Neues Knochen-Anabolikum auf dem Markt |
Annette Rößler |
30.04.2024 07:00 Uhr |
Eine calciumreiche Ernährung ist für Frauen mit Osteoporose wichtig, allein aber oft nicht ausreichend, um den Calciumbedarf zu decken. / Foto: Getty Images/Image Source
In der Therapie der Osteoporose unterscheidet man osteoanabol wirkende Mittel, die einen verstärkten Knochenaufbau bewirken, von antiresorptiven Mitteln, die den Knochenabbau bremsen. Wie hoch das Risiko eines Patienten ist, innerhalb der nächsten drei Jahre eine Fraktur zu erleiden, lässt sich mithilfe eines Risikorechners des Dachverbandes Osteologie (DVO) abschätzen. Liegt es zwischen 5 und 10 Prozent, kann laut S3-Leitlinie »Osteoporose« eine osteoanabole Therapie erwogen werden, bei einem Risiko über 10 Prozent soll diese empfohlen werden.
Die osteoanabole Therapie ist zeitlich begrenzt: Das Parathormon-Analogon Teriparatid sollte nicht länger als 24 Monate gegeben werden, der Anti-Sklerostin-Antikörper Romosozumab nicht länger als zwölf Monate. Anschließend wird meist ein antiresorptiver Wirkstoff gegeben, etwa ein Bisphosphonat oder der Anti-RANK-Ligand-Antikörper Denosumab. Die Basis jeder Osteoporosetherapie, ob osteoanabol oder antiresorptiv, bildet eine ausreichende Versorgung mit Calcium und Vitamin D.
Mit Abaloparatid (Eladynos® 80 µg/Dosis Injektionslösung im Fertigpen, Theramex) ist jetzt ein weiteres osteoanaboles Medikament auf dem Markt. Es ist bestimmt zur Behandlung der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen mit erhöhtem Frakturrisiko und sollte maximal 18 Monate lang angewendet werden. An die Behandlung kann sich eine antiresorptive Therapie anschließen. Sofern die Aufnahme über die Nahrung nicht ausreicht, sollten Patientinnen, die mit Abaloparatid behandelt werden, zusätzlich Calcium und Vitamin D erhalten.
Abaloparatid ist ein Peptid, das zu 41 Prozent mit dem Parathormon (PTH) homolog ist und zu 76 Prozent mit dem Parathormon-verwandten Peptid (PTHrP). Es bewirkt wie natürliches PTH eine Zunahme des Knochenabbaus und eine Erhöhung des Calciumspiegels im Blut; dieser Effekt ist aber nur vorübergehend. Bei fortgesetzter Gabe regt Abaloparatid die Osteoblasten zu einer verstärkten Neubildung von Knochen an, sodass sich die Knochendichte erhöht.
Die empfohlene Dosis beträgt 80 µg einmal täglich als subkutane Injektion in den Unterbauch. Patientinnen können sich das Medikament nach einer Einweisung in die Injektionstechnik selbst spritzen. Dies sollten sie täglich etwa zur gleichen Zeit tun (bei vergessener Dosis maximal zwölf Stunden später, aber nicht zwei Injektionen am selben Tag) und dabei die Injektionsstelle täglich wechseln.
Da es nach der Anwendung zu orthostatischer Hypotonie und einem Anstieg der Herzfrequenz kommen kann, muss die Patientin nach der/den erste(n) Gabe(n) eine Stunde lang überwacht werden. Grundsätzlich sollte Abaloparatid an einem Ort injiziert werden, an dem sich die Patientin hinsetzen oder -legen kann. Vor Beginn der Therapie sollten der Blutdruck, der kardiale Status und ein EKG ausgewertet werden.
Nicht angewendet werden darf Abaloparatid unter anderem bei vorbestehender Hypercalcämie, schwerer Nierenfunktionsstörung, ungeklärter Erhöhung der alkalischen Phosphatase im Serum, bekanntem Osteosarkomrisiko und malignen Erkrankungen des Skeletts oder Knochenmetastasen. Auch die Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit beziehungsweise generell bei Frauen im gebärfähigen Alter ist tabu, wäre aber ohnehin durch die zugelassene Indikation nicht gedeckt. Zur Wirksamkeit von Abaloparatid bei Patientinnen mit vorheriger oder gleichzeitiger Behandlung mit Glucocorticoiden gibt es keine Daten.
