Senioren und problematische Arzneiformen |
Kerstin A. Gräfe |
26.11.2021 14:50 Uhr |
Senioren sind aufgrund abnehmender motorischer Fähigkeiten mit der korrekten Anwendung von Arzneiformen oft überfordert. / Foto: Your_Photo_Today
Fehlt es Patienten an feinmotorischen, visuellen und kognitiven Fähigkeiten, um ein Arzneimittel sachgerecht anzuwenden, ist der Therapieerfolg naturgemäß gefährdet. Dr. Wolfgang Kircher, Peißenberg, veranschaulichte die Problematik anhand der Handhabung eines kapselbasierten Inhalators. »Zunächst sind feinmotorische Fähigkeiten erforderlich«, sagte der Apotheker auf einer Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Nordrhein. Diese werden benötigt, um die Kapsel aus dem Blister herauszudrücken und um sie exakt im Inhalator zu platzieren. Auch für das Drücken der seitlichen Tasten zwecks Kapselentleerung müsse eine gewisse Fingerfertigkeit vorhanden sein. Zudem muss man Geräusche hören, um das Drehen der Kapsel registrieren zu können. Sehr wichtig seien des Weiteren visuelle Fähigkeiten, um die vollständige Entleerung prüfen zu können. »Nicht zuletzt sind kognitive Fähigkeiten essenziell, da der Patient alle Schritte in der richtigen Reihenfolge machen muss«, so der Apotheker.
Vor allem hinsichtlich der Feinmotorik könne das Apothekenteam hilfreiche Anwendungstipps geben. So könne das pharmazeutische Personal Senioren raten, bei der Betätigung der Druckknöpfe am Inhalator anstelle des in der Packungsbeilage gezeigten Spitzgriffs den kräftigeren Schlüsselgriff anzuwenden. Dabei greift man wie beim Greifen eines Schlüssels mit der Innenseite des Daumenendgliedes und dem Zeigefingergrundglied. »Lassen Sie die Patienten nach jeder Anwendung kontrollieren, ob die Kapsel vollständig entleert ist«, empfahl Kircher. Auch sei unter Umständen ein Wechsel auf einen ergonomisch günstigeres Inhalatormodell möglich. Denn die benötigte Kraft zur Perforation der Kapsel sei von Firma zu Firma unterschiedlich, wie der Referent anhand von Formoterol-Präparaten aufzeigte.
Auch manche Tropfflaschen können für Senioren mit eingeschränktem Sehen eine Herausforderung sein, da die Tropfen zu schnell abfallen. »Viele Patienten halten dann die Flasche schräg, um die Geschwindigkeit zu verlangsamen«, so Kircher. Dies sei allerdings keine gute Lösung: Zwar sei die Tropfgeschwindigkeit reduziert, die Masse des abfallenden Tropfens aber auch kleiner, was eine Unterdosierung zur Folge haben könne. Hier könne das Apothekenteam neben Hilfsmitteln wie einem dünnwandigen Plastikbecher oder Feindosierspritzen (ohne Kanüle) in Rücksprache mit dem Arzt ein Senioren-geeignetes Präparat aussuchen. »Auch hier lohnt sich ein Präparatevergleich«, zeigte der Apotheker am Beispiel verschiedener Trimipramin-haltiger Tropffläschchen.
Großes Potenzial sieht der Referent in digital vernetzten Arzneiformen (DVAF). Dabei handelt es sich um drahtlos mit der Apotheke verbundene, elektronisch gesteuerte Verabreichungs- und Anwendungssysteme, die den ambulanten Patienten bei der Arzneimittelapplikation kontinuierlich unterstützen und monitorieren. »DVAF werden die Adhärenz und die Anwendungstechnik vor allem bei geriatrischen Patienten erheblich verbessern«, ist sich Kircher sicher.