprüfen und Kontrolluntersuchungen anbieten.
Die Datenlage zur kontrazeptiven Sicherheit ist insgesamt dünn, doch wird die der aktuell verfügbaren Portiokappe (in Deutschland außer Handel) als geringer beschrieben, insbesondere bei vorangegangenen Geburten. Unklar ist, wie effektiv die Nutzung ohne Gel verglichen zu der mit Gel ist. Die Leitlinie rät, ein Verhütungsgel anzuwenden, vorzugsweise auf Milchsäurebasis und nicht mit Nonoxynol-9. Es gibt keine zuverlässigen Belege, dass diese Verhütungsmethoden hinreichend vor STI schützen.
Der CI bezeichnet das Herausziehen des Penis aus der Vagina vor einer Ejakulation und ist laut Leitlinie nicht zur Verhütung zu empfehlen. Situationsbedingt ist er jedoch effektiver, als gar nicht zu verhüten. Die Effektivität hängt wesentlich davon ab, ob der Mann den Penis rechtzeitig zurückzieht. Die Gebrauchssicherheit wird mit 20 angegeben.
Oftmals wird der sogenannte Lusttropfen (Präejakulat) für ungewollte Schwangerschaften nach dem CI verantwortlich gemacht. Es ist laut Leitlinie jedoch umstritten, ob dieses bei sexueller Erregung austretende Sekret motile Spermien enthält beziehungsweise ihre Anzahl für eine Konzeption ausreichen würde. Um Spermien, die potenziell von einer vorangegangenen Ejakulation in der Harnröhre verblieben sind, auszuwaschen, wird Männern empfohlen, vor einem Sexualkontakt mit CI zu urinieren. »Daten, die diese Empfehlung stützten, fehlen jedoch«, heißt es in der Leitlinie.
Kupferspiralen (Cu-IUP) ordnet die Leitlinie als sehr effektive Kontrazeptiva ein. In den Uterus eingesetzt, schädigen sie Spermien und verändern die Gebärmutterschleimhaut so, dass sich eine befruchtete Eizelle nicht einnisten könnte. Sie schützen nicht vor STI. Ist ein Schutz gewünscht, sollte zusätzlich mit einer Barriere-Methode verhütet werden.
Effektive Cu-IUP haben laut Leitlinie eine Oberfläche von mindestens 300 mm². Vor dem Einsetzen sollte eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden; ein zytologischer Abstrich sei nicht nötig, sofern regelmäßig ein Zervixkarzinom-Screening erfolgt. Es wird empfohlen, die Lage des IUP sechs Wochen nach Einlage und dann regelmäßig im Abstand von zwölf Monaten zu kontrollieren. Frauen könnten den Rückholfaden zudem selbst ertasten. Bemerken sie eine Änderung der Länge oder fühlen den Stamm des IUP, sollten sie zusätzlich verhüten und eine Kontrolluntersuchung vereinbaren.
Das Risiko für aszendierende Genitalinfektionen ist laut Leitlinie in den ersten Wochen nach der Einlage erhöht. Im Vergleich zu vor der Einlage und anderen kontrazeptiven Methoden sei außerdem das Risiko für bakterielle Vaginosen möglicherweise leicht erhöht, heißt es weiter.
Vor der Einlage sollten Frauen über das Risiko einer Perforation der Gebärmutterwand bei oder nach Einlage eines IUP Bescheid wissen. »Es ist ein extrem seltenes Ereignis, wenn die IUP-Einlage durch eine erfahrene Fachperson durchgeführt wird«, klärt die Leitlinie auf. Auch das Risiko einer (partiellen) Expulsion, bei der das IUP ausgestoßen wird, sollten Frauen kennen. Die Fertilität scheint nach aktueller Datenlage nach Anwendung eines IUP nicht beeinträchtigt.
Auch die Sterilisation ist laut Leitlinie eine sehr sichere Methode zur Verhütung. Bei Frauen werden dazu die Eileiter verschlossen, bei Männern die Samenleiter durchtrennt. Die männliche Sterilisation ist dabei weniger invasiv. Diese Verhütungsmethode sollte denjenigen vorbehalten sein, die eine definitive Kontrazeption wünschen, da von einer erfolgreichen Refertilisierung nicht ausgegangen werden könne. Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht.