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Viagra und Co.

OTC-Switch nur mit guter Apotheken-Beratung möglich

Letztes Jahr sprach sich der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht zwar gegen den OTC-Switch von Sildenafil bei erektiler Dysfunktion aus. Demnächst steht das Thema jedoch wieder auf der Tagesordnung – und Tadalafil noch dazu. Viagra-Hersteller Viatris argumentiert mit der guten Beratung in der Apotheke.
Daniela Hüttemann
16.06.2023  13:30 Uhr

»Der Penis ist die Antenne des Herzens« lautet eine markante Urologen-Weisheit. Denn häufig und vor allem mit steigendem Alter gehen Erektionsprobleme auf Schäden in den feinen Blutgefäßen des männlichen Organs zurück – parallel kann das auch der Fall im Herzen oder in den Nieren sein. Nicht nur die Gesellschaft für Mann und Gesundheit plädiert daher dafür, »Erektionsstörungen stets fachmännisch und in alle Richtungen abzuklären«. Neben einer kardiovaskulären Erkrankung könne zum Beispiel auch ein bislang unentdeckter Diabetes mellitus dahinter stecken.

Das ist auch der Hauptgrund, warum Sildenafil 25 Jahre nach dem Verkaufsstart als Potenzmittel Viagra® heute zumindest in Deutschland immer noch verschreibungspflichtig ist. Gleiches gilt für die seit 2013 verfügbaren Generika sowie die anderen Phosphodiesterase-5-Hemmer, die folgten. Das ist in manchen Ländern schon anders: In Großbritannien und Polen beispielsweise gibt es Sildenafil mittlerweile auch ohne Rezept.

Eindämmung des illegalen Online-Handels als Switch-Argument

Bereits vor anderthalb Jahren, im Januar 2022, diskutierte der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte darüber, ob man Sildenafil 50 mg mit maximal vier Tabletten aus der Rezeptpflicht entlassen sollte. Der entsprechende Antrag wurde jedoch einstimmig abgelehnt. Auch das BfArM, das selbst zwar nicht stimmberechtigt ist, hatte sich gegen den Antrag ausgesprochen. Damit war das Thema OTC-Switch jedoch nicht wie sonst üblich in solchen Fällen erst einmal vom Tisch.

Die Entscheidung über einen OTC-Switch fällt letztlich das Bundesgesundheitsministerium und ist dabei nicht an die Empfehlung des Sachverständigenausschuss gebunden – in der Regel folgt es dessen Votum. In diesem Fall aber hat das BMG zusätzliche Meinungen der betroffenen Fachverbände eingeholt. Wie das BMG im Dezember auf Nachfrage gegenüber der PZ erklärt hatte, sei das Ziel die Verbesserung der Patientenversorgung mit sicheren Arzneimitteln und der Schutz vor illegaler Ware aus nicht kontrollierter Herstellung. Hier steht also die Bekämpfung des illegalen Arzneimittelhandels mit teils gefälschten Medikamenten im Vordergrund.

Sachverständigenausschuss tagt am 11. Juli

Nun steht das Thema Sildenafil zur nächsten turnusmäßigen Sitzung des Sachverständigenausschusses am 11. Juli wieder auf der Tagesordnung (der Ausschuss tagt zweimal im Jahr) – und der länger wirksame PDE-5-Hemmer Tadalafil 10 mg (Cialis® und Generika) gleich noch dazu. Die Tagesordnung wurde am Dienstag veröffentlicht. Dieses Mal geht es aber um die niedrigste Dosierung, nämlich um 25.mg-Tabletten statt wie im Januar 2022 um die 50-mg-Tabletten.

Passend dazu fand am gestrigen Donnerstag ein Satelliten-Symposium zum Thema Sildenafil-OTC-Switch von Viagra-Hersteller Viatris beim Hauptstadtkongress für Medizin und Gesundheit in Berlin statt. Dr. Matthias Arnold, Gesundheitsökonom beim privatwirtschaftlichen Institut für angewandte Versorgungsforschung  (inav GmbH) stellte die Ergebnisse eines Gutachtens vor, das sein Institut im Auftrag von Viatris angefertigt hatte. Dabei seien die Auswirkungen des Sildenafil-OTC-Switches in den europäischen Nachbarländern bewertet worden sowie auch die OTC-Switches anderer Medikamente in Deutschland.

