Phytos evidenzbasiert bewerten |
Daniela Hüttemann |
27.11.2018 12:18 Uhr |
Die Erkältung gehört zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt. Diverse pflanzliche Arzneimittel können die Heilung unterstützen. Foto: Shutterstock/Rido
»Es gibt noch viele Wissenslücken beim Einsatz von Phytopharmaka«, sagte Professor Dr. Robert Fürst von der Uni Frankfurt beim Fortbildungstag der Apothekerkammer Westfalen-Lippe in Münster. So sei kaum bekannt, was biologisch im Körper passiert. Hypothesen zum Wirkmechanismus stammen in der Regel aus Zellkulturmodellen. Viele pflanzliche Mittel werden traditionell eingesetzt und ihre Wirkung ist nicht immer gut durch klinische Studien belegt. Das heißt nicht, dass sie nicht wirken, für eine evidenzbasierte Empfehlung sollte man jedoch auf diejenigen Präparate zurückgreifen, bei denen die Hersteller einen Nutzen nachweisen konnten.
»Evidenzbasierte Pharmazie ist der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen wissenschaftlichen Evidenz bei der Entscheidungsfindung in der pharmazeutischen Versorgung und Beratung«, zitierte der Professor für Pharmazeutische Biologie das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM). Oft lohne sich ein Blick in die Originaldaten der Zulassungsstudien. »Da Erkältungen selbstlimitierend verlaufen, kämpfen die Hersteller immer gegen die Zeit. Es geht dabei meist um Scores wie die Symptomverteilung und Intensität, nicht um harte Endparameter.«
Meist zeige sich in den ersten drei bis vier Erkrankungstagen noch kein großer Unterschied zu Placebo, so der Referent. Für einige pflanzliche Präparate gebe es aber gut gemachte Studien, die belegen, dass sich die Erkrankungsdauer bei Erkältungen um ein bis zwei Tage verkürzen lässt – angesichts der Häufigkeit von Atemwegsinfekten und den damit verbundenen Kosten durch Arbeitsausfälle ein beachtlicher Erfolg.
Eine Besonderheit der Phytopharmaka ist, dass nicht die enthaltene Pflanze oder gar ein einzelner Inhaltsstoff, sondern der Extrakt als Wirkstoff betrachtet werden muss. In den Leitlinien werden derzeit nur die Heilpflanzen-Kombinationen oder Extrakt-Abkürzungen genannt, nicht aber der Handelsname, obwohl ein spezifisches Produkt gemeint ist. »Der Name sollte ruhig darin stehen, damit auch Laien etwas damit anfangen können«, meinte Fürst.
Zur Prävention von Atemwegsinfektionen allgemein hat laut Fürst das Präparat Angocin® Anti-Infekt N zeigen können, dass es die Infektwahrscheinlichkeit gegenüber Placebo verringert (DOI: 10.1185/03007995.2012.742048). Als Therapeutikum kann Esberitox® die Symptomlast senken, jedoch nicht die Erkrankungsdauer verkürzen (DOI: 10.1185/03007999909114094). Laut eines Cochrane-Reviews aus dem Jahr 2014 kann für Echinacea von einem geringen Effekt bei der Prävention und keinem Effekt bei der Therapie ausgegangen werden, so Fürst (DOI: 10.1002/14651858.CD000530.pub3). Allerdings wurden in der Metaanalyse von 24 Studien extrem heterogene Präparate zusammengefasst (verschiedene Spezies, Pflanzenteile oder Extraktionsverfahren). Hier müsse man sich gezielt die Studien der einzelnen Präparate ansehen, so Fürst. Echinacin® Liquidum Madaus habe beispielsweise bei Kindern die Schwere und Dauer der Symptome lindern können (DOI: 10.1001/jama.290.21.2824).
