Selbstmedikation im Alter 60+ |
Viele Senioren sind heute fit und aktiv. Leichtere Beschwerden wollen sie selbst behandeln – eine große Chance für die Apotheke. / Foto: Adobe Stock/GordonGrand
Mit dem 30. Lebensjahr erreichen die Körperfunktionen des menschlichen Organismus den Höhepunkt. Dann nimmt der physiologische Alterungsprozess seinen Lauf (Kasten). Beschreibt ein älterer Mensch in der Apotheke seine Beschwerden und fragt nach einem Selbstmedikationspräparat, sollte das Apothekenteam neben den Symptomen des natürlichen Alterungsprozesses immer bedenken, dass auch Grunderkrankungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln eine Rolle spielen können.
Foto: Adobe Stock/Adam Gregor
Mit zunehmendem Alter verändern sich alle Körperfunktionen. Bewegungsapparat und Organfunktionen können Belastungen weniger gut kompensieren. Die Knochendichte nimmt ab, was Osteopenie oder Osteoporose auslösen und das Risiko für Knochenbrüche erhöhen kann. Muskelgewebe und -kraft nehmen kontinuierlich ab; Bewegungsmangel und einseitige Ernährung beschleunigen diesen Prozess.
Die Zunahme an Körperfett und dessen Umverteilung verändern die Körperproportionen und begünstigen Erkrankungen wie Diabetes. Steifer werdende Gefäßwände erhöhen das Risiko für eine Hypertonie und verringern die Anpassungsfähigkeit, zum Beispiel bei körperlicher Anstrengung. Auch die Lungengefäße verlieren an Elastizität, was den Gasaustausch erschwert. Reduzierte Enzymaktivität und Muskelbewegungen des Gastrointestinaltrakts verlängern die Passagezeit. Da die Filtrationsfähigkeit der Nieren abnimmt, werden Abfallprodukte schlechter ausgeschieden. Die Dosis einer Dauermedikation muss gegebenenfalls angepasst werden. Das Immunsystem arbeitet langsamer, was den Menschen anfälliger für Infektionen, Krebs oder andere Erkrankungen macht.
Abfallende Hormonspiegel, vor allem von Estrogen, beeinflussen während und nach den Wechseljahren die Knochendichte, die Durchfeuchtung von Haut und Schleimhäuten und das Herz-Kreislauf-System. Bei Männern verringern sinkende Sexualhormonspiegel die Libido.
Auch die Funktion der Sinnesorgane nimmt ab: Veränderungen der Augenlinse und Pupille verringern die Sehkraft und das Auge benötigt zum guten Sehen mehr Licht. Der altersbedingte Hörverlust (Presbyakusis) betrifft vor allem das Hören hoher Töne. Die Altersschwerhörigkeit muss durch Hörgeräte ausgeglichen werden; sonst ist das Risiko für Demenz oder sozialen Rückzug erhöht.
Geschmacks- und Geruchssinn nehmen ab. Damit steigt die Gefahr, Verdorbenes zu sich zu nehmen.
Ein verringerter Speichelfluss kann den Schluckvorgang beeinträchtigen. Die Dysphagie erschwert die Nahrungsaufnahme mit dem Risiko einer Mangelernährung ebenso wie die Tabletteneinnahme und damit die Adhärenz. Anticholinerg wirksame Medikamente verschärfen die Situation. Das nachlassende Durstgefühl kann eine Dehydrierung begünstigen.
Der Tiefschlaf nimmt mit zunehmendem Alter ab. Menschen brauchen länger, um einzuschlafen, und wachen nachts häufiger auf. Oft kommen Ängste oder seelische Probleme hinzu. So ist die Zahl der Patienten hoch, die ein Beruhigungsmittel verordnet bekommen oder in der Apotheke nach einem Schlafmittel fragen.
Neben den Altersveränderungen können auch eine ungünstige Schlafhygiene, Erkrankungen wie Schmerzen, Asthma oder Herz-Kreislauf-Probleme sowie Medikamente wie Diuretika und Parkinson-Therapeutika die Schlafqualität mindern (Tabelle 1). In der Apotheke kann anhand der Priscus-Liste2.0 geprüft werden, ob die verlangte oder verordnete Medikation für den Patienten geeignet ist. Ungeeignet sind H1-Antihistaminika der ersten Generation, die neben ihrer anticholinergen Wirkung zu einer QT-Zeit-Verlängerung, Hangover, Toleranzentwicklung, paradoxen Reaktionen und eingeschränktem Reaktionsvermögen führen.