Positives Paradox: Ohne Verschreibungspflicht gehen mehr Männer zum Arzt

Ein Argument für die Entlassung von PDE-5-Hemmern aus der Verschreibungspflicht: Bislang suche nur etwa ein Drittel der betroffenen Männer ärztliche Hilfe. Viele bestellen ohne ärztlichen Rat im illegalen Versandhandel. Damit unterliegen sie nicht nur der Gefahr, ein gefälschtes Medikament zu bekommen, sondern verpassen auch die Chance auf eine frühzeitige Diagnose möglicher ernsthafter zugrundeliegender Erkrankungen, die beispielsweise zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führen könnten. In Großbritannien hätten sich nach bisherigen Daten die Hoffnungen erfüllt, den illegalen Handel zu reduzieren und mehr Patienten auch in die ärztliche Versorgung zu bekommen.

Wären Mittel gegen erektile Dysfunktion in deutschen Apotheken rezeptfrei mit entsprechender Beratung erhältlich, könnte nicht nur der illegale Online-Handel im Sinne des Verbraucherschutzes eingedämmt werden, so die Hoffnung. »Wenn die Apotheken Patienten mit Risikomerkmalen zur Abklärung von Grunderkrankungen als Ursache der erektilen Dysfunktion in die ärztliche Versorgung verweisen können, ist das als zentraler positiver Public-Health-Impact zu bewerten«, betonte Gutachter Arnold. Die frühere Erkennung von Grund- beziehungsweise Folgeerkrankungen könne zu weniger schweren Krankheitsverläufen und dementsprechend zu geringeren Behandlungskosten führen.

Nur mit intensiver Beratung in der Apotheke

Nach den Erfahrungen mit bisherigen OTC-Switches sei aus Sicht der Patienten eine gute Apothekenberatung gewährleistet, so Arnold weiter. Apotheken seien für viele eine zentrale Anlaufstelle in Gesundheitsfragen und genießen großes Vertrauen. Die Apotheken selbst sähen sich auch bei sensiblen Krankheitsbildern durch positive Vorerfahrungen gut gerüstet – damit spielte Arnold wohl auf den OTC-Switch der »Pille danach« mit Ulipristalacetat 2015 auf EU-Ebene an.

»Einige Länder wie das Vereinigte Königreich setzen auf eine intensive Beratungspflicht der Apotheken bei der Abgabe von Sildenafil. Dieser Ansatz ist auch in Deutschland zu prüfen«, schlussfolgerte Arnold. »Die Analyse gibt gute Hinweise, dass sowohl Patienten als auch das Gesundheitssystem von einem OTC-Switch von Sildenafil profitieren würden.«

Apotheken könnten Zugang und Früherkennung verbessern

Und wie sehen das die Apotheken? Die pharmazeutische Perspektive vertrat Holger Seyfarth, Vorstandsvorsitzender des Hessischen Apothekerverbands (HAV). Er schätzte Sildenafil als Wirkstoff mit gutem Sicherheitsprofil ein, begleitet von einer Beratung zur sicheren Anwendung als eine der Kernkompetenzen von Apothekerinnen und Apothekern.

»Wir bieten bereits seit vielen Jahren erfolgreich Beratungsleistungen für Arzneimittel, die aus der Verschreibungspflicht entlassen wurden, an«, betonte Seyfarth. »Das ist Teil unserer täglichen Aufgaben in der Apotheke. Wir sind überzeugt davon, dass wir durch den einfacheren Zugang zu Sildenafil für Betroffene und durch unsere ausdrückliche Empfehlung für eine ärztliche Konsultation zu einer insgesamt besseren Versorgung unserer Patienten beitragen.« Und ihm als Apotheker sei natürlich auch der Schutz vor illegalen Arzneimitteln aus unkontrollierter Produktion für die Patientensicherheit wichtig.

Erektile Dysfunktion entstigmatisieren

Zustimmung gab es auch von Privatdozent Dr. Tobias Jäger aus Essen, Urologe und Vorstand der anfangs zitierten Gesellschaft für Mann und Gesundheit: »Die Entstigmatisierung der erektilen Dysfunktion ist so wichtig«, sagte der Mediziner. Dazu und eben auch zur Früherkennung von Grund- und Folgeerkrankungen könne die Entlassung von Sildenafil aus der Verschreibungspflicht verbunden mit dem niedrigschwelligen Beratungsangebot in der Apotheke vor der Medikamentenabgabe einen wichtigen Beitrag leisten.

Ob sich die Sachverständigen am 11. Juli davon überzeugen lassen, bleibt abzuwarten. Neben Sildenafil und Tadalafil stehen übrigens auch noch ein weiteres Triptan zur Akuttherapie der Migräne (Rizatriptan 5 mg, in Maxalt® und Generika) und eine weitere antiallergische Kombination (Azelastin plus Fluticasonpropionat, in Dymista® Nasenspray) auf der Tagesordnung.

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