Neuer Kinasehemmer bei GIST |
Kerstin A. Gräfe |
10.02.2022 07:00 Uhr |
Gastrointestinale Stromatumoren entstehen aus Binde- oder Stützgewebe. Darmkrebs oder Magenkrebs hingegen entstehen aus den Schleimhäuten. / Foto: Adobe Stock
Gastrointestinale Stromatumoren (GIST) sind eine besondere Krebserkrankung des Magen-Darm-Trakts. Anders als Darm- oder Magenkrebs entstehen GIST nicht aus den Schleimhäuten, sondern aus Binde- oder Stützgewebe. Mit etwa 1000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland zählen sie zu den seltenen Krebsarten. Als häufigste onkogene Treibermutationen gelten Mutationen in den Genen KIT und PDGFRA, die jeweils für Rezeptor-Tyrosinkinasen kodieren.
Falls möglich, wird ein GIST operativ entfernt. Bei Patienten im fortgeschrittenen oder metastasierten Stadium ist der Tyrosinkinase-Inhibitor Imatinib (Glivec®) Goldstandard. Bei Imatinib-Versagen kann auf Sunitinib (Sutent®) ausgewichen werden. Für die Drittlinie steht Regorafenib (Stivarga®) zur Verfügung, allerdings nicht mehr in Deutschland. Hersteller Bayer nahm das Präparat hierzulande 2016 vom Markt, nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss keinen Zusatznutzen erkannt hatte. Des Weiteren gibt es für GIST-Patienten mit einer bestimmten Mutation (PDGFRA-D842V) seit vergangenem Jahr den Kinasehemmer Avapritinib (Ayvakyt®). Für die Viertlinien-Therapie ist nun der Tyrosinkinase-Hemmer Ripretinib verfügbar.
Ripretinib (Qinlock® 50 mg, Deciphera Pharmaceuticals) ist ein neuartiger, oraler Pan-KIT- und PDGFRα-Kinase-Inhibitor mit Aktivität über ein breites Spektrum von Mutationen. Dazu gehören die primären KIT-Exons 9, 11 und 17 sowie die sekundären KIT-Mutationen-Exons 13, 14, 17 und 18. Qinlock kommt zum Einsatz bei GIST-Patienten, die zuvor mit drei oder mehr Kinasehemmern, einschließlich Imatinib, behandelt wurden.
Die empfohlene Dosis beträgt 150 mg Ripretinib (drei 50-mg-Tabletten) einmal täglich jeweils zur gleichen Tageszeit unabhängig von einer Mahlzeit. Falls der Patient die Einnahme um bis zu acht Stunden gegenüber der gewohnten Einnahmezeit versäumt hat, sollte er sie so bald wie möglich nachholen und die nächste Dosis wieder zur gewohnten Zeit einnehmen. Sind bereits mehr als acht Stunden vergangen, sollte er die versäumte Dosis nicht mehr nachholen und das gewohnte Einnahmeschema am nächsten Tag einfach fortsetzen. Bei Erbrechen sollte der Patient keine Ersatzdosis einnehmen und das Dosierungsschema am nächsten Tag zur üblichen Zeit fortsetzen.
Je nach individueller Sicherheit und Verträglichkeit können Dosisunterbrechungen oder -reduktionen erforderlich sein. In der Fachinformation findet sich diesbezüglich eine detaillierte Tabelle. Die empfohlene Dosis aufgrund von Nebenwirkungen beträgt 100 mg einmal täglich. Bei Patienten, die diese Dosis nicht vertragen, sollte Qinlock dauerhaft abgesetzt werden.
Ripretinib besitzt phototoxisches Potenzial. Patienten sollten eine Exposition gegenüber direktem Sonnenlicht, Solarien und anderen UV-Strahlungsquellen vermeiden und schützende Kleidung sowie Sonnenschutzmittel mit hohem Lichtschutzfaktor verwenden.
