Neue Option mit Gilteritinib |
Brigitte M. Gensthaler |
27.12.2019 08:00 Uhr |
Eine akute myeloische Leukämie betrifft oft ältere Menschen. Ihnen kann der Arzt jetzt einen neuen Tyrosinkinase-Hemmer zum Einnehmen anbieten. / Foto: Imago/Jochen Tack
Gilteritinib (als Fumarat) ist zugelassen zur peroralen Monotherapie für erwachsene Patienten mit rezidivierter oder refraktärer akuter myeloischer Leukämie (AML) mit Mutationen im FLT3-Gen (FMS-like tyrosine kinase 3). Vor Therapiebeginn muss eine bestimmte Mutation (interne Tandemduplikationen, ITD) oder Mutationen in der Tyrosinkinase-Domäne (TKD) mithilfe eines validierten Tests bestätigt werden. Dies gilt ebenso für den FLT3-Kinase-Hemmer Midostaurin, der seit 2017 unter anderem für AML-Patienten zur Verfügung steht (Rydapt®, Novartis Pharma).
Die empfohlene Anfangsdosis von Gilteritinib beträgt 120 mg (drei Filmtabletten à 40 mg) einmal täglich. Sie kann je nach Ansprechen des Patienten nach vier Wochen auf 200 mg (fünf Tabletten) erhöht werden. Treten Nebenwirkungen wie eine Verlängerung der ventrikulären Repolarisationszeit des Herzens (QT-Intervall) auf, wird die Medikation reduziert oder zeitweise oder vollständig abgesetzt. Der Patient soll die Tabletten jeden Tag etwa zur gleichen Zeit schlucken. Hat er eine Einnahme vergessen, soll er diese so bald wie möglich am gleichen Tag nachholen. Bei Erbrechen nimmt er keine zusätzliche Dosis ein, sondern setzt das gewohnte Behandlungsschema am nächsten Tag fort.
Vor Beginn der Behandlung, am Tag 15 und dann monatlich sind die Blutwerte zu überprüfen. Ebenso ist vor Therapiebeginn, an Tag 8 und Tag 15 des ersten Zyklus sowie vor Beginn der nächsten drei Behandlungsmonate jeweils ein Elektrokardiogramm aufzuzeichnen, da Gilteritinib das QT-Intervall verlängern kann.
Gilteritinib hemmt die Signalwege des FLT3-Rezeptors sowie die Proliferation von AML-Zellen, die FLT3-Mutationen exogen exprimieren. Der Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) induziert eine Apoptose bei leukämischen Zellen, die FLT3-ITD exprimieren. Bei den Patienten kam es unter 120 mg Gilteritinib schnell (innerhalb von 24 Stunden nach der ersten Gabe) und anhaltend zu einer mehr als 90-prozentigen Hemmung der Phosphorylierung von FLT3.
Dass dies den Patienten nützt, zeigte die offene, multizentrische randomisierte Phase-3-Studie (ADMIRAL-Studie, 2215CL0301) mit 371 AML-Patienten. Alle waren nach der Erstlinien-Therapie rezidiviert oder refraktär. Sie erhielten (im Verhältnis 2:1 randomisiert) entweder Gilteritinib 120 mg peroral (247 Patienten) oder eine von vier Salvage-Chemotherapien intravenös oder subkutan (124 Patienten). Dosisreduktionen des TKI waren erlaubt bei Nebenwirkungen, ebenso Dosiserhöhungen bei mangelndem Ansprechen auf die Anfangsdosis. Der primäre Endpunkt war das Gesamtüberleben (OS). Patienten hatten unter dem TKI ein signifikant längeres OS im Vergleich zur Chemotherapie (median 9,3 versus 5,6 Monate). Eine komplette Remission (CR) erreichten 21,1 versus 10,5 Prozent der Patienten, eine CR mit kompletter oder partieller hämatologischer Erholung 34,0 versus 15,3 Prozent der Patienten.
Humane weiße Blutzellen mit akuter myeloischer Leukämie / Foto: Superbild
Die Liste der Nebenwirkungen unter Gilteritinib ist lang. Am häufigsten waren ein Anstieg der Kreatinphosphokinase, der Leberenzyme (ALT, AST) und der alkalischen Phosphatase im Blut, gastrointestinale Probleme wie Übelkeit, Diarrhö und Obstipation, Müdigkeit, Husten, Dyspnoe, peripheres Ödem, Schwindelgefühl und Hypotonie sowie Schmerzen in den Extremitäten, Gelenken und Muskeln. Die häufigsten schwerwiegenden UAW waren Diarrhö, erhöhte Leberwerte, Dyspnoe und Hypotonie. Zu den schwerwiegenden Nebenwirkungen zählen auch das Differenzierungssyndrom, QT-Zeit-Verlängerung sowie das sogenannte posteriore reversible Enzephalopathie-Syndrom.
Ein Differenzierungssyndrom trat bei 3 Prozent der Patienten in den klinischen Studien auf (zwei und bis 75 Tage nach der ersten Einnahme). Es ist gekennzeichnet von einer raschen Proliferation und Differenzierung von myeloischen Zellen und kann unbehandelt lebensbedrohlich oder tödlich verlaufen. Zu den Symptomen gehören Fieber, Dyspnoe, Pleura- und Perikarderguss, Lungenödem, Hypotonie, periphere Ödeme, Ausschlag und Nierenfunktionsstörung. Indiziert ist die Gabe von Corticosteroiden bis zum Abklingen der Symptome, aber für mindestens drei Tage. Gegebenenfalls wird die Einnahme des TKI unterbrochen, bis die Symptome zurückgehen.
Da Gilteritinib überwiegend über CYP3A4 metabolisiert wird, kann die gleichzeitige Anwendung von CYP3A- oder P-Glykoprotein-Induktoren die Blutspiegel und damit eventuell die Wirksamkeit verringern. Die gleichzeitige Anwendung starker Induktoren ist daher zu vermeiden. Umgekehrt können starke Inhibitoren von CYP3A und/oder Pgp, beispielsweise Voriconazol, Itraconazol, Posaconazol und Clarithromycin, die Gilteritinib-Exposition erhöhen.
Der TKI kann das fetale Wachstum schädigen. Gebärfähigen Frauen wird daher ein Schwangerschaftstest sieben Tage vor Therapiebeginn empfohlen. Ebenso sollen sie während der Behandlung und bis zu sechs Monate danach eine Schwangerschaft sicher verhüten. Zeugungsfähige Männer sollen während der Behandlung und mindestens vier Monate nach der letzten Einnahme eine sichere Kontrazeption anwenden.
AML-Patienten mit einer FLT3-Mutation haben eine besonders schlechte Prognose. Mit Markteinführung von Gilteritinib erweitert sich das Therapiespektrum für Patienten mit rezidivierter oder refraktärer AML und der genannten Mutation. In der zulassungsrelevanten Studie hatten Patienten, die mit dem neuen Kinasehemmer behandelt wurden, ein signifikant höheres Gesamtüberleben im Vergleich zu Patienten unter Salvage-Chemotherapie, auch die Ein-Jahres-Überlebensrate war größer. Gilteritinib ist vorläufig als Schrittinnovation zu werten, denn sein Wirkmechanismus ist bereits von Midostaurin (Rydapt®) bekannt, das auch unter anderem bei AML zum Einsatz kommen darf. Ein direkter Vergleich dieser beiden Kinasehemmer wäre wünschenswert.