Neue Einblicke in die Funktion von ApoE4 |
Theo Dingermann |
22.02.2023 12:00 Uhr |
Wie hoch das persönliche Risiko ist, die Spätform der Alzheimer-Erkrankung zu entwickeln, ist auch genetisch bedingt. ApoE4 ist das bekannteste Alzheimer-Risikogen. / Foto: Getty Images/Klaus Vedfelt
Die Alzheimer-Krankheit (AD) ist ein Hauptvertreter der Klasse neurodegenerativer Erkrankungen, die als Tauopathien zusammengefasst werden. Für diese Gruppe von Krankheiten ist unter anderem eine ungewöhnlich hohe intrazelluläre Ansammlung von hyperphosphoryliertem τ-Protein typisch. Diese τ-Tangles korrelieren zusammen mit der Anhäufung von β-Amyloid-Plaques am besten mit der für diese Krankheiten charakteristischen Neurodegeneration und dem kognitiven Verfall. Weitere pathologische Merkmale der Alzheimer-Krankheit sind Neuroinflammation und Gliose, Defizite an Oligodendrozyten und eine Myelindegeneration – alles Eigenschaften, die die Erkrankung als eine multifaktorielle Störung charakterisieren, die von einem komplexen Pathologienspektrum begleitet wird.
Apolipoprotein E ist für den Fettstoffwechsel essenziell. Zwei Polymorphismen im ApoE-Gen führen zu den Aminosäureaustauschen Cys112Arg und Arg158Cys, wodurch die Ausbildung von drei Isoformen, den Allelen ApoE2, ApoE3 und ApoE4 möglich ist. Am häufigsten ist in der kaukasischen Bevölkerung das ApoE3-Allel vertreten (Allelfrequenz 72 Prozent), gefolgt von ApoE4 (17 Prozent) und ApoE2 (11 Prozent).
Das ApoE4-Allel ist ein Risikofaktor für die Spätform der Alzheimer Erkrankung mit einem deutlichen Gendosis-Effekt. Das bedeutet, das Risiko für eine Erkrankung steigt mit der Anzahl der ApoE4-Allele: Heterozygotie für das ApoE4-Allel ist mit einem circa 4-fach, Homozygotie mit einem bis zu 12-fach erhöhten Risiko assoziiert.
In einer in »Nature Aging« publizierten Studie widmeten sich Dr. Nicole Koutsodendris vom Gladstone Institute of Neurological Disease in San Francisco, USA, der Rolle der ApoE-Allele. Sie verwendeten ein Tauopathie-Mausmodell, in dem die menschlichen ApoE4- und ApoE3-Allele exprimiert werden, entfernten mit ausgeklügelten molekulargenetischen Methoden selektiv entweder das ApoE4-Allel oder das ApoE3-Allel ausschließlich aus den Neuronen der Mäuse und analysierten, welchen Effekt dies hatte.
Mäuse, die in ihren Neuronen kein ApoE4 mehr produzierten, wiesen eine bemerkenswerte Verringerung (etwa 81 Prozent) der τ-Pathologie im Vergleich zu Kontrollmäusen auf. Das war anders bei den Mäusen, bei denen das ApoE3-Allel entfernt worden war: Hier zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der τ-Pathologie zwischen den Kontrollmäusen und den Knockout-Mäusen. Die Bewertung neurofibrillärer Tangles ergab ein ähnliches Muster. Auch hier waren die Effekte bei den ApoE4-Knockout-Mäusen deutlich ausgeprägter als bei den ApoE3-Knockout-Mäusen.
Bei Mäusen, die das ApoE4-Allel exprimierten, ließ sich im Hippocampus und in den posterioren lateralen Ventrikeln eine ausgeprägtere Neurodegeneration nachweisen als bei Mäusen, die ApoE3 exprimierten. Bei den ApoE4-Knockout-Mäusen hingegen waren diese Effekte signifikant reduziert, während die Inaktivierung der neuronalen ApoE3-Expression die Neurodegeneration nicht signifikant beeinflusste. ApoE4-exprimierende Mäuse wiesen einen ausgedehnten Neuronenverlust in bestimmten Hippocampus-Regionen auf; dieser war bei ApoE4-Knockout-Mäusen signifikant reduziert. Hingegen gab es keine signifikante Verringerung des neuronalen Verlusts nach der Entfernung von neuronalem ApoE3.
Bei Mäusen, die ApoE4 exprimierten, kam es im Vergleich zu ApoE3 exprimierenden Mäusen zu einem beträchtlichen Myelinverlust. Dieser Unterschied wurde korrigiert, wenn das ApoE4-Allel inaktiviert wurde. Zudem zeigten ApoE4 exprimierende Mäuse im Vergleich zu ApoE3 exprimierenden Mäusen eine geringere Abdeckungsfläche von Oligodendrozyten im Hippocampus. Auch dieser Unterschied nivellierte sich nach Inaktivierung des ApoE4-Allels.
Schließlich konnten die Forschenden in ihrem Tiermodell auch deutliche Unterschiede beim Ausmaß einer Mikrogliose und Astrogliose innerhalb der verschiedenen Genotypgruppen nachweisen. Auch diese Unterschiede nivellierten sich, wenn ein intaktes ApoE4-Alle fehlte, sodass davon auszugehen ist, dass die Mikrogliose im Rahmen einer Tauopathie durch ApoE4 relativ zu ApoE3 stark erhöht wird und dass die Entfernung von ApoE4 aus Neuronen das Ausmaß der Mikrogliose abschwächt.