Neuer Kinasehemmer bei Darmkrebs |
Annette Rößler |
01.08.2024 11:30 Uhr |
Das Kolorektalkarzinom steht laut dem Robert-Koch-Institut bei der Häufigkeit von Krebs-Neuerkrankungen in Deutschland an achter Stelle. / Foto: Getty Images/Sebastian Kaulitzki/Science Photo Library
Fruquintinib (Fruzaqla® 1 mg und 5 mg Hartkapseln, Takeda) ist ein selektiver Tyrosinkinase-Inhibitor von VEGFR-1, -2 und -3. Seine Wirkung bei soliden Tumorerkrankungen ergibt sich aus der Hemmung der Tumor-Angiogenese: Die pathologische Neubildung von tumorversorgenden Gefäßen wird unterdrückt, was letztlich dem Tumorwachstum und der Metastasierung entgegenwirkt.
Indiziert ist Fruquintinib als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit metastasierendem Kolorektalkarzinom (mCRC). Um das neue Medikament erhalten zu können, müssen die Patienten mit verfügbaren Standardtherapien vorbehandelt sein, zu denen auch Anti-VEGF- und Anti-EGFR-Arzneimittel zählen, und ihre Erkrankung muss nach der Behandlung mit Trifluridin/Tipiracil oder Regorafenib fortgeschritten sein oder sie dürfen diese Behandlung nicht vertragen haben. Trifluridin/Tipiracil ist ein Nukleosid-Analogon, Regorafenib ein Multikinase-Hemmer, der auch VEGFR-1, -2 und -3 adressiert, aber von Hersteller Bayer aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland nicht mehr vermarktet wird.
Patienten nehmen einmal täglich eine Kapsel à 5 mg Fruquintinib zu ungefähr derselben Tageszeit unabhängig von den Mahlzeiten ein. Dies tun sie an 21 aufeinander folgenden Tagen. Dann folgt eine siebentägige Einnahmepause, sodass ein Gesamtzyklus insgesamt die Länge von 28 Tage hat. Die Behandlung sollte fortgesetzt werden, bis es zur Krankheitsprogression kommt oder eine inakzeptable Toxizität auftritt.
Verschiedene Nebenwirkungen können eine Unterbrechung der Therapie und/oder eine Dosisreduktion notwendig machen. Wie im Einzelfall vorzugehen ist, geht aus einer Tabelle in der Fachinformation hervor. Verträgt der Patient die reduzierte Dosis von einmal täglich 3 mg Fruquintinib nicht, wird das Medikament dauerhaft abgesetzt.
Hat der Patient eine Einnahme versäumt, sollte diese innerhalb von zwölf Stunden nach dem üblichen Einnahmezeitpunkt nachgeholt werden. Danach sollte dies nicht mehr geschehen und die Einnahme soll stattdessen zum nächsten üblichen Zeitpunkt fortgesetzt werden.
Bei schwerer Leberfunktionsstörung wird die Anwendung von Fruquintinib nicht empfohlen. Da Bluthochdruck eine sehr häufige Nebenwirkung von Fruquintinib ist, soll vor Therapiestart der Blutdruck kontrolliert und gegebenenfalls medikamentös kontrolliert werden. Unter der Therapie mit Fruquintinib muss der Blutdruck weiter überwacht werden. Gleiches gilt für das hämatologische und das Gerinnungsprofil des Patienten. Ebenso ist der Patient auf Proteinurie zu überwachen. Vor geplanten Operationen sollte Fruquintinib mindestens zwei Wochen ausgesetzt und frühestens zwei Wochen danach wieder eingenommen werden.
Die gleichzeitige Anwendung von Fruquintinib mit starken und moderaten CYP3A-Induktoren sollte vermieden werden. Bei gleichzeitiger Anwendung mit CYP3A-Hemmern ist aber keine Dosisanpassung erforderlich, auch nicht bei Kombination mit Protonenpumpeninhibitoren (PPI).
