Neues Immunsuppressivum bei Lupus-Nephritis |
Brigitte M. Gensthaler |
05.04.2023 07:00 Uhr |
Der Welt-Lupus-Tag am 10. Mai will auf die große Belastung der Betroffenen aufmerksam machen. Etwa 70 Prozent der Betroffenen leiden an der systemischen Form, die innere Organe erfassen kann. / Foto: Adobe Stock/VS artdesign
Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine entzündlich-rheumatische Autoimmunerkrankung, die zahlreiche Organe betreffen kann, darunter die Nieren (siehe Kasten). Voclosporin (Lupkynis® 7,9 mg Weichkapseln, Otsuka Pharma) ist zugelassen in Kombination mit Mycophenolat-Mofetil zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit aktiver Lupus-Nephritis (LN) der Klassen III, IV oder V sowie gemischter Klassen III/V und IV/V.
Die empfohlene Dosis beträgt zweimal täglich 23,7 mg Voclosporin im Abstand von mindestens acht Stunden. Die Weichkapseln werden im Ganzen zu oder unabhängig von einer Mahlzeit geschluckt, aber möglichst nicht mit Grapefruit(saft). Hat der Patient eine Dosis vergessen, sollte er diese schnellstmöglich innerhalb von vier Stunden nach dem geplanten Einnahmezeitpunkt einnehmen. Ist dies nicht möglich, wird die nächste reguläre Dosis zum üblichen geplanten Zeitpunkt geschluckt, aber keinesfalls verdoppelt.
Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine entzündlich-rheumatische Autoimmunerkrankung, genauer gesagt eine systemische Bindegewebserkrankung (Kollagenose), die zahlreiche Organe, darunter Gelenke, Nieren, Haut, Schleimhäute und Blutgefäßwände betreffen kann. Nach Angaben der Deutschen Rheuma-Liga sind in Deutschland fast eine von 1000 Frauen und einer von 10.000 Männern betroffen; meist sind es junge Frauen zwischen 20 und 40 Jahren. Die Symptome sind vielfältig, wobei eine Lupus-Nierenentzündung die häufigste gefährliche Organbeteiligung darstellt. 40 bis 60 Prozent (je nach Abstammung) der Patienten mit SLE entwickeln im Lauf ihres Lebens eine Lupus-Nephritis.
Eine frühzeitige Diagnose und Therapie kann einem weiteren Verlust der Nierenfunktion bis hin zur Dialysepflicht vorbeugen. Praktisch alle Patienten mit SLE bekommen Hydroxychloroquin (außer bei Glucose-6-Phosphat- Dehydrogenase-Mangel). Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) werden zusätzlich bei leichter Erkrankung eingesetzt. Bei schweren Verläufen werden Corticosteroide, in aktiven Phasen oft als Prednisolon-Stoß, Immunsuppressiva wie Methotrexat, Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil und Mycophenolsäure sowie Malariamittel gegeben. Der Antikörper Belimumab ist seit 2021 auch bei aktiver Lupus-Nephritis zugelassen. 2022 kam der Antikörper Anifrolumab in den Handel. Er ist noch nicht bei Lupus-Nephritis zugelassen, sondern ist als Add-on-Behandlung von erwachsenen Patienten mit moderatem bis schwerem, aktivem Autoantikörper-positivem SLE, die bereits eine Standardtherapie erhalten.
Bei schwerer Leber- und Nierenfunktionsstörung sowie bei Patienten ab 75 Jahren wird Voclosporin nicht empfohlen. Die Fachinformation von Lupkynis enthält Hinweise zur Dosierung bei leichteren Einschränkungen der Leber- beziehungsweise Nierenfunktion.
Voclosporin ist ein Analogon von Ciclosporin und wirkt wie dieses als immunsupprimierender Calcineurin-Inhibitor. Calcineurin ist eine Calcium-Calmodulin-abhängige Phosphatase, die für die Induktion der Produktion von T-Zell-Lymphokinen und für die Lymphozyten-Proliferation erforderlich ist. Voclosporin hemmt somit dosisabhängig die Lymphozyten-Proliferation, T-Zell-Zytokinproduktion und Expression von T-Zell-aktivierenden Oberflächenantigenen. Der Neuling hemmt die Phosphatase stärker als Ciclosporin.
Die EU-Zulassung stützt sich auf die Ergebnisse der Phase-III-Studie AURORA 1 und der AURORA-2-Fortsetzungsstudie. In der Studie AURORA 1 waren 357 Patienten mit aktiver Lupus-Nephritis der Klasse III bis V eingeschlossen waren. Sie erhielten entweder Voclosporin oder Placebo, jeweils kombiniert mit Mycophenolat-Mofetil (2 g/Tag) und niedrig dosierten Corticosteroiden. Der primäre Endpunkt war das komplette renale Ansprechen in Woche 52, das durch mehrere Parameter definiert war. Signifikant mehr Patienten in der Voclosporin- als in der Placebo-Gruppe erreichten den Endpunkt (41 versus 23 Prozent). Das Nebenwirkungsprofil war vergleichbar in den Gruppen; jeweils 21 Prozent erlitten ernste unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), darunter Infektionen wie Pneumonie, Gastroenteritis und Harnwegsinfektionen. Insgesamt sechs Patienten, davon einer in der Verumgruppe, starben während der Studie oder der Follow-up-Phase; kein Todesfall wurde in Zusammenhang mit der Medikation gebracht.