Symptom | mögliche Ursachen | Allgemeinmaßnahmen und Selbstmedikation |
---|---|---|
Ein- oder Durchschlafstörungen | veränderter SchlafrhythmusErkrankungen (Schmerzen, Asthma, Herz-Kreislauf-Probleme, Hyperthyreose, Restless Legs Syndrom)Medikamente (Diuretika, ACE-Hemmer, Betablocker, Parkinson-Therapeutika) | Schlafhygiene verbessernhoch konzentrierter Baldrianextrakt, Hopfenzapfen, Melissenblätter |
nachlassende Gedächtnisleistung | unzureichende Flüssigkeitsaufnahme, Depressionmangelndes geistiges Training im Ruhestandarteriosklerotische Veränderungen | Trinkmenge erhöhenGinkgo-biloba-Extrakt |
Schwindel | unzureichende FlüssigkeitsaufnahmeBlutdruckschwankungenErkrankungen des Geleichgewichtorgans (M. Menière)Durchblutungsstörungen (Arteriosklerose)psychische FaktorenMigräneGehirnerkrankungen wie M. Parkinson, Multiple SkleroseNebenwirkungen von Medikamenten (Antiepileptika, Antidepressiva, Antibiotika, Diuretika, Herz-Kreislauf Therapeutika) | Trinkmenge erhöhenärztliche DifferentialdiagnoseMedikamente umstellenAntivertiginosa |
Das Apothekenteam kann Senioren Tipps für eine gesunde Schlafhygiene geben und pflanzliche Sedativa empfehlen. Die Monographien des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur EMA empfehlen hoch konzentrierten Baldrianextrakt sowie Hopfenzapfen, Melissenblätter, Lavendelblüten und Passionsblumenkraut.
Da sich bei älteren Menschen die Motilität des Gastrointestinaltrakts und die Ausscheidungsfunktion der Niere verändern, tritt die Wirkung eines Sedativums später ein und hält länger an. Manche Senioren meinen dann, das Medikament wirke nicht. Zudem ist das Risiko für einen Hangover erhöht.
Auf Sorgen und Ängste reagieren viele Menschen mit sozialem Rückzug, Depression, Medikamenten- oder Alkoholabhängigkeit. In der Apotheke wird nach Johanniskraut- oder Lavendelöl-Extrakt gefragt. Die antidepressive Wirkung von Johanniskraut-Extrakten und die anxiolytische Wirkung des patentierten Lavendelöl-Extrakts Silexan® wurden in randomisierten Doppelblindstudien festgestellt; dazu gibt es Monographien des HMPC.
Im Gespräch sollten Apotheker auf Kontraindikationen und Wechselwirkungen hinweisen und mit Fingerspitzengefühl die Hintergründe der Ängste erfragen. Ängste und Depressionen sind kein Zeichen des Alters, sondern eigenständige Erkrankungen, die vom Arzt behandelt werden können.
Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen können in jedem Alter auftreten. Zwar sind die Zugriffszeiten auf Gedächtnisinhalte bei Senioren verlängert, doch die auf Erfahrung aufbauenden Leistungen nehmen kaum ab. Hintergrund für eine kognitive Beeinträchtigung können auch Flüssigkeitsmangel, Depressionen oder eine geringere Durchblutung aufgrund arteriosklerotischer Veränderungen sein (Tabelle 1).
Zur besseren Durchblutung von Gehirn, Augen und Gehör wird oft Ginkgo verlangt. Bei regelmäßiger Einnahme lassen sich leichte kognitive Beeinträchtigungen verbessern, aber ein vorbeugender Effekt ist nicht belegt. Gemäß der (nicht mehr aktuellen) S3-Leitlinie »Demenzen« kann der Spezialextrakt Ginkgo biloba EGb 761® bei leichten kognitiven Einbußen erwogen werden. Die Präparate enthalten Flavonolglykoside, Ginkgolide und Bilobalid und verbessern die Fließfähigkeit des Blutes und damit die Durchblutung, ohne die Blutgerinnung zu stören. Zahlreiche Studien geben mittlerweile grünes Licht, was die Interaktion mit Antikoagulanzien betrifft. Patienten, die ASS 100 bekommen, sollten Ginkgo-Präparate aber nur nach Rücksprache mit ihrem Arzt einnehmen.
