Roxadustat trickst den Körper aus |
Kerstin A. Gräfe |
07.10.2021 07:00 Uhr |
Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung, die mit einer Anämie einhergeht, fühlen sich häufig permanent müde und sind nur noch bedingt belastbar. / Foto: Adobe Stock/Andrey Popov
Die renale Anämie ist eine Frühkomplikation der chronischen Niereninsuffizienz. Hauptursache ist eine erniedrigte Erythropoetin-Bildung in der erkrankten Niere. Die Therapie erfolgt mit Erythropoese-stimulierenden Agenzien (ESA) wie Epoetin alfa, Epoetin beta und Darbepoetin alfa. Zusätzlich zu ESA ist meist eine Eisensubstitution erforderlich.
Roxadustat (Evrenzo® 20 mg, 50 mg, 70 mg, 100 mg und 150 mg Filmtabletten, Astellas) ist indiziert zur Behandlung erwachsener Patienten mit symptomatischer Anämie bei chronischer Nierenerkrankung (CKD). Der Wirkstoff erhöht den Hämoglobin (Hb)-Spiegel über einen anderen Wirkmechanismus als ESA: Er ist der erste orale Inhibitor der HIF-PH (Hypoxie-induzierbarer Faktor Prolylhydroxylase).
HIF ist ein Transkriptionsfaktor, der unter anderem die Produktion von Erythropoetin fördert und dessen Bildung an das jeweilige Sauerstoffangebot im Blut gekoppelt ist. Bei einem Mangel wird vermehrt HIF gebildet, bei ausreichender Sauerstoffversorgung wird HIF durch die Prolylhydroxylase (PH) inaktiviert. Als HIF-PH-Inhibitor verhindert Roxadustat das und aktiviert dadurch die Kompensationsreaktion des Körpers auf einen verminderten Sauerstoffgehalt.
In der Folge werden mehrere Prozesse angestoßen: Zum einen wird die Produktion von Erythropoetin gesteigert, das die Produktion roter Blutkörperchen anregt. Zum anderen wird weniger Hepcidin gebildet, ein Protein, das dem Körper die Eisenaufnahme erschwert. Darüber hinaus wird die Resorption und Mobilisierung von Eisen verbessert.
Evrenzo wird dreimal pro Woche an nicht aufeinanderfolgenden Tagen oral eingenommen. Die Anfangsdosis hängt unter anderem vom Körpergewicht ab und kann zwischen 70 und 200 mg pro Einnahmezeitpunkt liegen. Anschließend wird sie so eingestellt, dass ein Hämoglobinspiegel zwischen 10 und 12 g/dl erreicht und aufrechterhalten wird. Wenn nach 24 Wochen kein klinisch bedeutsamer Anstieg des Hb-Werts erreicht wurde, sollte die Behandlung beendet werden. Bei Patienten mit mittelgradiger Leberfunktionsstörung ist die Anfangsdosis zu reduzieren. Für die Anwendung bei Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung wird Evrenzo nicht empfohlen.
Die Tabletten können mit oder ohne Nahrung eingenommen werden. Sie sind im Ganzen zu schlucken und dürfen nicht gekaut, zerbrochen oder zerkleinert werden. Sie sollten im Abstand von mindestens einer Stunde nach der Anwendung von Phosphatbindern (mit Ausnahme von Lanthan) oder anderen Arzneimitteln, die mehrwertige Kationen enthalten, eingenommen werden.
Hat der Patient eine Dosis vergessen und vor der nächsten planmäßigen Dosis liegt noch mehr als ein Tag, soll er die ausgelassene Dosis so bald wie möglich nachholen. Verbleibt nur noch ein Tag oder weniger, wird die ausgelassene Dosis übersprungen und die Einnahme mit der nächsten planmäßigen Dosis fortgesetzt. In jedem Fall sollte das reguläre Dosierschema danach wiederaufgenommen werden.
Die Kombination von Roxadustat und ESA wird nicht empfohlen. Kontraindiziert ist der neue Wirkstoff bei Überempfindlichkeit gegen Erdnuss und Soja sowie im dritten Trimenon der Schwangerschaft und in der Stillzeit. In den ersten beiden Schwangerschaftsdritteln wird die Anwendung nicht empfohlen. Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und bis mindestens eine Woche nach der letzten Dosis von Evrenzo eine hochwirksame Verhütungsmethode anwenden.
