Mehr Phytos und NSAR, weniger Antibiotika |
Laura Rudolph |
22.10.2024 18:00 Uhr |
Menschen unter 70 Jahren mit einer Blasenentzündung sollte zunächst eine nicht antibiotische Behandlung angeboten werden. In vielen Fällen kann dadurch auf ein Antibiotikum verzichtet werden. / © Getty Images/Jomkwan
Kein anderes Dokument aus dem AWMF-Leitlinienregister wurde so oft heruntergeladen wie die S3-Leitlinie »Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen (HWI)«. Nachdem ihre letzte Erneuerung bereits sieben Jahre zurücklag, hat sie nun erneut ein Update erhalten.
Für die aktuelle Version arbeitete die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) erstmals unter anderem mit den Deutschen Gesellschaften für Geriatrie (DGG) und für Naturheilkunde (DGNHK) sowie mit der Gesellschaft für Phytotherapie (GPT) zusammen. Dies schlägt sich auch in den Empfehlungen der Leitlinienautoren nieder, die sich stärker für nicht antibiotische Therapien bei Patienten unter 70 Jahren aussprechen und ältere erstmals als eigene Patientengruppe berücksichtigen.
Eine Harnwegsinfektion (HWI) gilt als unkompliziert, wenn im Harntrakt keine funktionellen oder anatomischen Störungen wie Harnröhrenverengungen oder eine Blasenentleerungsstörung vorliegen. Zudem dürfen keine Nierenfunktionsstörungen und keine Begleiterkrankungen wie Diabetes vorhanden sein, die die HWI begünstigen. HWI bei Männern gelten in der Regel als komplizierte Infektionen, da die Prostata mit betroffen sein kann, und müssen immer differenziert abgeklärt werden.
Pflanzliche Arzneimittel und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Diclofenac »sollten« laut der aktualisierten Leitlinie als Alternative zur Antibiotika-Behandlung bei nicht geriatrischen Patienten erwogen werden. In der früheren Version hieß es, diese »können« erwogen werden. Damit hat sich der Empfehlungsgrad um eine Stufe erhöht (»kann« < »sollte« < »soll«).
Die neue Empfehlung basiert auf sechs Studien. Diese verglichen die Heilungsraten der unkomplizierten HWI bei einer rein symptomatischen Therapie mit NSAR, D-Mannose oder Phytopharmaka mit einer sofortigen Gabe eines Antibiotikums. Die nicht antibiotische Therapie habe in den meisten Studien zwar schlechter abgeschnitten als die Antibiotika-Therapie, insbesondere bei der vollständigen Heilung oder der Vermeidung einer Nierenbeckenentzündung, zeige jedoch insgesamt gute Heilungsergebnisse, heißt es in der Leitlinie.
In den Studien konnte durch den Einsatz von NSAR oder Phytopharmaka häufig auf Antibiotika verzichtet werden. Bei der Verwendung von Ibuprofen war dies bei 67, 65 beziehungsweise 53 Prozent der Studienteilnehmer der Fall (»BMC Medicine« 2010, DOI:10.1186/1741-7015-8-30; »BMJ« 2015, DOI: 10.1136/bmj.h6544259; »Plos Medicine« 2018, DOI: 10.1371/journal.pmed.1002569). Mit Diclofenac konnte eine Einsparung bei 37 Prozent der Patienten erreicht werden (»BMJ« 2017, DOI: 10.1136/bmj.j4784).
Pflanzliche Präparate mit Bärentraube (Uva Ursi) hatten ein Einsparpotenzial von 64 Prozent (»Clinical Microbiology and Infektion« 2021, DOI: 10.1016/j.cmi.2021.05.032) und die Dreierkombination aus Liebstöckel, Rosmarin und Tausendgüldenkraut (BNO 1045) eines von 84 Prozent (»Urologia Internationalis« 2018, DOI: 10.1159/000493368). »Vor diesem Hintergrund ist es vertretbar, Patienten mit einer akuten unkomplizierten Zystitis eine nicht antibiotische Behandlung anzubieten«, erklären die Leitlinienautoren.
Bei den Antibiotika-Empfehlungen legt sich die neue Leitlinie auf Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam und Trimethoprim fest. Cefpodoxim-Proxetil und Cotrimoxazol sind keine Mittel der ersten Wahl und Fluorchinolone seien nur dann zu verschreiben, »wenn andere Antibiotika als ungeeignet angesehen werden«.