Lentivirale Gentherapie bei schwerer Immundefizienz |
Theo Dingermann |
11.01.2023 07:00 Uhr |
Als »Bubble Boy« wurde in den 1970er-Jahren ein Junge mit SCID bekannt, da er aufgrund des schweren Immundefekts keinen Kontakt zur Außenwelt haben durfte. / Foto: Pav-Pro Photography
Von den etwa 20 verschiedenen Formen einer schweren kombinierten Immundefizienz (SCID) entfallen 2 bis 3 Prozent auf die »Artemis-defiziente SCID (ART-SCID)«. Diese wird durch Mutationen im Gen DCLRE1C (DNA Cross-Link Repair 1C) verursacht, mit der Folge, dass keine funktionsfähigen T- und B-Lymphozyten gebildet werden können. Wegen der DCLRE1C-Gen-Defizienz ist eine V(D)J-Rekombination in T- und B-Lymphozyten nicht möglich. Dies ist ein entscheidender Schritt im Rahmen der T-Zellrezeptor- und Antikörper-Synthese.
Diese Krankheit tritt häufig bei Personen mit Navajo- oder Apachen-Abstammung und in bestimmten verwandten Bevölkerungsgruppen auf und spricht schlecht auf die Behandlung durch allogene hämatopoetische Zelltransplantation (HCT) an.
Ein Forscherteam um Dr. Morton J. Cowan vom Department of Pediatrics der University of California, San Francisco (UCSF), behandelte jetzt in einer Phase I/II-Studie zehn Kinder, darunter vier Patienten aus den Navajo- oder Apachen-Bevölkerungsgruppen, bei denen eine ART-SCID diagnostiziert worden war. Diesen Kinder wurden autologe CD34+-Stammzellen infundiert, die ex vivo mit einem lentiviralen Gentherapievektor (AProArt) modifiziert worden waren. Der Vektor enthielt eine DCLRE1C-cDNA samt einer endogenen DCLRE1C-Promotorsequenz. Um für die transplantierten Stammzellen Knochenmarks-Nischen zu schaffen, wurden die Kinder vor der Transplantation mit niedrig dosiertem Busulfan konditioniert.
Mit Messungen zur Immunrekonstitution und Genmarkierung wurde vier Wochen nach der Infusion der modifizierten Stammzellen begonnen. Nach zwölf Wochen analysierten die Forschenden dann die Diversität der T-Zell-Rezeptoren (TCR) und die Insertionsstelle der lentiviralen Vektoren. Folgeuntersuchungen erfolgten monatlich bis sechs Monate nach der Intervention und danach alle drei Monate über insgesamt zwei Jahre.
Jetzt berichten die Forschenden in einer Publikation im »New England Journal of Medicine « (NEJM), dass durch ihren gentherapeutischen Therapieansatz der Immundefekt bei allen zehn Kindern korrigiert werden konnte, und dass alle Kinder derzeit gesund sind.
Bei allen Kindern stiegen die Konzentrationen von CD3+-, CD4+- und CD8+-T-Zellen, von naiven CD4+- T-Zellen und von regulatorischen T-Zellen (Tregs) über einen Zeitraum von neun Monaten nach der Infusion an.
B-Zellen wurden bei allen zehn Patienten im Median nach sechs Wochen nachgewiesen. Drei Patienten wiesen 24 Monate nach der Gentherapie normale IgM-Konzentrationen auf und reagierten positiv auf Impfungen.
Zum Zeitpunkt der Publikation hatte ein vierter Patient normale IgM- und Iso-Hämagglutinin-Titer, erhielt keine IgG-Infusionen mehr und hatte mit Impfungen begonnen. Bei drei weiteren Patienten konnten Prä-B-Zellen, unreife B-Zellen und Plasmablasten nachgewiesen werden.
Nur einem der Kinder, bei dem eine Infektion mit Cytomegaloviren (CMV) diagnostiziert wurde, mussten ein zweites Mal autologe AProArt-transduzierte CD34+-Zellen zwölf Monate nach der ersten Behandlung infundiert werden. Danach heilte die CMV-Infektion durch die wiederhergestellte T-Zell-Immunität des Kindes aus.
Insgesamt wurden von den Prüfärzten 40 nicht schwerwiegende unerwünschte Ereignisse gemeldet, die wahrscheinlich mit der Therapie in Zusammenhang standen. Von diesen wurden 23 als Grad 1 oder 2 eingestuft. Von den 17 unerwünschten Grad-3- oder -4-Ereignissen waren 16 Zytopenien, die wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Knochenmarkentnahme oder Busulfan-Behandlung zusammenhingen. Vier von neun Patienten entwickelten eine autoimmunhämolytische Anämie (AIHA). Diese trat vier bis elf Monate nach der Infusion der Stammzellen auf. Die Forschenden resümieren, dass die Ergebnisse dieser Studie weitere Studien rechtfertigen.