Minderheiten sind unterrepräsentiert |
Wenn es ihrem Anteil an den Krebspatienten insgesamt entsprechen sollte, müssten in den USA etwa fünfmal mehr dunkelhäutige Patienten an Zulassungsstudien für Krebsmedikamente teilnehmen als derzeit. / Foto: Getty Images/FatCamera
Die ethnische Zugehörigkeit eines Menschen ist nicht nur ein soziales Konstrukt, sondern hat auch eine biologische Komponente, die mit Blick auf eine Pharmakotherapie wichtig sein kann. So scheinen sich etwa die Tumoren von dunkelhäutigen Krebspatienten durch eine größere genetische Heterogenität auszuzeichnen, als das bei hellhäutigen Patienten der Fall ist. Auch überleben kaukasische Patienten in klinischen Studien trotz gleicher Behandlung teilweise länger als dunkelhäutige, so ein Autorenteam um Dr. Jonathan Loree von der University of British Columbia in Vancouver im Fachjournal »JAMA Oncology«.
Um valide Aussagen über die Wirksamkeit eines Medikaments bei einer bestimmten Bevölkerungsgruppe treffen zu können, muss das Medikament bei Angehörigen dieser Gruppe getestet sein. Diese banal klingende Bedingung ist jedoch in vielen Fällen nicht erfüllt, wie Loree und Kollegen am Beispiel neu zugelassener Krebstherapeutika aufzeigen. Die Autoren hatten sich die Zulassungsstudien aller zwischen Juli 2008 und Juni 2018 von der US-Arzneimittelbehörde FDA zugelassenen Onkologika vorgenommen und untersucht, ob diese überhaupt über die ethnische Zugehörigkeit der Teilnehmer informierten, und wenn Ja, wie groß der Anteil ethnischer Minderheiten am Probandenkollektiv war. Auch aus europäischer Sicht ist die Analyse interessant, denn die EU-Zulassung von Arzneimitteln stützt sich in aller Regel auf dieselben Studien wie die US-Zulassung.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Von 230 Studien mit insgesamt 112.293 Teilnehmern berichteten lediglich 145 (63 Prozent) über mindestens eine der vier großen US-amerikanischen Bevölkerungsgruppen (Weiße, Asiaten, Dunkelhäutige und Lateinamerikaner). 18 Studien (7,8 Prozent) dokumentierten alle vier Ethnien und 58 (25,2 Prozent) enthielten Ethnien-spezifische Subgruppenanalysen. Bezogen auf ihren Anteil an den Krebspatienten in den USA waren Dunkelhäutige mit nur 22 Prozent der zu erwartenden Teilnehmerzahl an Zulassungsstudien am deutlichsten unterrepräsentiert gefolgt von Lateinamerikanern (44 Prozent). Bei weißen Patienten entsprach die Teilnehmerzahl ziemlich genau dem Soll (98 Prozent) und Asiaten waren mit 438 Prozent sogar stark überrepräsentiert.
Wie kommt diese Diskrepanz zustande? Aus Sicht der Autoren beruht sie zumindest teilweise auf sozialer Ungleichheit. Betrachte man das Durchschnittseinkommen US-amerikanischer Haushalte, biete sich das genau umgekehrte Bild wie bei der anteiligen Repräsentation der Bevölkerungsgruppen unter den Studienteilnehmern: Asiaten verdienten am meisten gefolgt von Weißen, Lateinamerikanern und Dunkelhäutigen. Unter Letzteren sitze zudem das Misstrauen gegenüber der Teilnahme an klinischen Studien nach der skandalösen Tuskegee-Syphilis-Studie tief. Bei diesem menschenverachtenden Experiment, das in den frühen 1930er-Jahren begann und erst 1972 endete, wurde 400 dunkelhäutigen, an Syphilis erkrankten Männern eine wirksame Therapie vorenthalten, um den natürlichen Verlauf der Erkrankung zu verfolgen (Brandt, Allan M. 1978. »Racism and research: The case of theTuskegee Syphilis study.«).
Möglicherweise gebe es auch bei der Rekrutierung für die Teilnahme an klinischen Studien eine Schieflage, so die Autoren. Auffällig sei, dass weiße Patienten eher an großen, randomisierten, mehrarmigen Studien der Phase III teilgenommen hätten und Angehörige von Minderheiten eher an kleinen, nicht randomisierten, einarmigen Studien.
Die mangelnde Diversität der Probanden gefährde die Entwicklung hin zu einer Präzisionsmedizin, so die Autoren. Um schnell an die erforderlichen Daten zu kommen, schlagen sie kleine Follow-up-Studien, Phase-IV-Studien und die Veröffentlichung entsprechender Daten auf allgemein zugänglichen Portalen wie Project Data Sphere vor. Möglichst kurzfristig seien aber auch soziale und regulatorische Interventionen notwendig, um das Problem grundsätzlich anzugehen.