Fragt ein Kunde nach einem Ginkgo-Präparat, muss das Apothekenpersonal ihm erklären, dass sich Wirksamkeitsbelege in Studien immer auf den geprüften Extrakt beziehen und nicht auf andere Produkte übertragen werden können. Vermeintlich preisgünstigere Präparate sind oft unterdosiert.
Schwindel ist per se keine Alterserscheinung, sondern hat vielfältige Ursachen, zum Beispiel Blutdruckprobleme oder Erkrankungen des Gleichgewichtorgans, kann aber auch eine unerwünschte Arzneimittelwirkung sein (Tabelle 1). Unzureichende Flüssigkeitsaufnahme spielt bei zunehmender Hitzebelastung des Körpers durch den Klimawandel eine große Rolle.
Da viele ältere Menschen unter Schwindel leiden und die Sturzgefahr erhöht ist, sollte das Apothekenpersonal nach möglichen Hintergründen fragen und eine ärztliche Differenzialdiagnose empfehlen. Antivertiginosa wirken symptomatisch und haben zahlreiche, vor allem anticholinerge Nebenwirkungen. Einige Ginkgo-Extrakte sind zugelassen zur Behandlung von Schwindel mit vaskulären Ursachen oder infolge von altersbedingten Rückbildungsvorgängen.
Die Haut ist unser größtes Organ. Im Lauf der Jahre nehmen Feuchtigkeitsbindung, Elastizität, Durchblutung, Unterhautfettgewebe und Zellerneuerung ab. Der Gehalt an Elastin, Kollagen, Eiweiß und Hyaluronsäure verringert sich. Die Haut wird dünn, trocken und empfindlicher. Das dünnere Unterhautfettgewebe verringert die Speicherung von Körperwärme; daher frieren ältere Menschen leichter.
Pigmentstörungen und Altersflecken lassen sich nur begrenzt durch eine Bleichcreme beeinflussen. Das Apothekenpersonal sollte Betroffene an das regelmäßig notwendige Hautkrebsscreening erinnern.
Trockene Haut und Schleimhäute belasten mit Juckreiz und erhöhter Empfindlichkeit (Tabelle2). Verschiedene Arzneimittel verschärfen die Situation, vor allem Stoffe mit anticholinerger Haupt- oder Nebenwirkung, Opioide mit verstärkter Histaminfreisetzung, Xanthinoxidase-Hemmstoffe (Allopurinol) mit Pruritus und die zahlreichen Arzneistoffe mit photosensibilisierender Wirkung (NSAR, Hydrochlorothiazid, Doxycyclin, Amiodaron). In der Apotheke sollte zu Sonnenschutz und ausreichendem Trinken geraten werden.
Trockene Schleimhaut im Vaginalbereich kann höchst unangenehm und schmerzhaft sein. / Foto: Adobe Stock/Sentello
Um den angegriffenen Hydrolipidfilm der Haut zu verbessern, ist regelmäßige Hautpflege mit Moisturizern wie Hyaluronsäure, lipidreichen W/O-Emulsionen, Retinoiden und Kollagen zu empfehlen. Zubereitungen mit feuchtigkeitsbindendem Harnstoff lindern Juckreiz. Um eine zusätzliche Reizung der Haut zu vermeiden, sind möglichst pH-neutrale Produkte zu verwenden.
Vielen Frauen macht auch eine vaginale Trockenheit zu schaffen. Hier helfen lokal Estrogene sowie Zäpfchen, Cremes oder Gele mit Hyaluronsäure, Milchsäure, Hamamelis oder ein Liquigel mit einem Polysaccharid-Komplex.