Sowohl Ripretinib als auch sein aktiver Metabolit DP-5439 werden hauptsächlich über CYP3A4/5 verstoffwechselt und sind Substrate des P-Glykoproteins (P-gp) sowie des Brustkrebs-Resistenzproteins (BCRP). Vorsicht ist geboten bei gleichzeitiger Anwendung mit starken CYP3A- und P-gp-Inhibitoren. Der Konsum von Grapefruitsaft wird nicht empfohlen. Die gleichzeitige Anwendung mit starken und moderaten CYP3A-Induktoren muss vermieden werden. Ist sie unumgänglich, kann bei starken Induktoren die Qinlock-Dosis von 150 mg einmal täglich auf 150 mg zweimal täglich erhöht werden. BCRP-Inhibitoren sollten in Kombination mit Ripretinib mit Vorsicht angewendet werden, da sie die Plasmakonzentrationen des Kinasehemmers erhöhen können.
Qinlock darf während der Schwangerschaft nicht angewendet werden, es sei denn, dass eine Behandlung aufgrund des klinischen Zustands der Frau erforderlich ist. Frauen im gebärfähigen Alter und Männer mit Partnerinnen im gebärfähigen Alter müssen darüber informiert werden, dass der neue Kinasehemmer den Fetus schädigen kann. Während der Behandlung und für mindestens eine Woche nach der letzten Dosis muss eine wirksame Empfängnisverhütung angewendet werden. Frauen, die systemisch wirkende hormonelle Kontrazeptiva anwenden, sollten diese durch eine Barrieremethode ergänzen. Vor Beginn und während der Behandlung muss der Schwangerschaftsstatus von Frauen im gebärfähigen Alter überprüft werden. Das Stillen soll während der Behandlung und für mindestens eine Woche nach der letzten Dosis unterbrochen werden.
Die Zulassung basiert auf der Phase-III-Studie INVICTUS mit 129 Patienten, die an fortgeschrittenen GIST erkrankt waren. Bei allen sprach der Tumor nicht oder nicht mehr auf die Therapie mit mindestens drei bewährten Tyrosinkinase-Hemmern an. Die Probanden erhielten entweder Ripretinib oder Placebo. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben.
Dieses verlängerte sich signifikant von 1,0 Monaten unter Placebo auf 6,3 Monate unter Ripretinib. Nach sechs Monaten waren 51 Prozent der Patienten unter Ripretinib und 3,2 Prozent unter Placebo ohne erneute Progression. Auch beim sekundären Endpunkt, dem Gesamtüberleben (OS), kam es mit Ripretinib zu einer deutlichen Senkung des Risikos um 64 Prozent mit einem durchschnittlichen OS von 15,1 Monaten versus 6,6 Monaten. Nach einem Jahr lebten in der Ripretinib-Gruppe noch 65,4 Prozent der Patienten und in der Placebogruppe 25,9 Prozent.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Haarausfall, Müdigkeit, Übelkeit, Bauchschmerzen, Verstopfung, Muskelschmerzen, Durchfall, verminderter Appetit, Hand-Fuß-Syndrom und Erbrechen.
Leider ist eine Tumorprogression infolge sekundärer Mutationen bei GIST-Patienten nach anfänglichem Ansprechen auf Kinasehemmer wie Imatinib und Sunitinib keine Seltenheit. Weitere Therapieoptionen sind daher wünschenswert. Ripretinib ist eine solche und zählt zu den Schrittinnovationen. Es handelt sich bei der neuen Substanz um einen Pan-KIT- und PDGFRα-Kinase-Inhibitor mit Aktivität über ein breites Spektrum von Mutationen.
In der Zulassungsstudie wurde Ripretinib in der Behandlung von Patienten untersucht, bei denen andere zugelassene Optionen ausgeschöpft waren. Der Kinasehemmer zeigte dabei überzeugende klinische Ergebnisse, etwa beim progressionsfreien Überleben sowie beim Gesamtüberleben. Hervorzuheben ist ferner der Erhalt der Lebensqualität, was für Patienten in dem weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium wichtig ist. Nicht überraschend wurde Ripretinib bereits in die ESMO-EURACAN-GENTURIS-Leitlinien bei GIST als Viertlinienbehandlung aufgenommen.
Sven Siebenand, Chefredakteur