Quälgeist im Ohr |
Wichtig für die Beratung in der Apotheke ist, dass auch ototoxische Arzneimittel einen Tinnitus auslösen können. Bekannt ist die gehörschädigende Wirkung von einigen Antibiotika, vor allem von Aminoglykosiden wie Gentamicin oder Neomycin, Makrolid-Antibiotika wie Azithromycin, Clarithromycin, Erythromycin oder Roxithromycin, Tetracyclinen wie Tetracyclin oder Doxycyclin sowie dem Glykopeptid-Antibiotikum Vancomycin.
Bei Aminoglykosiden können als sehr seltene Nebenwirkungen vestibuläre Störungen, eine Minderung des Hörvermögens, die Meniére-Krankheit oder Tinnitus auftreten. Unbekannt ist die Häufigkeit eines irreversiblen Hörverlusts und irreversibler Taubheit. Um Risiken zu mindern, soll die Dosierung streng nach Kreatinin-Clearance beziehungsweise Serumkreatinin-Konzentration erfolgen. Der Arzt sollte bei Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren regelmäßig die Hör-, Gleichgewichts- und Nierenfunktion kontrollieren.
Bei Makrolid-Antibiotika erfahren Patienten gelegentlich Schwindel, Schwerhörigkeit, Tinnitus und Hörverluste, die nach Absetzen des Arzneimittels meist reversibel sind. Primär treten diese Nebenwirkungen bei Beeinträchtigungen der Nieren- und/oder Leberfunktion sowie bei Gabe hoher Dosen auf. Bei Tetracyclinen wird gelegentlich als seltene unerwünschte Wirkung Schwindel und selten ein Tinnitus berichtet.
Bei Vancomycin können Patienten gelegentlich eine vorübergehende oder bleibende Verschlechterung des Hörvermögens erleiden. Selten treten Schwindel, Tinnitus und Benommenheit bei hohen Dosen oder der gleichzeitigen Einnahme weiterer ototoxischer Arzneimittel sowie bei eingeschränkter Nierenfunktion oder bereits beeinträchtigtem Hörvermögen auf. Tinnitus, der möglicherweise einer Taubheit vorangeht, sollte zum Therapieabbruch führen.
Furosemid kann gelegentlich meist reversible Hörstörungen besonders bei Patienten mit Niereninsuffizienz oder Hypoproteinämie oder bei zu schneller intravenöser Injektion auslösen. Bei gleichzeitiger Gabe mit anderen ototoxischen Arzneimitteln kann sich die Ototoxizität verstärken und auftretende Hörstörungen können sich als irreversibel erweisen. Unter Therapie mit Torasemid wird sehr selten über Tinnitus und Hörverlust berichtet.
Das Cinchona-Alkaloid Chinin kann als Nebenwirkung zu Tinnitus oder Hörstörungen führen, das Medikament ist dann sofort abzusetzen. Auch Patienten, die mit Platin-haltigen Zytostatika wie Cisplatin behandelt werden, können einen Tinnitus und/oder Hörverlust im hohen Frequenzbereich (4000 bis 8000 Hz) ein- oder beidseitig entwickeln. Kinder sind besonders gefährdet.
Generell gilt bei Anwendung von ototoxischen Substanzen, dass eine gleichzeitige Gabe anderer potenziell oto- und/oder nephrotoxischer Substanzen zu meiden ist. Falls wirksame Alternativen verfügbar sind, sollten zudem insbesondere ältere und/oder bereits schwerhörige Patienten nicht mit ototoxischen Medikamenten behandelt werden. Während einer Schwangerschaft sollten gerade ototoxische Antibiotika vermieden werden, da sie das fetale Labyrinth schädigen können.
In der Praxis lässt es sich aber nicht immer umgehen, ein potentiell ototoxisches Arzneimittel einzusetzen. Für diesen Fall rät Rudolph: »Ototoxische Mittel sollten in der niedrigsten Wirk- beziehungsweise Effektivdosis verabreicht und der Wirkspiegel sollte engmaschig kontrolliert werden, besonders bei Aminoglykosiden.« Hier seien sowohl Höchststand als auch Talspiegel zu monitorieren.