Die Hauttrockenheit betrifft auch andere Schleimhäute (Tabelle 2). Für das Sicca-Syndrom der Augen kann neben dem Alterungsprozess auch die Medikation (Anticholinergika) Ursache sein. Die gestörte Benetzung der Augenoberfläche beruht auf einem multifaktoriellen Geschehen mit inflammatorischen Prozessen, die zu Sehstörungen, Reizungen, Entzündungen der Binde- oder Hornhaut und Schädigung der Augenoberfläche führen können. Das Apothekenpersonal sollte die regelmäßige Anwendung von befeuchtenden Konservierungsmittel-freien Augentropfen, zum Beispiel mit Hyaluronsäure, Povidon, Carbomer oder Cellulosederivaten, empfehlen.
Die trockene Schleimhaut der Nase behindert die mukoziliäre Clearance und erhöht die Infektanfälligkeit. Paradoxerweise macht sich dies neben der behinderten Nasenatmung auch durch ständiges Tröpfeln bemerkbar. Hier lindern Nasenpflegeprodukte mit Hyaluronsäure oder Meersalz das Problem.
Symptom | mögliche Ursachen | Allgemeinmaßnahmen und Selbstmedikation |
---|---|---|
Haut | ||
abnehmende Elastizität, Pigmentstörungen, Faltenbildung, erhöhte Hautempfindlichkeit mit Juckreiz | verringerter Gehalt der Haut an Elastin, Kollagen, Eiweiß, HyaluronsäureUAW: Anticholinergika, Opioide, photosensibilisierende Wirkstoffe | Sonnenschutz mit hohem UVA- und UVB-Filtererhöhte Trinkmengeregelmäßige Hautpflege mit Moisturizern wie Hyaluronsäure, lipidreichen W/O-Emulsionen, Retinoiden, KollagenUrea bei Juckreiz |
Schleimhäute | ||
vaginale Trockenheit | sinkender Estrogenspiegelaltersbedingte Hautveränderungen | lokal EstrogeneVaginalia mit Hyaluronsäure, Milchsäure, Hamamelis oder Liquigel mit Polysaccarid-Komplex |
Sicca-Syndrom am Auge: Rötung, Fremdkörpergefühl, Kratzen, Brennen, Schleimabsonderung, Lichtempfindlichkeit | UAWaltersbedingt trockene Haut sinkender Estrogenspiegel | befeuchtende, Konservierungsmittel-freie Augentropfen mit Hyaluronsäure, Povidon, Carbomer, Cellulosederivaten |
trockene Nasenschleimhaut: behinderte Nasenatmung, tröpfelnde Nase | UAW | Nasenpflegeprodukte mit Hyaluronsäure oder Meersalz |
Haare | ||
dünne, graue, kraft- und glanzlose Haare, Haarausfall | veränderte HaarwachstumsphasenHormonumstellungverringerte Pigmentbildung | reizarme Shampoos mit Kräuterauszügen (Salbei, Amaranth, Sanddorn, Malve oder Ringelblumen), Kontrolle des Eisenspiegels |
Hitze, abnehmende Elastizität der Gefäße in den Beinen, undichte Epithelwände: Tritt Flüssigkeit aus den Blutgefäßen ins Gewebe über, entstehen Schwellungen in Knöcheln und Unterschenkeln. Venöses Blut staut sich und die Venenklappen, die für den Rückfluss des venösen Blutes sorgen, leiern aus. Zusätzlich belasten Übergewicht und mangelnde Bewegung. Die Haut wird dünn, Bindegewebe verhärtet und Wunden heilen schlecht. Die chronisch-venöse Insuffizienz (CVI) und das offene Bein sind mögliche Folgeschäden.
Die Kompressionstherapie ist Mittel der Wahl mit höchster Evidenz bei allen Formen der venösen Insuffizienz. Das Apothekenteam kann wichtige Hinweise zu Tragekomfort, Pflege und Anlegen der Strümpfe geben.
Total unbeliebt, aber Maßnahme Nummer 1 bei chronisch-venöser Insuffizienz ist die Kompression. / Foto: Adobe Stock/klick61
Orale pflanzliche Venenmittel wirken antientzündlich, verringern die Permeabilität und erhöhen den Tonus der Gefäße. Gemäß der S2k-Leitlinie »Diagnostik und Therapie der Varikose« ist die Wirksamkeit zur Linderung der Beschwerden evidenzbasiert erwiesen für standardisierte Extrakte aus Rotem Weinlaub (Vitis vinifera) mit Flavonoiden, Rosskastaniensamen (Hippocastani semen) mit Aescin sowie Echtem Buchweizen (Fagopyrum herba) mit Oxerutin und Troxerutin. Die Behandlung mit lokal anzuwendenden Venentopika ist nicht evidenzbasiert. Beschwerdelinderung durch Massagewirkung oder einen kühlenden Effekt durch Menthol sind möglich.
