Rx-Versandverbot bleibt Linken-Thema |
Cornelia Dölger |
05.06.2024 16:15 Uhr |
»Der Versandhandel bietet weniger Beratung der Patientinnen und Patienten, keine Vernetzung in regionalen Strukturen und leistet keinen Beitrag zur Notfallversorgung und zur Krisenfestigkeit«, so Schirdewan zur PZ. / Foto: IMAGO/Fotostand
Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Oktober 2016 entschieden hat, dass sich ausländische Versender nicht an die deutsche Rx-Preisbindung halten müssen, forderte die Apothekerschaft vehement ein Rx-Versandverbot. Der Gesetzgeber hat mit reichlich Verspätung anders reagiert: Die damalige Große Koalition zog mit dem im Dezember 2020 in Kraft getretenen Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) das Boni-Verbot in das Sozialgesetzbuch um.
Ein komplettes Rx-Versandverbot ist aus dem politischen Diskurs seitdem weitgehend verschwunden. Die Ausnahme bildet die Linke. Die Partei, die seit dem Nikolaustag vergangenen Jahres wegen Mitgliederabwanderung nicht länger eine Fraktion im Bundestag bildet, sondern nur noch eine Gruppe, erweist sich in Sachen Rx-Versandverbot als ausgesprochen stabil. Sie pocht seit Jahren kontinuierlich darauf und geht damit über die Positionen der anderen Parteien hinaus, deren Forderungen zum Versandhandel sich meist auf die vielbeschworenen »gleichlangen Spieße« beschränken, also die Garantie, dass Versender endlich denselben Qualitätsregelungen unterliegen müssen wie lokale Apotheken – und diese dann auch kontrolliert werden.
Kurz vor der Europawahl am 9. Juni machte Linken-Co-Chef Martin Schirdewan die Positionen der Partei jetzt noch einmal deutlich. »Der Versandhandel bietet weniger Beratung der Patientinnen und Patienten, keine Vernetzung in regionalen Strukturen und leistet keinen Beitrag zur Notfallversorgung und zur Krisenfestigkeit«, so Schirdewan zur PZ. Deshalb lehne die Partei den Rx-Versandhandel ab.
In Schirdewans Augen hat die EU bei der Gesundheitsversorgung einen falschen Weg eingeschlagen. »Die EU stellt leider freien Warenverkehr und die sogenannte Dienstleistungsfreiheit über gute und sichere Versorgung der Bevölkerung.« Es sei falsch, Gesundheitsversorgung und die anderen Bereiche der Daseinsvorsorge der Marktlogik zu überlassen, kritisierte Schirdewan. Für eine »zukunftsfeste« Versorgung seien vielmehr die Vor-Ort-Apotheken zu stärken.
Im Mittelpunkt müsse eine moderne pharmazeutische Betreuung stehen, die dazu beitragen könne, »die gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Schäden durch unsachgemäße Arzneimittelanwendung und -verschreibung zu verringern«. Hier könnten die Vor-Ort-Apotheken einen wichtigen Beitrag leisten.
Überhaupt seien lokale Apotheke Garanten für eine krisenfeste Gesundheitsversorgung. Apotheken sollten aufgewertet werden, etwa durch weitere pharmazeutische Dienstleistungen, aber auch durch eine stärkere Kooperation mit Ärzten, der Pflege und weiteren Gesundheitsakteuren, schlug Schirdewan vor.
Insbesondere in strukturschwachen Gebieten müssten versorgungswichtige Apotheken gezielt gefördert werden, forderte Schirdewan, ohne konkret zu benennen, wie diese Förderung aussehen könnte. Grundlage dafür müsse jedenfalls ein so genannter Versorgungsatlas sein, der den Bedarf der Bevölkerung und die bestehenden Apotheken einander gegenüberstellt und so Versorgungslücken deutlich mache.
Zur Stärkung beitragen würde zudem weniger Bürokratie bei der Arzneimittelabgabe, etwa durch die Abschaffung von Rabattverträgen sowie die Reimportregelung. Die Lieferkette vom Hersteller über den Großhandel zur Apotheke müsse so robust wie einfach sein; Direktvertrieb und Arzneimittelzwischenhändler müssten auf Einzelfälle begrenzt werden.
Schirdewan ist neben der Französin Manon Aubry Co-Fraktionschef der Linken im Europaparlament, dem er seit 2017 angehört. Am 9. Juni tritt er zusammen mit der Aktivistin Carola Rackete als Spitzenkandidat für die Linke zur Europawahl an.
Drei Jahre länger als Schirdewan sitzt Fabio de Masi im EU-Parlament, zunächst für die Linken. Im September 2022 trat er aus der Partei aus und gehört inzwischen dem »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW) an, das als neu gegründete Partei erstmals bei der Europawahl antritt. De Masi ist neben Thomas Geisel Spitzenkandidat für das Bündnis.
Anders als sein ehemaliger Parteigenosse Schirdewan spricht sich de Masi nicht gegen den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln aus. Er sehe durchaus, dass die Vor-Ort-Apotheken »eine Funktion für Stadt und Land« hätten, so de Masi zur PZ. Allerdings gebe es aber auch eine zunehmende Bedeutung des zertifizierten Onlinehandels für Medikamente, insbesondere im Zusammenhang mit E-Rezepten.
Wie andere Parteien sich zum Rx-Versandhandel und anderen gesundheitspolitischen Themen positionieren, hat der Landesapothekerverband Niedersachsen erfragt. Wie begegnen die Parteien dem Problem der Lieferengpässe, wie bringen sie die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran, wie stärken sie die Heilberufe? Der LAV hat der CDU, den Grünen, der SPD, der FDP sowie der Partei Die Linke sieben Fragen zu ihren gesundheitspolitischen Positionen stellte.
Bei der Frage nach dem Erhalt der Freiberuflichkeit stärkt die CDU den Apotheken demnach den Rücken. »Wir wollen Strukturen erhalten, denn die inhabergeführte Apotheke hat sich aus unserer Sicht sehr bewährt«, heißt es. Auch die Grünen halten eine patientennahe, flächendeckende Arzneimittelversorgung durch die Apotheken für »unverzichtbar«. Eindeutig positioniert sich auch die SPD: »Das anerkannte und gut funktionierende System der Apotheken und Apothekerberufen in Deutschland sollte auch in einem vertieften Binnenmarkt erhalten bleiben.« Und die FDP kündigt an: »Jeglichen dem entgegenstehenden europapolitischen Vorhaben ist der Widerstand der Freien Demokraten hingegen gewiss.«
Nachzulesen sind alle Antworten auf der Website des LAV.