Bei einer akuten Rhinosinusitis kann laut aktueller S2k-Leitlinie eine Behandlung mit Sinupret® extract oder definierten Eucalyptus-Extrakten empfohlen werden. Für eine Empfehlung bei rezidivierender oder chronischer Rhinosinusitis sei die Evidenzlage dagegen nicht ausreichend. Darüber hinaus liegen laut Fürst Studien vor, die auch für einen Einsatz von Umckaloabo® bei bakterieller Sinusitis (Bachert et al. Rhinology. 2009; 47: 51-58) sowie bedingt auch für Gelomyrtol® forte (DOI: 10.1055/s-2007-997381) und Soledum® (DOI: 10.1097/00005537-200404000-00027) sprechen. Umckaloabo ist allerdings nicht für die Indikation akute Rhinosinusitis zugelassen.
Zur Behandlung von Halsschmerzen heißt es in der Leitlinie, deren Gültigkeit allerdings abgelaufen ist und die derzeit überarbeitet wird: »Pflanzliche Arzneimittel können bei ausgeprägtem Therapiewunsch oder unzureichender Wirksamkeit besser belegter symptomatischer Maßnahmen mit Einschränkungen empfohlen werden«. Positive Erwähnung fänden Valverde® Salvia Rachenspray, das allerdings nicht in Deutschland auf dem Markt ist, und Umckaloabo, ergänzte Fürst. Auch für die akute Pharyngitis hat das Perlagonium-Präparat jedoch keine Zulassung.
Auch in der gültigen S3-Leitlinie Husten werden Phytopharmaka positiv erwähnt: die Kombination aus Thymiankraut und Efeublättern (wie in Bronchipret® Saft TE), die Kombination aus Thymiankraut und Primelwurzel (wie in Bronchipret® TP Filmtabletten und Bronchicum® Tropfen) und auch hier Pelargonium sidoides, also Umckaloabo. Nicht in der Leitlinie aufgeführt ist, aber durchaus plausibel erscheint Fürst bei akuter Bronchitis der Einsatz von gut untersuchten Efeu-Monopräparaten wie Prospan® oder Hedelix® sowie Gelomyrtol forte und bedingt auch Soledum.
»Es gibt noch viele andere Präparate. Nur weil es noch keine überzeugenden Studien gibt, heißt es nicht, dass diese nicht wirken«, sagte Fürst. Er empfiehlt jedoch, sich an der aktuellen Datenlage und den Bedürfnissen der Patienten zu orientieren.
Erkältungen, genauer gesagt Infektionen der oberen (Rhinitis, Rhinosinusitis, Pharyngitis) und unteren Atemwege (Bronchitis), zählen zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt. Sie sind zu mehr als 90 Prozent viral bedingt. 30 bis 50 Prozent gehen auf das Konto der mehr als 150 bekannten Rhinovirusarten; 10 bis 15 Prozent gehen auf Coronaviren, 5 bis 15 Prozent auf Influenzaviren, 5 Prozent auf Parainfluenza sowie 20 bis 30 Prozent auf unbekannte Viren zurück, so Professor Dr. Robert Fürst. Ihr größtes Reservoir haben die Viren bei Kindern unter fünf Jahren. Hauptübertragungsweg ist nicht wie oft gedacht die Tröpfcheninfektion durch Niesen oder Husten, sondern die Schmierinfektion. Die Infektion erfolgt über Händeschütteln oder Kontakt mit kontaminierten Flächen, wenn derjenige sich anschließend an die Augen fasst. »Das passiert viel häufiger, als uns bewusst ist«, so Fürst. Händewaschen sei daher die wichtigste Vorbeugemaßnahme gegen Atemwegsinfekte. Die Viren dringen dann über die Schleimhäute oder den Tränenkanal ins Epithel ein. Nach ein bis zwei Tagen kommt es meist zuerst zu Halsschmerezn, dann folgen Schnupfen, eventuell leicht erhöhte Temperatur, Kopf- und Gliederschmerzen. Nach einigen Tagen kommt Husten dazu. Nach sieben bis zwölf Tagen ist der Infekt auch ohne Medikamente in der Regel überstanden.