Zu fragen ist auch nach der Dauermedikation. Typisches Beispiel ist Amlodipin. Calciumkanalblocker vom Dihydropyridin-Typ wie Amlodipin oder Lercanidipin führen zur Entspannung arterieller Gefäße. Dadurch staut sich das Blut vor den Kapillargefäßen, besonders in den Beinen: Knöchel- und Beinödeme sind die Folge. Gefährdet sind vor allem ältere Frauen. Um eine Verschreibungskaskade zu vermeiden und bei stärkeren Beschwerden kann die Apotheke zusammen mit dem Arzt versuchen, die Patientin auf eine andere antihypertensive Therapie einzustellen.
Ein Thema mit hohem Leidensdruck ist die Harninkontinenz. Mit zunehmendem Alter verringert sich die Blasenkapazität, aber eine Blasenschwäche sollte immer ärztlich abgeklärt werden. Frauen sind besonders nach der Menopause durch den sinkenden Estrogen-Spiegel betroffen. Männern macht die benigne Prostatahyperplasie durch hormonelle Veränderung (Verschiebung des Testosteron-Estrogen-Verhältnisses zugunsten von Estrogen) sowie eine vermehrte Expression von Wachstumsfaktoren zu schaffen. Weitere Ursachen können zugrunde liegende Erkrankungen sein oder einige Arzneimittel, die Harninkontinenz verursachen oder verstärken können (Tabelle 3).
Symptom | mögliche Ursachen | Allgemeinmaßnahmen und Selbstmedikation |
---|---|---|
Prostatabeschwerden: Harndrang, schwacher Harnstrahl, Inkontinenz | benigne Prostatahyperplasie | Phytotherapie, zum Beispiel mit Sägepalmenfrüchten, β-Sitosterol oder Brennnesselwurzel |
Blasenprobleme, Inkontinenz | sinkender EstrogenspiegelErkrankungen: diabetische Neuropathie, Bandscheibenvorfall, Prostataprobleme (BPS), Karzinom, Harnwegsinfekte, ZNS-ErkrankungenArzneimittel: Diuretika, α-Rezeptoragonisten, Anticholinergika, Calciumantagonisten | im Deutschen Arzneibuch (DAB) monographierter GartenkürbisBeckenbodentrainingInkontinenzprodukte |
In der Apotheke sollte darauf hingewiesen werden, dass nicht die Trinkmenge insgesamt reduziert wird, sondern dass man ab 17 Uhr nicht mehr so viel trinken sollte, um eine Nykturie zu vermeiden.
Probleme mit der Prostata belasten und beunruhigen die Männer meist sehr. / Foto: Adobe Stock/yamix
Die Monographien des HMPC empfehlen für Männer Sägepalmenfrüchte-Dickextrakt sowie β-Sitosterol und die Lectine der Brennnesselwurzel, beide versehen mit dem Status »Traditional use«. Der im Deutschen Arzneibuch (DAB) monographierte Gartenkürbis hat den gleichen HMPC-Status und ist für leichtere Inkontinenzbeschwerden bei Männern und Frauen geeignet.
Für das Gespräch in der Apotheke bietet sich bei diesem Tabuthema die Beratungsecke an. Proben von Inkontinenzprodukten sowie ein Flyer zum Beckenbodentraining runden die Beratung ab.
Mit zunehmendem Alter sinken Grundumsatz und Resorptionsleistung des Gastrointestinaltrakts. Die Menge an notwendigen Mikronährstoffen bleibt aber gleich oder kann sich durch Grunderkrankungen (Diabetes) oder eine Dauermedikation mit bestimmten Medikamenten sogar erhöhen. So soll ein Viertel aller Personen über 65 Jahren mit Vitamin B12 unterversorgt sein. Mundwinkelrhagaden oder Zungenbrennen können auf einen Mangel hinweisen. Andere Symptome wie Blässe, verminderte Leistungsfähigkeit oder Müdigkeit sind eher unspezifisch.