Bei Patientinnen, die Digitalisglykoside einnehmen, ist bei gleichzeitiger Anwendung von Abaloparatid wegen des vorübergehenden Anstiegs des Serumcalciumspiegels Vorsicht geboten, da dies die Wirkung der Herzglykoside verstärken kann.
Die Zulassungsstudie hieß ACTIVE und war sowohl placebo- als auch aktiv kontrolliert, nämlich mit Teriparatid. Insgesamt 2070 postmenopausale Frauen mit Osteoporose erhielten zusätzlich zu einer Basistherapie mit Calcium und Vitamin D randomisiert und doppelblind über 18 Monate täglich entweder 80 µg Abaloparatid, 20 µg Teriparatid oder Placebo. Nach einem Monat Nachbeobachtungszeit schloss sich die offene Verlängerungsstudie ACTIVExtend an, in der Patientinnen, die zuvor Abaloparatid erhalten hatten, und Patientinnen aus der ehemaligen Placebogruppe bis zu 24 Monate mit 70 mg Alendronat wöchentlich sowie weiter mit Calcium und Vitamin D behandelt wurden.
Die ACTIVE-Studie ergab in der modifizierten Intention-to-treat-Population eine signifikante Reduzierung des Risikos für neue Wirbelfrakturen unter Abaloparatid im Vergleich zu Placebo (primärer Endpunkt). Allerdings schnitt der neue Wirkstoff dabei nicht besser ab als der alte: Unter Abaloparatid erlitten 3 von 583 Frauen eine Wirbelfraktur (0,5 Prozent), unter Teriparatid 4 von 600 (0,7 Prozent) und in der Placebogruppe 25 von 600 (4,2 Prozent).
Die ACTIVExtend-Studie bestätigte, dass der Vorteil von Abaloparatid gegenüber Placebo unter der antiresorptiven Therapie beibehalten wurde. Nach 43 Monaten war es in der Abaloparatid/Alendronat-Gruppe insgesamt bei 4 von 457 Patientinnen (0,9 Prozent) zu einer Wirbelfraktur gekommen, in der Placebo/Alendronat-Gruppe bei 26 von 489 (5,3 Prozent).
In der ACTIVE-Studie waren die häufigsten Nebenwirkungen von Abaloparatid Hypercalciurie (15,6 Prozent der Behandelten), Schwindel (11,1 Prozent), Rückenschmerzen (8,6 Prozent), Übelkeit und Kopfschmerzen (je 8,5 Prozent), Arthralgie (8,4 Prozent), Hypertonie (6,8 Prozent), Reaktion an der Injektionsstelle (6,2 Prozent) sowie Palpitationen (5,6 Prozent).
Eladynos ist im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C zu lagern. Der Pen kann nach der Entnahme aus dem Kühlschrank bis zu 30 Tage bei Raumtemperatur (unter 25 °C) aufbewahrt werden, muss dann aber verwendet werden. Für jede Injektion ist eine neue sterile Nadel (8 mm, 31 G) zu benutzen. Die Injektionsnadeln liegen der Packung nicht bei.
Abaloparatid, dessen Zulassung von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) 2018 im ersten Anlauf abgelehnt wurde, reiht sich ein bei den osteoanabolen Therapeutika. Ein Therapiefortschritt ist allerdings nicht erkennbar. Die vorläufige Einstufung lautet daher Analogpräparat.
Die Ähnlichkeit zum altbekannten Teriparatid ist nicht zu übersehen. Während Teriparatid das aktive Fragment des endogenen humanen Parathormons (PTH) ist, besitzt Abaloparatid eine hohe Homologie mit dem Parathormon-verwandten Peptid (PTHrP). Beide Wirkstoffe aktivieren den PTH1-Rezeptor-Signalweg und wirken osteoanabol. Die Zulassungsstudie zeigte, dass Abaloparatid Teriparatid ebenbürtig ist bei der Verringerung von Frakturen, aber nicht überlegen. Wie Teriparatid muss auch der Neuling einmal täglich injiziert werden, sodass es auch beim Dosierungsintervall keinen Vorteil zugunsten von Abaloparatid gibt. Hinsichtlich des Einsatzgebietes gibt es sogar einen Nachteil, denn Teriparatid ist aktuell die einzige in der EU zugelassene Substanz für eine osteoanabole Therapie bei Männern. Möglicherweise wird Abaloparatid hier eines Tages nachziehen. In den USA ist der Wirkstoff bei Männern bereits zugelassen.
Sven Siebenand, Chefredakteur