Neuer gentherapeutischer Ansatz bei Hypercholesterolämie |
Theo Dingermann |
14.11.2023 17:00 Uhr |
Die heterozygote familiäre Hypercholesterolämie ist eine angeborene Fettstoffwechselstörung. Betroffene haben meist bereits im Kindesalter erhöhte LDL-Cholesterol-Spiegel. / Foto: Adobe Stock/sokolova_sv
Für Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterolämie (HeFH) reicht eine Therapie mit Statinen zur Kontrolle der LDL-Cholesterolwerte nicht aus. Für diese Patienten stehen Therapien mit den PCSK9-Antikörpern Evolocumab (Repatha®) oder Alirocumab (Praluent®) beziehungsweise mit dem siRNA-Therapeutikum Inclisiran (Leqvio®) zur Verfügung. Alle diese Wirkstoffe inaktivieren die Funktion oder Synthese von PCSK9 und verstärken so einen zellulären Recyclingmechanismus für LDL-Rezeptoren, die Cholesterol in die Leberzellen transportieren.
Auf der wissenschaftlichen Tagung der American Heart Association, die vom 10. bis zum 13. November in Philadelphia, USA, stattfand, präsentierte nun ein Forschungsteam um Dr. Scott Vafai vom Unternehmen Verve Therapeutics Ergebnisse der offenen Phase-Ib-Studie Heart-1 (NCT05398029). Diese untersucht den Einsatz des Gentherapeutikums VERVE-101 bei Patienten mit familiärer Hypercholesterolämie plus Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Der Arzneistoff-Kandidat VERVE-101 nutzt eine Basenaustausch-Technologie, die darauf ausgelegt ist, möglichst die Expression des PCSK9-Gens in der Leber zu unterbinden oder zu reduzieren, sodass weniger PCSK9 in den Blutkreislauf abgegeben wird. In der Heart-1- Studie sollen die Sicherheit und das pharmakodynamische Profil von VERVE-101 ermittelt werden. In die Studie, in die nach wie vor Patienten aufgenommen werden, sind solche eingeschlossen, die an HeFH, an atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und an unkontrollierter Hypercholesterolämie erkrankt sind.
VERVE-101 ist ein komplexes Therapeutikum, das eine Boten-RNA (mRNA) enthält, die für einen Adenin-Basen-Editor kodiert. Dieser besteht aus einer CAS9-Nuklease, an die ein künstliches Enzym anfusioniert ist, das Adenin-Nukleotide in Inosin-Nukleotide umwandelt. Mithilfe einer Leit-RNA, die ebenfalls Teil des Therapeutikums ist, wird der CAS9-Adenin-DNA-Desaminase-Komplex an eine bestimmte Stelle im PCSK9-Gen gelenkt, an der die Adenin-DNA-Desaminase die inaktivierende Mutation durch einen Austausch von Adenin gegen Inosin katalysiert.
In präklinischen Studien an Mäusen und nicht menschlichen Primaten hatte das Unternehmen zuvor zeigen können, dass eine einmalige intravenöse Verabreichung von VERVE-101 das PCSK9-Gen in der Leber mit einer einzigen präzisen DNA-Basenpaar-Veränderung inaktivieren kann. Die behandelten Tiere zeigten daraufhin eine deutliche Reduzierung von LDL-Cholesterol über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren.
Wie die Forschenden in ihrem Kongressbeitrag zeigten, deuten Daten aus dieser ersten klinischen Studie mit VERVE-101 an, dass sich die Daten aus den Tierstudien im Wesentlichen auch beim Menschen bestätigen lassen. Acht männliche und zwei weibliche Studienteilnehmer mit einem Durchschnittsalter von 54 Jahren erhielten VERVE-101 in vier Dosisgruppen von 0,1 bis 0,6 mg/kg. Der durchschnittliche LDL-Cholesterol-Wert betrug vor der Intervention 193 mg/dL (Spanne von 107 bis 373 mg/dL). Neun Teilnehmer wurden mindestens 28 Tage nachverfolgt.
Die Zwischenergebnisse der Studie von im Wesentlichen drei Teilnehmenden zeigen, dass bei zwei Patienten, die mit einer Dosis von 0,45 mg/kg behandelt wurden, die LDL-Cholesterol-Werte um 39 Prozent und 48 Prozent abnahmen. Bei einem Patienten, der mit einer Dosis von 0,6 mg/kg behandelt wurde, reduzierte sich der LDL-Cholesterol-Wert um 55 Prozent. Auch nahmen die PCSK9-Proteinspiegel im Blut bei den drei Studienteilnehmenden ab – um 47, 59 beziehungsweise 84 Prozent. Schließlich blieb der erniedrigte LDL-Cholesterol-Spiegel bei dem Teilnehmer, der 0,6 mg/kg des Gentherapeutikums erhalten hatte, bisher über sechs Monate konstant, wobei die Nachbeobachtung weiter andauert.
Bislang waren die meisten unerwünschten Ereignisse, die im Rahmen der Studie auftraten, leicht und standen nicht im Zusammenhang mit der Behandlung. Schwerwiegende unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse, insbesondere ein Herzstillstand, ein Myokardinfarkt und eine Arrhythmie, traten bei zwei Patienten auf, die an einer fortgeschrittenen koronaren Herzkrankheit litten.