Ausgewogene nährstoffreiche Ernährung ist essenziell für ältere Menschen. / Foto: Adobe Stock/imagox
Der Körper wird aus tierischen Proteinen mit Vitamin B12 versorgt. Dieses wird im Magen aus der Proteinbindung gelöst, an den Intrinsic Factor (IF) gebunden und im Dünndarm resorbiert. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) schätzt die erforderliche tägliche Zufuhr bei Erwachsenen auf 4,0 μg. Werden diese Werte nicht erreicht, sorgt ein Depot in der Leber für vorübergehenden Ausgleich. Bleiben die Werte langfristig niedrig, mündet die Unterversorgung in einen Vitamin-B12-Mangel. Risikofaktoren sind eine vegane/vegetarische Ernährung, Resorptionsstörungen durch Erkrankungen mit unzureichender Säureproduktion im Magen (Gastritis, Infektion mit Helicobacter pylori), chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa) oder die Dauermedikation mit Metformin und Protonenpumpenhemmern (PPI).
Die Dosierung von Vitamin B12 richtet sich nach der Ursache eines Mangels. Bei einem Ernährungsdefizit reichen regelmäßig verabreichte, niedrig dosierte Präparate aus. Bei Resorptionsstörungen sind hoch dosierte Präparate nötig, denn dann gelangt eine ausreichende Menge über passive Diffusion in den Körper. Eine parenterale Gabe ist nicht zwingend erforderlich. Die tägliche Dosis von 25 μg sollte nicht überschritten werden.
Im Alter lässt die Umwandlung von 7-Dehydrocholesterol in Provitamin D3 in der Haut nach. Die Vitamin-D-Serumspiegel sinken. Ein Wert von 10 bis 20 ng/ml (25 bis 50 nmol/l) zeigt einen Mangel an. Vitamin D beeinflusst Immunsystem und Calciumstoffwechsel. Für ältere Menschen, besonders bei Dauereinnahme von Antiepileptika, Glucocorticoiden (auch Asthmasprays) oder PPI, und für Frauen nach den Wechseljahren ist die Zufuhr von Calcium und Vitamin D zur Sturzprophylaxe und Erhaltung der Knochenstabilität wichtig.
Foto: Adobe Stock/benjaminnolte
Ein älterer Patient klagt in der Apotheke über plötzliche heftige Kopfschmerzen, die sich besonders hinter dem rechten Auge bemerkbar machen. Er möchte ein schnell und stark wirksames Kopfschmerzmittel kaufen.
Aus der Stammdatei des Patienten ist ersichtlich, dass dieser seit einiger Zeit Dorzolamid-haltige Augentropfen zur Senkung des Augeninnendrucks bekommt. Nach weiteren Symptomen befragt, klagt er über Übelkeit und Sehstörungen, die er mit unregelmäßigen Mahlzeiten und erhöhtem Alkoholkonsum am Wochenende in Verbindung bringt.
Schnell wird in der Apotheke klar, dass der Patient möglicherweise einen Glaukom-Anfall erlitten hat. Er wird an einen Augenarzt oder eine augenärztliche Klinik verwiesen.
Schmerzmittel für Kopfschmerzen werden in der Apotheke häufig verlangt. Hier obliegt es dem Apothekenpersonal, die Grenzen der Selbstmedikation festzustellen. Wer Kopfschmerzen regelmäßig mit Analgetika behandelt, kann einen Medikamentenübergebrauchs-induzierten Kopfschmerz (medication overuse headache: MOH) entwickeln. Übergebrauch ist definiert als regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln an 15 oder mehr Tagen pro Monat oder Migränetherapeutika an zehn oder mehr Tagen pro Monat.
Eine wichtige Empfehlung in der Apotheke: Analgetika (NSAR, Paracetamol) bei Kopfschmerzen nicht länger als drei Tage in Folge und nicht häufiger als zehn Tage/Monat anwenden. Migränetherapeutika (Triptane) nicht häufiger als zweimal innerhalb von 24 Stunden und nicht häufiger als zehn Tage/Monat. Dabei sind die Tagesmaximaldosen zu beachten.