116 Patienten aus der Voclosporin- und 100 Patienten aus der Kontrollgruppe nahmen an der AURORA-2-Studie teil, in der die Therapie verblindet über zwei Jahre fortgesetzt wurde. Die eGFR blieb in der Voclosporin-Gruppe weiterhin stabil, während sie in der Kontrollgruppe merklich abnahm. Der Anteil der Patienten mit renalem Ansprechen im Monat 36 betrug 51 (unter Verum) versus 39 Prozent. Auch hier war die Rate an schweren UAW vergleichbar.
Die häufigsten UAW unter Voclosporin sind eine verminderte glomeruläre Filtrationsrate als Anzeichen einer Nierenschädigung (26 Prozent) und Hypertonie (19 Prozent). Sehr häufig waren auch Infektionen der oberen Atemwege, Kopfschmerzen, Anämie, Husten, Diarrhö und Bauchschmerzen. Die häufigsten schwerwiegenden UAW waren Infektionen (10 Prozent), akute Nierenschädigung (3 Prozent) und Hypertonie (1,9 Prozent). In den ersten vier Wochen der Behandlung wurde häufig eine hämodynamisch bedingte Abnahme der eGFR beobachtet, die sich bei fortgesetzter Therapie aber stabilisierte. Bei versehentlicher Überdosierung von Voclosporin traten Symptome wie Tremor und Tachykardie auf.
Die Metabolisierung erfolgt vornehmlich durch CYP3A4. Daher darf das Medikament keinesfalls zusammen mit starken CYP3A4-Inhibitoren angewendet werden (Kontraindikation). Wenn Voclosporin gleichzeitig mit moderaten CYP3A4-Inhibitoren angewendet wird, muss die Dosis auf 15,8 mg morgens und 7,9 mg abends verringert werden. Die gemeinsame Gabe mit starken und moderaten CYP3A4-Induktoren wird nicht empfohlen. Schwache CYP3A4-Induktoren könnten die Exposition und damit die Wirkung ebenfalls verringern, jedoch ist die klinische Relevanz nicht bekannt.
In der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird das Medikament nicht empfohlen. Bei stillenden Frauen ist zu entscheiden, ob sie abstillen oder auf Voclosporin verzichten sollen.
Patienten unter immunsuppressiver Therapie müssen in vielerlei Hinsicht gut überwacht werden. Da Immunsuppressiva das Hautkrebsrisiko erhöhen, sollten sie sich vor zu viel Sonnenlicht schützen. Zudem sollten sie engmaschig auf Infektionen überwacht werden. Es besteht ein erhöhtes Risiko für Neurotoxizität. Der Arzt sollte regelmäßig die Nierenfunktion sowie den Serumkaliumspiegel überprüfen. Die Kombination von Voclosporin mit Arzneimitteln, die das QTC-Intervall am Herzen verlängern, kann zu einer klinisch signifikanten Verlängerung dieses Intervalls führen.
Immunsuppressiva wie Voclosporin können die Reaktion auf Impfungen beeinflussen. Die Anwendung von abgeschwächten Lebendimpfstoffen ist zu vermeiden.
Die Lupus-Nephritis ist eine schwere Manifestation des systemischen Lupus erythematodes. In der Behandlung kommt beispielsweise der Antikörper Belimumab zum Einsatz. Der Neuling Voclosporin ist hierzulande nun die erste orale zugelassene Therapieoption. Die Einführung einer einfacher zu applizierenden Darreichungsform spricht bereits für die Einstufung als Schrittinnovation.
Dagegen ist das Wirkprinzip von Voclosporin nicht neu. Es handelt sich um ein Ciclosporin-Analogon und einen Calcineurin-Hemmer. Daher wäre die Einstufung als Sprunginnovation zu hoch gegriffen. Voclosporin als Analogpräparat zu bezeichnen, wäre andererseits aber auch nicht gerecht. Denn die Studienergebnisse zeigen, dass die Hinzunahme von Voclosporin zu Mycophenolat-Mofetil (MMF) und niedrig dosierten Corticoiden im Vergleich zur Behandlung mit MMF und niedrig dosierten Corticoiden allein etwas bringt und sie für viele Betroffene einen therapeutischen Fortschritt bedeutet. Summa summarum ist Voclosporin vorläufig als typische Schrittinnovation einzustufen. Ob weitere denkbare Indikationen für das Ciclosporin-Analogon im Laufe der Zeit hinzukommen werden, bleibt abzuwarten.
Sven Siebenand, Chefredakteur