Offene Fragen zur Wirksamkeit |
Christina Hohmann-Jeddi |
27.10.2020 18:00 Uhr |
Auf die ersten zugelassenen Corona-Impfstoffe wartet momentan die ganze Welt. / Foto: Adobe Stock/Looker_Studio
Die ersten Impfstoffe gegen Covid-19 stehen in Europa kurz vor der Zulassung. Drei Kandidaten befinden sich bereits in einem Rolling-Review-Verfahren der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA): die mRNA-Vakzine von Pfizer und BioNTech, Astra-Zenecas Vektorvakzine und der mRNA-Impfstoff von Moderna. Grundlage dieses Verfahrens und letztlich auch der Zulassung sind die Daten aus Phase-III-Studien, in denen die Sicherheit und Wirksamkeit an mehreren Tausend Probanden getestet werden.
Doch was bedeutet Wirksamkeit im Fall der Covid-19-Impfstoffe genau? Verhindern sie eine Infektion, eine symptomatische Erkrankung oder auch schwere Verläufe und Todesfälle? »Das übliche Ziel ist es, eine Infektionskrankheit oder wenigstens ihren schweren Verlauf mit Impfstoffen zu verhindern«, sagte Professor Dr. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), im August gegenüber der PZ. »Maximalziel der Impfstoffentwicklung ist der vollständige Schutz vor Infektion und die Verhinderung der Transmission.« Dieses Ziel wird Cichutek zufolge aber nicht von allen Covid-19-Impfstoffen erreicht werden, wie die Daten aus Tierexperimenten zeigten.
Was die Impfstoffe genau leisten können, wird wohl zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht vollständig bekannt sein. Darauf weist Professor Dr. Peter Doshi von der University of Maryland School of Pharmacy in einem Meinungsbeitrag im »British Medical Journal« (BMJ) hin. Er kritisiert, dass die Phase-III-Studien mit den Impfstoffkandidaten nicht darauf ausgelegt seien, die Effektivität in Bezug auf das Verhindern von Todesfällen beziehungsweise kritischen Verläufen zu erfassen. Ob ein Impfstoff überhaupt Leben retten und Krankenhauseinweisungen verhindern kann, sei somit in den Studien nicht festzustellen.
Primäre Endpunkte der klinischen Studien sind – zumindest bei den drei genannten Kandidaten – die Zahl der Covid-19-Fälle, also SARS-CoV-2-positive symptomatische Erkrankungen, und die Zahl der unerwünschten Ereignisse. Ein Impfstoffkandidat gilt also dann als wirksam, wenn er Covid-19-Erkrankungen verhindert oder deren Häufigkeit reduziert. Um zu untersuchen, ob auch Krankenhauseinweisungen und Todesfälle verhindert werden, hätten die Studien nicht genügend statistische Power, so Doshi. Das bedeutet, dass diese Ereignisse in den Studienpopulationen zu selten vorkommen, als dass im Beobachtungszeitraum ein signifikanter Unterschied zwischen der Impf- und der Placebogruppe zu erkennen sein wird.
Gegenüber dem BMJ bestätigte dies Dr. Tal Zaks, Leiter der klinischen Entwicklung von Moderna, für die firmeneigene Studie. Bei Moderna sei man sich aber sicher, dass der Impfstoff, wenn er milde Covid-19-Erkrankungen verhindere, auch schwere Verläufe verhindern könne, die sich schließlich aus diesen entwickelten. Dasselbe gelte auch für Grippeimpfstoffe, die schwere Erkrankungen besser verhinderten als milde.
In einem Meinungsbeitrag im Fachjournal »Science« nennen Professor Dr. Marc Lipsitch von der Harvard T.H. Chan School of Public Health, Boston, und Dr. Natalie Dean von der University of Florida, Gainesville, weitere offene Punkte, die durch die Phase-III-Studien nicht abschließend geklärt werden können, aber für die Entwicklung der Impfstrategie von Bedeutung sind. Hierzu gehört der Umgang mit Risikogruppen wie Älteren und Menschen mit vorbestehenden Grunderkrankungen. Diese könnten laut Lipsitch und Dean entweder selbst geimpft und somit direkt geschützt werden oder indirekt durch Impfung ihrer Kontakte.
Ältere Menschen sind per se Covid-19-Risikopatienten, sprechen aber zumeist schlecht auf Impfungen an – ein Dilemma. / Foto: Fotolia/SyB
Von Älteren ist bekannt, dass sie aufgrund der Immunseneszenz schlechter auf Impfungen ansprechen als junge Erwachsene. Um abzuschätzen, ob eine Strategie mit direktem oder indirektem Schutz für Risikopersonen im Fall der Covid-19-Impfstoffe die richtige ist, muss bekannt sein, wie hoch die Wirksamkeit der Vakzine in den Risikogruppen ist und ob sie die Infektiosität der Geimpften senken. Das gilt vor allem bei knappen Ressourcen, wie sie zumindest in der Anfangsphase der Impfungen zu erwarten sind.
