Riskanter Alkoholkonsum gefährdet viele andere |
Deutschland gilt als «Alkohol-Hochkonsumland»; rund neun Millionen Menschen haben einen problematischen Alkoholkonsum, unter dem dann fast immer auch die Angehörigen leiden. / Foto: Getty Images/Liubomyr Vorona
Eine Tochter, die Angst hat, dass die angetrunkene Mutter ausrastet, oder ein Mitarbeiter, der wieder für den alkoholbedingt ausgefallenen Kollegen einspringen soll: Die «Volksdroge Nummer eins» schädige nicht nur die rund neun Millionen Menschen mit einem problematischen Alkoholkonsum, sondern belaste und gefährde auch viele Dritte in praktisch allen Lebensbereichen, betonte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm am Donnerstag zum anstehenden Start einer Kampagnenwoche. Die DHS koordiniert die Aktionswoche – diesmal unter dem Motto «Wem schadet dein Drink?».
Alleine rund acht Millionen Angehörige seien von Alkoholkonsum und Suchtverhalten eines Verwandten mitbetroffen – mehrheitlich gehe es dabei um problematischen Alkoholkonsum, sagte DHS-Geschäftsführerin Christina Rummel der Deutschen Presse-Agentur. Diese Angehörigen seien starken Stimmungsschwankungen der nahestehenden Person ausgesetzt, fühlten sich hilflos und allein, zugleich aber auch verantwortlich dafür, nach außen den Schein zu wahren und Versäumnisse aufzufangen. Und: «In Familien mit Alkoholproblemen kommt es überproportional häufig zu gewalttätigen Übergriffen», berichtete die DHS. Mehr als 2,6 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben Eltern, die Alkohol missbrauchen oder von ihm abhängig sind.
Deutschland sei «Alkohol-Hochkonsumland», auch wenn über die vergangenen Jahrzehnte hinweg der Konsum gesunken sei, hieß es bei der DHS. Es brauche viel mehr Sensibilität im Umgang mit Alkohol und Bewusstsein für die Gefahren.
Bei der Arbeit komme es zu Fehlern, Produktionsausfällen und hohen Krankheitsständen, schilderte Rummel. Bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen steige die Unzufriedenheit, wenn sie Fehlzeiten und Mängel auffangen müssten. Die DHS hat Gesprächshilfen und Materialien einwickelt. Es gebe ein starkes Umdenken.
Pro Jahr verursache Alkoholkonsum einen volkswirtschaftlichen Schaden von rund 57 Milliarden Euro, den die Gesellschaft trage, hieß es auch. Darunter fallen demnach gut 40 Milliarden direkte Ausgaben für Krankenhaus, Pflege oder Reha oder auch etwa indirekte Kosten von mehr als 16 Milliarden Euro wegen Arbeitslosigkeit oder Produktionsausfällen an.
Im Verkehr werden bei jährlich mehreren Tausend Unfällen mit Personenschäden unter Alkoholeinfluss auch viele Unbeteiligte schwer getroffen, wie Experten unterstreichen. Alkoholkonsum begünstige zudem Gewalt und Kriminalität.
Traurige Realität auch: Pro Jahr kommen in Deutschland nach DHS-Angaben etwa 10.000 Kinder schon alkoholgeschädigt zur Welt. Sie haben eine unheilbare Fetale Alkohol-Spektrum-Störung (FASD), können auffällig schmächtig sein oder schwere geistige Einschränkungen haben. Von FASD seien insgesamt rund 1,5 Millionen Menschen betroffen. Ganz besonders für Schwangere gelte daher beim Alkohol: «Es gibt keine unbedenkliche Menge.»
DHS, Bundesärztekammer (BÄK), Bundespsychotherapeutenkammer, die Gesellschaft für Psychiatrie (DGPPN) und die DG-Sucht forderten spürbare Preissteigerungen für alkoholische Getränke. Es dürfe für sie keine Werbung mehr geben und sie sollten weniger verfügbar sein, mahnten sie in einem gemeinsamen Positionspapier.
In diesem stellen sie klar: «Die Folgen von Alkoholkonsum sind eine enorme Belastung der Bevölkerungsgesundheit, des sozialen Miteinanders und der Volkswirtschaft.» In Deutschland werde übermäßig viel Alkohol getrunken, die Rahmenbedingungen seien «äußerst konsumfördernd».
Der Konsum von Alkohol werde viel zu selten kritisch hinterfragt, gelte noch immer als «völlig normal», kritisierte der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD). Aber: «Jeder Schluck ist gesundheitsschädlich und das müssen wir auch so benennen», forderte er in einer Mitteilung.
«Gesundheitspolitik und Gesundheitssystem sowie relevante gesellschaftliche Akteure müssen mehr tun, um den Alkoholkonsum insgesamt und die mit ihm verbundenen Folgen für Konsumierende, das soziale Umfeld und die Gesellschaft zu verringern», hieß es in dem Positionspapier. «Die Ausdünnung der Verkaufsstellendichte, auch im Sinne der Einführung von lizenzierten Geschäften, ist eine sinnvolle Maßnahme.» Und: «Die Bundesregierung ist aufgefordert, ein vollständiges Werbeverbot für Alkohol umzusetzen.»