Phytopharmaka mit Evidenz |
Im Februar 2019 hat die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) ihre neue S2k-Leitlinie zur »Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit Husten« veröffentlicht (1).
In dieser Leitlinie wird dem alten und auch in der Pharmazie bisher sehr wichtigen Schema, das den Husten in »trocken« oder »produktiv« einteilt, interessanterweise keine Bedeutung mehr zugemessen. Stattdessen steht die Dauer des Hustens (akut, subakut, chronisch) als Klassifizierung im Vordergrund (mehr dazu im Titelbeitrag von Professor Michael Schmidt).
Zur Phytotherapie sind zwei kleinere Abschnitte in den Kapiteln zur protussiven (mukoaktiven) und zur antitussiven Therapie zu finden. Die Leitlinie macht folgende Aussagen zur Phytotherapie:
Der Haupteinsatzbereich der Phytopharmaka wird demnach beim akuten Husten gesehen. Aus pharmazeutischer Sicht sehr erfreulich ist der differenzierte Umgang mit Arzneipflanzen und daraus hergestellten Extrakten/Präparaten. So stellt die Leitlinie sehr zutreffend fest: »Ergebnisse der Studien mit Phytopharmaka gelten nicht für die untersuchte(n) Pflanze(n), sondern nur grundsätzlich für das getestete Präparat.«
Als wirksame Therapieoptionen werden »Präparate aus Efeu, Cineol, Myrtol, Pelargonium sidoides und die Kombinationspräparate Efeu und Thymian sowie Primeln und Thymian« genannt. Die Leitlinie erwähnt sogar explizit, dass »die Datenlage für diese Phytotherapeutika für die Indikation akute Bronchitis häufig besser ist als für synthetische Expektorantien». Aus pharmazeutischer Sicht ist anzumerken, dass Präparate, die als Wirkstoff den Reinstoff Cineol enthalten, nicht zu den Phytopharmaka zählen, da hier kein Vielstoffgemisch vorliegt.
Wichtige Bestandteil der Deklaration eines Phytopharmakons sind:
In der Apotheke stellt sich zudem häufig die Frage: Kann man den HMPC-Status eines pflanzlichen Arzneimittels anhand der Angaben auf der Packung erkennen?
Die Kategorien well-established Use (WEU) (Richtlinie 2001/83/EC) und traditional Use (Richtlinie 2004/24/EG), die von der EMA für Drogen (und deren Extrakte) vergeben werden, existieren erst seit 2001 beziehungsweise 2004. Erarbeitet und revidiert werden die Monographien sukzessive nach einem Programmplan, den sich das HMPC selbst gibt, sodass laufend neue Monographien hinzukommen und sich die Kategorien auch ändern können. Steht auf einer Packung eine Registrierungs-Nummer (Reg.-Nr.) sowie »traditionelles pflanzliches Arzneimittel« oder »traditionell angewendet bei/zur«, kann man sicher sein, dass es sich um die Kategorie traditional Use handelt. Auf allen anderen Phytopharmaka findet sich eine Zulassungsnummer (Zul.-Nr.), aus der aber nicht abgeleitet werden kann, ob hier eine Vollzulassung, eine WEU-Zulassung oder eine Nachzulassung nach dem alten AMG vorliegt.
Zur Erinnerung: In der EU gibt es für Phytopharmaka drei Möglichkeiten der behördlichen Marktautorisierung:
Und wie bewertet nun der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der europäischen Zulassungsbehörde EMA die Drogen und Extrakte gegen Husten? Vorauszuschicken ist, dass in den Studien meist der Bronchitis Severity Score (BSS) herangezogen wird. Dafür werden die fünf Symptome Husten, Schleimproduktion, Brustschmerzen, Rasselgeräusche und Dyspnoe bewertet. Die 0 bis 20 BSS-Gesamtpunkte errechnen sich aus den Schweregrad-Punkten der verschiedenen Symptome (0: nicht vorhanden, 1: leicht, 2: moderat, 3: schwer, 4: sehr schwer).
Die Droge Efeublätter (Hederae folium) besteht aus den im Frühjahr und Sommer geernteten, ganzen oder geschnittenen Blättern von Hedera helix (Gewöhnlicher Efeu, Familie Araliaceae). Mindestens 3,0 Prozent des Hauptsaponins Hederacosid C müssen laut Ph. Eur. in der getrockneten Droge enthalten sein.
Die genaue Wirkweise im Menschen ist nicht bekannt. Es gibt aber zahlreiche Hinweise aus In-vitro- und In-vivo-Studien, dass die Efeu-Inhaltsstoffe expektorierend und bronchodilatierend wirken. Efeublätterextrakte wurden in zahlreichen klinischen Studien untersucht. Das HMPC vergab aufgrund der positiven Datenlage für drei Trockenextrakte, einen Dickextrakt und einen Fluidextrakt den Status well-established Use in der Indikation »als Expektorans bei produktivem Husten« (Tabelle 1).