Noch kurz zu Beschwerden des Bewegungsapparats: Nimmt ein Patient immer wieder Analgetika ein, sollte das Apothekenpersonal ihn an den Arzt verweisen, da vor allem die regelmäßige Einnahme von NSAR bei Patienten mit Hypertonie zur weiteren Blutdruckerhöhung führt. Fällt beim Blick in die Stammdatei die Dauermedikation mit ACE-Hemmern oder Sartanen und Diuretikum auf, ist an das Risiko »Triple Whammy« zu denken. Topika sind eher zu empfehlen oder in Zusammenarbeit mit dem Arzt ein anderes Schmerzmittel anzusetzen.
Hinweis: Bei nicht retardierter ASS 100 mindestens 30 Minuten Abstand zur Einnahme von NSAR (Ibuprofen/Naproxen) oder Metamizol einhalten.
Die aktuelle S3-Leitlinie »Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern ab dem 50. Lebensjahr« (Stand September 2023) empfiehlt die Vitamin-D-Supplementierung für Osteoporose-Patienten. Diese soll 2000 bis 4000 I.E. Cholecalciferol nicht überschreiten; die generell empfohlene Tagesdosis liegt bei 800 bis 1000 I.E. Cholecalciferol. Dabei sollte eine tägliche Calciumaufnahme von 1000 mg durch Nahrung oder Supplemente gewährleistet sein. Höhere Calciumdosierungen bergen das Risiko für Nieren- oder kardiovaskuläre Erkrankungen.
Diabetes-Patienten haben ein hohes Risiko für einen Mangel an verschiedenen Nährstoffen. Um mögliche Spätschäden an Augen oder Nervensystem gering zu halten, ist die optimale Versorgung mit B-Vitaminen, Folsäure, Vitamin C und D, Magnesium und Zink notwendig und nicht immer durch die Ernährung zu gewährleisten. In der Apotheke kann man immer wieder an die Kontrolle der Serumwerte für Vitamin D und Vitamin B12 erinnern.
Bei erhöhtem Cholesterolwert werden meist Statine verordnet. Damit verbundene Muskelschmerzen sind zum großen Teil als Nocebo-Effekt zu werten; für den Patienten dagegen sind es akute Beschwerden. Bei der Medikationsanalyse kann mit dem Arzt die Umstellung der Medikation erwogen werden. Ein Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln (Vitamin D, Coenzym Q10, Magnesium) zur Verbesserung von Muskelsymptomen ist durch keine Studie belegt.
Neuere Studien zeigen, dass bei regelmäßiger Einnahme von niedrig dosierter ASS das Risiko für eine Anämie und Abnahme der Ferritin-Konzentration steigt. Es wird empfohlen, die Hämoglobinwerte bei diesen Patienten regelmäßig zu überwachen.
Bei erhöhtem Vitamin- oder Mineralstoffbedarf sind manchmal auch Supplemente nötig. / Foto: Adobe Stock/K.-U. Häßler
Körper und Geist altern. Dies ist ein individueller Prozess, geprägt von genetischer Veranlagung und Lebensstilfaktoren. Allerdings kann ihn jeder durch eine gesunde Lebensweise mit regelmäßiger Bewegung, gesunder Ernährung und sparsamem Gebrauch von Genussmitteln wie Alkohol, Rauchen oder Süßigkeiten beeinflussen. Der Klimawandel mit steigenden Temperaturen belastet besonders den alternden Organismus.
Die Aussage »So ist das eben im Alter« sollte in der Apotheke hinterfragt werden. Es gilt, Nebenwirkungen von Arzneimitteln, Symptome von Erkrankungen und spürbare Veränderungen des Körpers in den Blick zu nehmen. Mit guter Beratung und viel Fingerspitzengefühl kann das Apothekenteam Senioren unterstützen, den richtigen Umgang mit Einschränkungen und dem Älterwerden zu finden. Dabei ist es auch wichtig, Arzneimittel aufzuspüren, die den Körper zusätzlich belasten.
Barbara Staufenbiel studierte Pharmazie in Münster. 16 Jahre lang leitete sie die Rabenfels-Apotheke in Rheinfelden. Seit ihrer Rückkehr nach Münster arbeitet sie in einer öffentlichen Apotheke und engagiert sich für die Fortbildung als Referentin und Autorin mit Schwerpunkt Apothekenpraxis.