In klinischen Studien wurden Krampfanfälle als häufig auftretend berichtet. Roxadustat sollte bei Patienten mit Krampfanfällen in der Vorgeschichte, Epilepsie oder Krankheiten mit einer Prädisposition für Krampfanfälle mit Vorsicht angewendet werden.
Roxadustat ist ein Substrat von CYP2C8 und UGT1A9. Werden starke Inhibitoren oder Induktoren dieser Enzyme wie Gemfibrozil oder Probenecid gleichzeitig angewendet, müssen die Hb-Werte überwacht und die Dosis gegebenenfalls angepasst werden. Darüber hinaus hemmt Roxadustat BCRP und OATP1B1. Diese Transporter spielen eine wichtige Rolle bei der Aufnahme und dem Efflux von Statinen. Statinspezifische Nebenwirkungen und die Notwendigkeit einer Dosisreduktion des Statins sind zu beachten. Auch die Exposition mit anderen Arzneistoffen, die Substrate von BCRP oder OATP1B1 sind, kann erhöht sein.
Die Zulassung basiert auf den Ergebnissen eines Phase-III-Studienprogramms, das aus acht randomisierten Studien mit nicht dialysepflichtigen (NDD) und dialysepflichtigen (DD) CKD-Patienten mit Anämie bestand.
Studien mit DD-Patienten:
Studien mit NDD-Patienten:
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Hyperkaliämie, Bluthochdruck, Thrombosen der Gefäßzugänge (bei Dialysepatienten), Übelkeit, Diarrhö und periphere Ödeme. Die häufigsten schwerwiegenden Nebenwirkungen waren Sepsis, Hyperkaliämie, Bluthochdruck und tiefe Venenthrombosen.
Anämie ist eine wichtige Komplikation der chronischen Nierenerkrankung (CKD). Sie ist verbunden mit beeinträchtigter Lebensqualität und einem erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko. Sehr häufig wird mit rekombinantem Erythropoetin sowie Analoga wie Darbepoetin alfa therapiert. Roxadustat hat ein vollkommen anderes und innovatives Wirkprinzip und ist schon deswegen als Sprunginnovation anzusehen.
Der Medizin-Nobelpreis wurde 2019 für die Entdeckung des Mechanismus, wie Zellen die Sauerstoffkonzentration messen und sich daran anpassen können, verliehen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Hypoxie-induzierbare Faktor (HIF). Als erster Vertreter der HIF-Prolylhydroxylase-Inhibitoren geht die Entwicklung von Roxadustat letztlich auf diese Forschung zurück. Der Wirkstoff aktiviert die natürliche Reaktion des Körpers auf eine verringerte Sauerstoffkonzentration im Blut, imitiert sozusagen einen Sauerstoffmangel. Das führt zu mehr Erythropoetin, weniger Hepcidin, erhöhter Bioverfügbarkeit von Eisen sowie einer Steigerung der Hämoglobin-Werte.
Die Ergebnisse der Zulassungsstudien belegen, dass Roxadustat bei CKD-Patienten mit symptomatischer Anämie zum Erreichen und Aufrechterhalten von Hämoglobin-Zielspiegeln führt – unabhängig vom Dialysestatus und von einer vorherigen Behandlung mit Epoetinen. Sowohl bei Dialysepatienten als auch bei Nicht-Dialysepatienten war Roxadustat der Epoetin-Behandlung nicht unterlegen, das bisher beobachtete Sicherheitsprofil vergleichbar. Hervorzuheben ist die einfach orale Einnahme dreimal pro Woche. Das dürfte ein Vorteil gegenüber den parenteral applizierten Epoetinen sein.
Abschließend ist zu sagen, dass Roxadustat vermutlich nicht der einzige Vertreter dieser neuen Wirkstoffklasse bleiben wird. Andere HIF-Prolylhydroxylase-Inhibitoren wie Vadadustat und Molidustat befinden sich bereits in klinischer Testung. Bei allen Vertretern dieser Klasse muss man aber die Langzeitsicherheit genau im Blick behalten. So gab es bereits Stimmen, die einen möglichen proangiogenetischen Effekt thematisieren, der durch die Bildung des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) bedingt ist. Auch das Risiko für eine pulmonale Hypertonie oder ein schnelleres Fortschreiten der Niereninsuffizienz ist zu untersuchen.
Sven Siebenand, Chefredakteur