Subgruppen-spezifische Wirksamkeit werde anhand den jetzt laufenden Phase-III-Studien allerdings nur grob geschätzt werden können, schreiben die Autoren. Dieses Problem lasse sich nur durch eine Mindestrekrutierungsmenge für bestimmte Subgruppen beheben.
Nach Angaben der Herstellerfirmen sind die Risikogruppen in den laufenden Studien jedoch nicht unterrepräsentiert. So informierte Moderna kürzlich, dass 42 Prozent der Teilnehmer an der Phase-III-Studie COVE zu den medizinischen Hochrisikogruppen gehören, darunter mehr als 7000 Teilnehmer im Alter über 65 Jahre und mehr als 5000 jüngere Probanden mit chronischen Krankheiten, die ein erhöhtes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe bergen. Außerdem gehörten etwa 37 Prozent ethnischen Minderheiten an.
Um die Aussagekraft der Studien zu erhöhen, ist es laut Lipsitch und Dean zudem wichtig, sie auch dann noch weiterlaufen zu lassen, wenn schon eine signifikante Wirksamkeit nachgewiesen wurde. Dies wird jedoch möglicherweise nicht der Fall sein: Laut Design der Studien sind mehrere Zwischenauswertungen vorgesehen, sodass nach dem Auftreten von circa 150 bis 160 Covid-19-Erkrankungen unter den Studienteilnehmern eine Wirksamkeit festgestellt und die Studie abgebrochen werden könnten.
Dagegen sprechen sich die Autoren aus, da ein längeres Follow-Up wertvolle Daten zur Langzeitsicherheit und -wirksamkeit generiere und außerdem ein besseres Bild der altersspezifischen Wirksamkeit liefere. Um mehr über die subgruppenspezifische Wirksamkeit zu erfahren, seien zudem Beobachtungsstudien nach der Zulassung ratsam und auch Vergleichsstudien mehrerer zugelassener Vakzine ohne Kontrollarm.
Bei einer geringen Wirksamkeit der Impfstoffe in den Risikogruppen kann die indirekte Schutzstrategie die geeignetere sein. Wichtige Voraussetzung hierbei ist allerdings, dass eine Impfung Geimpfte nicht nur selbst vor einer Erkrankung schützt, sondern ihre Viruslast auch so stark senkt, dass sie andere nicht anstecken können. Die Impfung sollte also die Transmission unterbrechen können.
Einige Studien beziehen diesen Aspekt ein und untersuchen auch die Dauer und das Ausmaß der Virusausscheidung als sekundären Endpunkt. Bei der Studie von Moderna etwa gehört auch die Zahl der »SARS-CoV-2-Infektionen unabhängig von der Symptomatik« und die Zahl der sekundären Fälle, also Ansteckungen durch Geimpfte, zu den erfassten Parametern.
Astra-Zeneca testet im britischen Teil seiner Studie die Probanden wöchentlich unabhängig vom Auftreten von Symptomen auf das Virus, um zumindest eine Einschätzung zu bekommen, ob die Impfung die Viruslast in der infektiösen Phase senkt. Exaktere Daten hierzu ließen sich durch sogenannte Human Challenge Trials gewinnen, bei denen Geimpfte nach einer gewissen Zeit bewusst mit dem Erreger infiziert werden. Solche Studien sind umstritten, werden in Großbritannien aber bereits vorbereitet.
Nach einer natürlichen SARS-CoV-2-Infektion lässt die Antikörperproduktion – abhängig von der Schwere der verursachten Erkrankung – mehr oder weniger rasch nach. Die bisherigen Ergebnisse von Phase-I/II-Studien zeigen aber, dass die Titer der neutralisierenden Antikörper bei den Geimpften um den Faktor 2 oder 3 höher liegen als bei genesenen Covid-19-Patienten. Zum Teil werden diese hohen Werte auch bei Senioren erreicht, wie zum Beispiel Moderna meldet. Dies würde dafür sprechen, dass eine direkte Schutzstrategie für Risikogruppen geeignet ist. Über die Impfstrategie wird in Deutschland die Ständige Impfkommission in den kommenden Wochen entscheiden. Laut Bundesministerium für Gesundheit könnten die Impfungen gegen Covid-19 im ersten Quartal 2021 beginnen.