»Nicht westliche Sicht auf den Körper« |
Jennifer Evans |
23.12.2019 08:00 Uhr |
Mervyn Rubuntja: Bush medicine in Jay Creek, NT, 2017. / Foto: University of Melbourne
Wie ein Gegenpol wirken die farbenfrohen Werke der indigenen Künstler im Vergleich zur Dauerpräsentation des Museums mit seinen rund 750 Feucht- und Trockenpräparaten kranker Organe. Die Ausstellung präsentiert eine »nicht westlich geprägte Sicht« auf den menschlichen Körper, so Museumsdirektor Professor Dr. Thomas Schnalke. Die Gegenüberstellung solle »die Sinne für die Heilweisen und -mittel der indigenen Kulturen öffnen«, deren Heilungspraxis auch mit kulturellen und rituellen Aspekten verknüpft ist.
Rund 65.000 Jahre geht die Geschichte von Aborigines und Torres-Strait-Insulanern in Australien zurück. Die lange Erfahrung in Sachen Buschmedizin über die zeitgenössische Kunst zu vermitteln, helfe dabei, bedeutende Aspekte der Kultur für die Gemeinschaften zu erhalten, betonte Schnalke. In der neuen Ausstellung geht es aber noch um mehr. Nämlich den Respekt für die Weltanschauung der Aborigines zu bewahren, wie Professor Dr. Marcia Langton in ihrem Einführungsvortrag in Berlin hervorhob. Sie hat den Lehrstuhl für australische indigene Studien an der Universität Melbourne inne. Ihren Angaben zufolge wächst das Interesse der Forschung an den alten Heilungspraktiken enorm. Das Potenzial dieser Tradition ist demnach längst erkannt. Zum Beispiel für Arzneitees halte die australische Ethnopharmakologie diverse Mittel bereit, betonte Langton.
Westliche Mediziner auf dem roten Kontinent setzen auf Kooperation mit den indigenen Kulturen. Sie stehen im engen Austausch mit einigen Heilern der Aborigines, vor allem den sogenannten Ngangkari, um gemeinsam für die Gesundheitsfürsorge der indigenen Bevölkerung einzutreten. Das ist entscheidend, weil viele Aborigines sich im Krankheitsfall nicht in Krankenhäusern behandeln lassen wollen. Sie befürchten dort Verachtung und Diskriminierung aufgrund ihrer nicht westlich orientierten, traditionellen Lebensweise. Ihre Heilungsmethoden und die Herstellung und Anwendung ihrer Arzneien basieren nicht auf schulmedizinischem Wissen, sondern auf einem Wissen, das sich aus einer engen Beziehung zu Umwelt, Klima, lokaler Pflanzenwelt sowie geografischen Gegebenheiten entwickelt hat. So erkläre sich etwa auch die Umwandlung pflanzlicher Materialen durch Feuer, Wasser oder Rauch, wie sie in der Buschmedizin oft vorkomme, begründet Langton.
Die Bilder, die in der neuen Ausstellung gezeigt werden, sind vielschichtig. Zum einen dienen sie damals wie heute indigen Heilern dazu, »die Aufmerksamkeit der Kranken auf die Kraft der Vorfahren und das Gleichgewicht zwischen Spiritualität und Weltlichkeit zu richten und so zu einer sozialen Harmonie zu gelangen«, erläutert die Wissenschaftlerin. Zum anderen greifen die Werke die Tradition der Ureinwohner auf, Gemälde als Landkarten zu lesen. Anhand bestimmter Zeichen wissen die Mitglieder einer Gemeinschaft, welchen Weg sie beispielsweise zu einer Wasserquelle oder Pflanze einschlagen müssen, und wie weit das Ziel entfernt ist. Das Wissen über diese Codes gilt es auch über die Kunst zu bewahren. Dasselbe trifft auf die Kenntnisse über giftige Pflanzen zu. So zeigen einige Kunstwerke detailreich unterschiedliche Früchte, Wurzeln und Blätter, damit es bei der Heilpflanzensuche nicht zu Verwechslungen mit giftigen Pflanzen kommen kann.
Kittey Ngyalgarri Malarvie / Foto: University of Melbourne
Ein Werk der Künstlerin Kittey Ngyalgarri Malarvie beispielweise zeigt die kristallisierten Rückstände auf den Schlickböden des Sturt River im Süden des Kontinents. Sie entstehen, wenn die Schlammflächen nach der nassen Jahreszeit wieder austrocknen. In der Buschmedizin kommen die salzhaltigen Rückstände bei Durchfall zum Einsatz. Im Nothern Territory ist das Sammeln von Wasserliliensamen in ausgetrockneten Flussläufen mit einem Brauch verbunden. Frauen ertasten dort mit den Füßen die Pflanze Nelumbo nucifera, aus der sie dann unter anderem ein Mittel gegen Verstopfung herstellen.