Tabelle 1: Übersicht über Efeublätterextrakte, die den Status well-established Use der EMA haben
Der Bewertungsbericht des HMPC erwähnt in seiner Zusammenfassung der klinischen Wirksamkeitsbelege unter anderem die Studie von Schaefer et al. (2). An 181 erwachsenen Patienten, die einen BSS ab 10 aufwiesen, wurde gezeigt, dass die Einnahme eines Efeublätter-Trockenextrakts (DEV 5 bis 7,5:1, 30 Prozent Ethanol) für sieben Tage den BSS signifikant stärker senkte als Placebo.
Thymian (Thymi herba) wird aus den ganzen, von den getrockneten Stängeln abgestreiften Blättern und Blüten von Thymus vulgaris (Echter Thymian) und T. zygis (Spanischer Thymian) oder einer Mischung beider Arten (Familie: Lamiaceae) gewonnen. Er muss gemäß Ph. Eur. mindestens 12 ml ätherisches Öl pro Kilogramm wasserfreie Droge enthalten, wobei der Gesamtgehalt an Thymol und Carvacrol mindestens 40 Prozent des ätherischen Öls betragen muss. Das ätherische Öl hat eine expektorierende, bronchospasmolytische und stark antimikrobielle Wirkung.
Die Droge Primelwurzel (Primulae radix) besteht aus dem ganzen oder geschnittenen, getrockneten Rhizom mit den Wurzeln von Primula veris (Frühlings- oder Echte Schlüsselblume) oder P. elatior (Hohe Schlüsselblume) aus der Familie der Primulaceae. Ein Mindestgehalt eines Inhaltsstoffs oder einer Stoffgruppe wird vom Ph. Eur. nicht gefordert. Die Primelwurzel gehört zu den Triterpensaponin-Drogen. Primulasaponin I stellt das Hauptsaponin dar. Wie die expektorierende Wirkung genau zustande kommt, ist letztlich unklar. In der Literatur wird häufig eine reflektorische Wirkung über eine Reizung der Magenschleimhaut erwähnt.
Interessanterweise existieren weder für Primelwurzel noch für Thymian oder Thymianöl ausreichende klinische Wirksamkeitsbelege, sodass für die Indikation »erkältungsbedingter produktiver Husten« jeweils der HMPC-Status traditional Use vergeben wurde. Für drei verschiedene fixe Kombinationen von Thymian- und Primelwurzel-Extrakten (Tabelle 2) sind jedoch ausreichend klinische Wirksamkeitsbelege vorhanden, sodass die HMPC-Experten im April 2016 den Status well-established Use vergeben haben.
Tabelle 2: Übersicht über Kombinationen aus Thymian- und Primelwurzel-Extrakten, die den Status well-established Use der EMA haben
Beispielhaft sei eine klinische Studie erwähnt, bei der Bronchipret® TP (dreimal eine Tablette pro Tag) an 361 erwachsenen Patienten mit akuter Bronchitis und einem BSS ab 5 sowie mindestens zehn Hustenanfällen pro Tag getestet wurde. Nach neun Tagen sank die Anzahl der Hustenanfälle in der Verum-Gruppe um 73,7 Prozent und in der Placebo-Gruppe um 57,8 Prozent, der Unterschied war signifikant. Auch der BSS verringerte sich signifikant unterschiedlich: Die Placebo-Gruppe zeigte eine Reduktion um 4,1 Score-Punkte, die Verum-Gruppe um 6,2 (3).
Für diese Kombination hat das HMPC noch keine Monographie erstellt. Allerdings existiert auch hier eine gute klinische Studie. Im Präparat Bronchipret® Saft TE wird ein 1: 1-Fluidextrakt (Auszugsmittel: Ethanol 70 Prozent) aus Efeublättern kombiniert mit einem 1: 2 bis 2,5-Thymiankraut-Fluidextrakt (Auszugsmittel: Ammoniaklösung 10 Prozent, Glycerol 85 Prozent, Ethanol 90 Prozent und Wasser im Verhältnis 1: 20: 70: 109).
In einer klinischen Studie an 361 Patienten mit einem BSS ab 5 und mindestens zehn Hustenanfällen pro Tag reduzierte eine dreimal tägliche Gabe von 5,4 ml Saft für elf Tage die Zahl der Hustenanfälle signifikant. In der Verum-Gruppe kam es zu einer Reduktion um 77,6 Prozent, in der Placebo-Gruppe um 55,9 Prozent. Auch die BSS-Verringerung war signifikant unterschiedlich: in der Placebo-Gruppe um 3,3, in der Verum-Gruppe um 6,6 Punkte (4).
Pelargonium sidoides, auch Kapland-Pelargonie genannt, und P. reniforme (Familie: Geraniaceae) sind die beiden zulässigen Stammpflanzen der Droge Pelargoniumwurzel (Pelargonii radix). Sie enthält vor allem Gerbstoffe und Cumarine als pharmakologisch interessante Pflanzeninhaltsstoffe. Gemäß Ph. Eur. müssen in der Droge mindestens 2 Prozent Tannine (berechnet als Pyrogallol) enthalten sein.