Vor und während des Einsatzes ototoxischer Arzneimittel sollte das Hörvermögen audiometrisch geprüft und überwacht werden. / Foto: Adobe Stock/Stephan
»Vor einer Behandlung mit ototoxischen Mitteln sollten Ärzte nach Möglichkeit das Hörvermögen messen und es auch unter der Therapie weiterhin regelmäßig überwachen«, rät der Mediziner weiter. Das Risiko für ototoxische Wirkungen ist zudem bei Patienten erhöht, deren Nierenfunktion beeinträchtigt ist.
Nicht zu vernachlässigen sei in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung ototoxischer OTC-Arzneimittel. »Besondere Vorsicht ist bei der Gabe von Acetylsalicylsäure geboten«, warnt Rudolph. »Es sollte auf keinen Fall in höheren Dosen eingenommen werden, schon gar nicht, wenn bereits ein Tinnitus vorhanden ist.« Es kann sonst bei Überdosierung teils irreparable Hörschäden und (zusätzliche) Ohrgeräusche auslösen.
Es ist ein Schritt zur Vorbeugung von Ohrgeräuschen, ototoxische Arzneimittel so wenig wie möglich anzuwenden. Das Apothekenteam kann darüber hinaus raten, die Ohren, so gut es geht, vor Lärm zu schützen. Wer Lärmquellen etwa am Arbeitsplatz nicht meiden kann, ist mit Ohrstöpseln oder speziellen Kopfhörern gut beraten. Auch ein effektives Stressmanagement ist wichtig. Zum Ausgleich eines anstrengenden Alltags empfehlen sich Entspannungsverfahren oder sportliche Aktivitäten.
Ein Arzneimittel, das die Tinnitus-Symptome zuverlässig verbessert, kann das Apothekenteam leider nicht empfehlen. Auch Nahrungsergänzungsmittel haben keinen erwiesenen Nutzen. Im Gegenteil können die Mittel sogar schaden und das nicht nur aufgrund von Nebenwirkungen, sondern auch, weil sie die Fixierung des Patienten auf die Ohrgeräusche verstärken können.
Den Betroffenen helfen vielmehr Kontaktvermittlungen zu lokalen Selbsthilfegruppen und Hinweise zur Selbstfürsorge, etwa Anregungen, sich auf angenehme Dinge zu konzentrieren. Auch kann das Apothekenteam zu einer HNO-ärztlichen Untersuchung ermuntern. Vielen Patienten ist gar nicht bewusst, dass sie schlecht hören und eigentlich ein Hörgerät brauchen. Der Versorgung mit einem Hörgerät kann auch eine falsche Eitelkeit im Wege stehen. Das Apothekenteam kann mit einfühlsamen Worten helfen, Sorgen und Scham abzubauen.
Da auch ein verstopfter Gehörgang Tinnitus auslösen kann, kann eine gute Ohrhygiene vorbeugend wirken. Der Selbstreinigungsmechanismus der Ohren sorgt dafür, dass winzige Flimmerhärchen überschüssiges Cerumen, abgestoßene Hautschüppchen sowie Schmutz- und Staubpartikel heraus transportieren. Das abgestoßene Material lässt sich mit einem lauwarm angefeuchteten Waschlappen oder Wattepad aus der Ohrmuschel entfernen. Wattestäbchen und Co. sind zur Reinigung ungeeignet, da sie das Trommelfell verletzen und Ohrenschmalz nur noch tiefer in den Gehörgang drücken können. Einen bestehenden Pfropf kann der HNO-Arzt entfernen. Bei einer nur leichten Verstopfung können Patienten versuchen, das Ohrenschmalz mit sogenannten Cerumenolytika in Form von Ohrentropfen oder -sprays aufzuweichen.
Bei einem Hörsturz gilt: Erst einmal Ruhe bewahren. Solange kein vollständiger Hörverlust auftritt, wird empfohlen, dass Patienten zunächst einmal 24 bis 48 Stunden abwarten und versuchen, sich zu entspannen und Ruhe zu gönnen. Erholt sich das Gehör in dieser Zeit nicht wieder, kann eine Behandlung mit Glucocorticoiden angezeigt sein.