Neue Festbetragsgruppe für TNF-α-Blocker |
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die vier TNF-α-Inhibitoren Adalimumab, Certolizumab pegol, Etanercept und Golimumab in einer neuen Festbetragsgruppe der Stufe 2 (pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe) zusammengefasst. / Foto: G-BA / axentis.de / Lopata
Nach § 35 Absatz 1 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als oberstes Entscheidungsgremium in der Gesetzlichen Krankenversicherung, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können. In den Gruppen sollen Arzneimittel mit
zusammengefasst werden. Der G-BA ermittelt auch die notwendigen rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder andere geeignete Vergleichsgrößen.
Am 20. November 2020 wurden die Beratungen zur Bildung einer neuen Festbetragsgruppe »TNF-α-Inhibitoren, Gruppe 1« in Stufe 2 mit einem Beschluss des G-BA abgeschlossen, wonach die Arzneistoffe Adalimumab (Humira®), Golimumab (Simponi®), Certolizumab pegol (Cimzia®) und Etanercept (Enbrel®)
die Voraussetzungen für eine entsprechende Festbetragsgruppenbildung erfüllen. Aus den im schriftlichen Stellungnahme-Verfahren und der mündlichen Anhörung vorgetragenen Einwänden ergaben sich nur geringfügige Änderungen, nämlich dass Arzneimittel mit der Wirkstärke ≤ 20 mg Adalimumab von der Festbetragsgruppe ausgenommen werden. Sie sind wie die bereits mit Einleitung des Stellungnahme-Verfahrens ausgenommenen Arzneimittel mit 10 mg Etanercept sowie 45 mg Golimumab speziell für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen vorgesehen.
Nach Einschätzung des G-BA sind die Wirkstoffe Adalimumab, Certolizumab pegol, Etanercept und Golimumab als pharmakologisch-therapeutisch vergleichbar anzusehen. Sie gehören zur Arzneistoffgruppe der TNF-α-Inhibitoren (ATC-Code L04AB), binden also an das proinflammatorisch wirkende Zytokin Tumornekrosefaktor-α und neutralisieren dessen biologische Funktion, indem sie die Interaktion mit den zellständigen p55- und p75-TNF-Rezeptoren blockieren. Den Wirkstoffen ist damit nach Einschätzung des G-BA ein die pharmakologische Vergleichbarkeit maßgeblich bestimmender vergleichbarer Wirkmechanismus gemein. Darüber hinaus hätten sie alle aufgrund ihrer arzneimittelrechtlichen Zulassung in den Anwendungsgebieten »Axiale Spondyloarthritis, Psoriasis-Arthritis, rheumatoide Arthritis« einen gemeinsamen Bezugspunkt, aus dem sich die therapeutische Vergleichbarkeit ergebe.
Therapiemöglichkeiten werden nach Meinung des G-BA nicht eingeschränkt und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen stehen zur Verfügung. Die arzneimittelrechtliche Zulassung erlaube außerdem keinen Rückschluss darauf, dass eines der einbezogenen Fertigarzneimittel über ein singuläres Anwendungsgebiet verfüge.
Für Infliximab besteht bereits eine Festbetragsgruppe der Stufe 1. Diese lässt der G-BA unangetastet; Infliximab bleibt von der vorliegenden Gruppenbildung unberührt. Die ebenfalls bereits bestehende Festbetragsgruppe »Etanercept, Gruppe 1« in Stufe 1 hingegen wird mit Inkrafttreten der neuen Festbetragsgruppe »TNF-α-Inhibitoren, Gruppe 1« außer Kraft treten.
Der aktuelle Beschluss des G-BA, die subkutanen TNF-α-Inhibitoren Adalimumab, Golimumab, Certolizumab pegol und Etanercept in eine Festbetragsgruppe der Stufe 2 aufzunehmen, ist kritisch zu sehen. Denn die Arzneistoffe der neuen Festbetragsgruppe bilden keineswegs eine homogene Klasse mit chemischer Verwandtschaft, sondern gehören vielmehr drei strukturell unterschiedlichen Gruppen an: Adalimumab und Golimumab sind vollständig humanisierte monoklonale Anti-TNF-IgG1-Antikörper biologischen Ursprungs, Etanercept ein biotechnologisch hergestelltes Fusionsprotein der extrazellulären Domäne vom humanen Rezeptor TNFR2 und der Fc-Region von IgG1 und Certolizumab pegol ein partialsynthetisch hergestelltes, kovalent pegyliertes Fab'-Fragment eines humanisierten monoklonalen Anti-TNF-Antikörperfragments.
Eine Voraussetzung für die pharmakologische Vergleichbarkeit und damit Festbetragsgruppenbildung ist zudem ein vergleichbarer Wirkmechanismus. Diesbezüglich ist zu konstatieren, dass sich die molekularen Wechselwirkungen dieser TNF-α-Blocker mit dem Target TNF und anderen klinisch relevanten Targets teilweise erheblich unterscheiden, was sich in ihren pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Eigenschaften und im Zulassungsstatus widerspiegelt. Eine alleinige Fokussierung auf die Interaktion mit TNF bildet die komplexen pleiotropen Eigenschaften der heterogenen TNF-α-Inhibitoren nur unzureichend ab und ignoriert aktuelle Erkenntnisse zur Pharmakologie dieser Arzneistoffe.
All dies nährt den Verdacht, dass für die Entscheidung des G-BA weniger die klinisch-wissenschaftliche Fakten- und Datenlage im Vordergrund stand als vielmehr der Wunsch nach Kostendämpfung.
Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Mitglied der erweiterten Chefredaktion