Pelargonium sidoides (hier gezeigt) und
P. reniforme sind Stammpflanzen für die Droge Pelargoniumwurzel. / Foto: Fürst, Zündorf
In präklinischen Studien zeigten sich verschiedene Wirkcharakteristika. Pelargoniumwurzel-Inhaltsstoffe haben moderate antibakterielle Eigenschaften, fördern die Abwehrbereitschaft von Leukozyten und wirken mukolytisch durch Erhöhung der ziliären Aktivität. Insbesondere zum Extrakt EPs 7630 (Umckaloabo®) liegen mehrere klinische Studien vor, die zwischen der Verum- und Placebo-Gruppe einen Unterschied im BSS zeigten. Beispielsweise kam es in einer Studie, an der 468 Patienten mit akuter Bronchitis und einem BSS-Wert ab 5 teilnahmen, zu einer signifikanten Veränderung des BSS. In der Verum-Gruppe (dreimal täglich 30 Tropfen) sank der Score-Wert nach sieben Tagen Behandlung um 5,9 Punkte, in der Placebo-Gruppe nur um 3,2 (5).
Das HMPC kam allerdings im Juni 2018 zu der recht überraschenden Einschätzung, dass die Veränderungen des BSS klinisch nicht relevant (genug) seien. Die Begründung, die wie bei allen HMPC-Monographien in einem Bewertungsbericht (Assessment-Report, EMA/HMPC/444251/2015) veröffentlich wurde, ist recht umständlich formuliert und aus unserer Sicht nicht ganz klar nachzuvollziehen. Insgesamt wurde dem Fluidextrakt und einem Trockenextrakt somit lediglich der Status traditional Use zugesprochen (Tabelle 3).
Myrtol ist eine Bezeichnung des pharmazeutischen Herstellers für das spezielle Vielstoffgemisch im Präparat GeloMyrtol®, das ein Destillat aus einer Mischung von rektifiziertem Eukalyptusöl, rektifiziertem Süßorangenöl, rektifiziertem Myrtenöl und rektifiziertem Zitronenöl (66:32:1:1) darstellt. Charakteristische Inhaltsstoffe von Myrtol sind 1,8-Cineol, (+)-Limonen und (+)-α-Pinen.
Präklinische Studien haben gezeigt, dass Myrtol die mukoziliäre Clearance steigert und so den Abtransport von zähem Schleim aus der Lunge verbessert. Außerdem hat das Vielstoffgemisch bronchospasmolytische Eigenschaften.
Im Indikationsbereich akute Bronchitis findet sich beispielsweise eine klinische Studie, die einen Eindruck über die Wirksamkeit von Myrtol gibt. 413 Patienten mit einem BSS ab 5 und mindestens zehn Hustenanfällen pro Tag bekamen entweder Placebo oder viermal täglich 300 mg Myrtol über sieben bis neun Tage. Die Zahl der Hustenanfälle reduzierte sich in der Placebo-Gruppe um 49,8 Prozent, in der Verum-Gruppe um 62,1 Prozent (6).
Allerdings gab das HMPC keine Bewertung ab – und diese dürfte aufgrund der Besonderheiten des Wirkstoffs auch nicht zu erwarten sein.
Die Therapie von Erkältungssymptomen ist eine klassische Domäne der Phytotherapie. Im Indikationsbereich »akuter Husten« steht eine Reihe von Phytopharmaka zur Verfügung, die gemäß HMPC und ärztlicher Leitlinie einen nachgewiesenen therapeutischen Nutzen haben und daher im pharmazeutischen Beratungsalltag präferiert werden sollten.
Dr. Robert Fürst studierte Pharmazie und erhielt 2001 die Approbation als Apotheker. Anschließend folgten Promotion und Habilitation (2011) im Fach Pharmazeutische Biologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit Ende 2012 hat Professor Fürst die W3-Professur für Pharmazeutische Biologie im Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main inne. Seit 2016 ist er Geschäftsführender Direktor des Instituts für Pharmazeutische Biologie, seit 2017 Prodekan des Fachbereichs Biochemie, Chemie und Pharmazie. Sein Forschungsschwerpunkt sind die molekularen Wirkmechanismen von Naturstoffen.
Dr. Ilse Zündorf studierte Biologie von 1984 bis 1990 an der Universität Erlangen. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Universität of Kentucky, Lexington, USA, wurde sie 1995 am Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt promoviert. Zunächst als Akademische Rätin, seit 2001 als Akademische Oberrätin arbeitet sie am Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Forschungsthemen betreffen Herstellung und Charakterisierung monoklonaler Antikörper, Herstellung und Modifikation rekombinanter Antikörperfragmente sowie die Etablierung von zellulären Testsystemen zur Wirkstoffsuche.