Schwangere und stillende Frauen dürfen Fruquintinib nicht erhalten. Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und bis mindestens zwei Wochen nach der letzten Dosis eine äußerst zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Das Stillen soll während der Behandlung und für zwei Wochen nach der letzten Dosis unterbrochen werden.
Wirksamkeit und Sicherheit von Fruquintinib wurden in der randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie FRESCO-2 gezeigt. An dieser nahmen 691 mehrfach vortherapierte Patienten mit mCRC teil, von denen 461 einmal täglich mit 5 mg Fruquintinib und 230 mit Placebo behandelt wurden. Zusätzlich dazu erhielten alle Teilnehmenden die beste unterstützende Versorgung (BSC). 96,4 Prozent der Teilnehmenden hatten bereits eine frühere Anti-VEGF-Therapie erhalten.
Der primäre Wirksamkeitsendpunkt war das Gesamtüberleben (OS). Dieses war im Fruquintinib-Arm mit median 7,4 Monaten versus 4,8 Monaten im Placeboarm signifikant länger. Auch beim progressionsfreien Überleben (PFS) zeigte sich mit median 3,7 versus 1,8 Monaten ein signifikanter Vorteil für Fruquintinib.
Die häufigsten Nebenwirkungen von Fruquintinib sind Hypertonie (49,3 Prozent der Behandelten), Anorexie (35,6 Prozent), Proteinurie (35,5 Prozent), palmar-plantares Erythrodysästhesiesyndrom (PPES, 34,6 Prozent), Hypothyreose (32,4 Prozent), Dysphorie (28,6 Prozent), Diarrhö (26,3 Prozent) und Asthenie (24,5 Prozent). Als häufigste schwerwiegende Nebenwirkungen können Gastrointestinalblutungen (1,5 Prozent), Pneumonie (1,5 Prozent), Hypertonie (1,5 Prozent) und gastrointestinale Perforation (1,3 Prozent) auftreten.
Fruzaqla-Hartkapseln sollten zum Schutz vor Feuchtigkeit im fest verschlossenen Originalbehältnis aufbewahrt werden.
Mit Fruquintinib kam ein neuer Angiogenese-Hemmer auf den Markt. Das ist an sich nichts besonders Innovatives und auch in der Indikation Darmkrebs nichts Neues.
Dennoch kann man Fruquintinib vorerst als Schrittinnovation werten. Denn die Substanz bietet eine neue Option bei mehrfach vortherapierten Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom und kann in dieser Therapiesituation durchaus positive Studienergebnisse vorweisen. Das mediane Überleben konnte mit dem Kinasehemmer im Vergleich zu Placebo um 2,6 Monate verlängert werden. Auch zeigten sich bei sekundären Endpunkten wie Verbesserung des medianen progressionsfreien Überlebens und Krankheitskontrolle Vorteile bei akzeptablem Sicherheitsprofil. Fruquintinib wurde auch bereits in die Onkopedia-Leitlinie aufgenommen.
Mit Spannung darf man auf weitere Daten warten. Dass antiangiogene Substanzen bei Darmkrebs funktionieren, weiß man schon länger. Interessant wäre es zu wissen, ob Fruquintinib möglicherweise schon in früheren Therapielinien und in Kombination mit anderen Substanzen oder als Alternative zu anderen Substanzen einen Nutzen bringt.
Es ist zu hoffen, dass Fruquintinib auch weiter auf dem Markt zur Verfügung steht – selbst dann, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nicht das gewünschte Urteil in Sachen Zusatznutzen fällen sollte. Vor einigen Jahren nahm Bayer den auch bei Darmkrebs zugelassenen Multikinasehemmer Regorafenib wieder vom deutschen Markt, nachdem dem Wirkstoff vom G-BA kein Zusatznutzen attestiert wurde.
Sven Siebenand, Chefredakteur