Als natürliches Verhütungsmittel gelten in der Buschmedizin einige Arten der Süßgräser Spinifex. Die feinen Pinselstriche auf dem Gemälde von Peggy Madijarroong Griffiths symbolisieren Ansammlungen dieser Gräser entlang des Keep River im Nordwesten Australiens. Mithilfe eines solchen Abbilds kann die Pflanze gut gefunden werden. Sie wird dann als Tee aufgebrüht. Bei Halskratzen und Erkältungen hilft ein Tee aus Eucalyptus brevifolia. Die Äste dieses Baums nutzen einige Aborigines außerdem bei Räucherzeremonien gegen »böse Geister«. Räucherkuren mit der Karanda-Pflaume eignen sich, um all jene Geister zu vertreiben, die für schlechte Träume oder Appetitlosigkeit verantwortlich sind.
Auch gibt es in der Buschmedizin die Möglichkeit, Krankheiten vorzubeugen. Der honigartige Sud aus den Blättern des Birriwa-Baums zum Beispiel wird insbesondere präventiv im Winter getrunken. Ein orange-gelber Holzschnitt von Sidney Moody erzählt von diesem besonderen Mittel aus den Wüstengegenden Australiens. Nicht nur präventive Wirkung hat die Buschpflanze Capparis umbonata, die sogenannte Wilde Orange. Waschungen mit dem aufgekochten Sud ihrer Rinde lindern auch akute Haut- und Verbrennungsschmerzen, ihre Wurzeln schwächen zudem Gelenkschmerzen. Die Künstlerin Mulkun Wirrpanda macht unter anderem das verlorene Wissen um diese Pflanze dafür verantwortlich, dass die Menschen in der Region von Yilpara im australischen Norden heute nicht mehr so alt werden wie früher. Weithin bekannt ist auch die grüne Pflaume Buchanania obovata, die bei Zahn- und Kopfschmerzen, Fieber, Ekzemen und Insektenstichen zum Einsatz kommt.
Das medizinische Wissen der Aborigines zu bewahren, hat sich vor allem die Künstlerin Rosie Ngwarraye Ross zum Ziel gesetzt. Ihr fröhliches Gemälde aus bunten Punkten und Flächen ist inspiriert von der Buschflora ihrer Heimat, dem Alyawarr Gebiet in der Mitte des Kontinents.
Rosie Ngwarraye Ross / Foto: University of Melbourne
Ihre Darstellungen von Heilpflanzen wirken wie Muster auf der roten Erde. Sie schreibt zu ihrem Werk: »Wir suchen nach diesen Pflanzen in felsigem Grund. Dabei können wir etwa eine kleine Pflaume finden, mit der sich die Nieren reinigen lassen und manchmal sogar eine Grippe bezwungen werden kann. Die gelben Blumen kommen bei Krätze zum Einsatz. Die rosafarbigen Blumen setzen wir bei Augenschmerzen ein.«
Ähnliche Heilungspraktiken existieren auf den Torres-Strait-Inseln in den Meeresenge zwischen Australien und Papua-Neuguinea. Dort werden die Zuckerkrankheit sowie Leberkrankungen üblicherweise mit der Frucht des Noni-Baums behandelt.
Matilda Malujewel Nona / Foto: University of Melbourne
Matilda Malujewel Nona nutzt einen Linolschnitt, um die Details der Pflanze botanisch präzise widerzugeben. Auf einem Werk von Judy Mengil sind die antiseptisch wirkenden Früchte und Blätter des Dimalan Busches zu sehen.
Langton wies darauf hin, dass alle Werke der Ausstellung nicht nur ästhetischen Wert haben, sondern die Künstler vor allem ihr kulturelles Erbe bewahren wollen. Und auch die Wissenschaft profitiert davon, dass viele Aborigines noch bis heute an ihren traditionellen Ernährungs- und Heilungstraditionen so gut wie möglich festhalten. »Das ermöglicht es uns, die tiefgreifenden Veränderungen bezüglich der Gesundheitsprobleme der Urbevölkerung zu erforschen.« Ihre Hoffnung ist, dass die bewährten Methoden, die aus Zehntausenden von Jahren Erfahrung stammen, die Gesundheitsfürsorge der Zukunft mitgestalten werden.
Die Sonderausstellung »Die Kunst des Heilens. Australische indigene Buschmedizin« ist noch bis zum
2. Februar 2020 im Medizinhistorischen Museum der Charité in Berlin zu sehen.