Krebs ist auch eine Infektionskrankheit |
Theo Dingermann |
26.04.2020 08:00 Uhr |
Bis auf wenige Ausnahmen standen Bakterien bisher nicht so sehr als Krebsauslöser im Fokus. Zwischenzeitlich sind jedoch mehrere Bakterien identifiziert, die mit bestimmten Tumoren in Verbindung gebracht werden – entweder mit deren Entstehung oder als opportunistische Tumorbegleiter (Tabelle 2). Einige Beispiele werden hier etwas näher betrachtet.
Helicobacter pylori: Das bekannteste dieser Bakterien ist Helicobacter pylori, der stärkste bekannte Risikofaktor für Magenkrebs (11).
Mit Tumoren assoziierte Bakterien | Rolle im Tumorgeschehen |
---|---|
Lungenkarzinom | |
Streptococcus mitis / Staphylococcus epidermis / Bacillus sp. | opportunistischer Tumor-Begleiter |
Mycoplasma sp. / Chlamydophila pneumonia | Verursacher von Tumoren |
Pankreaskarzinom | |
Robinsoniella peoriensis / Pedioccoccus acidilactici / Leuconostoc lactis / Leuconostoc mesenteroides | opportunistischer Tumor-Begleiter |
Mammakarzinom | |
Staphylococcus epidermidis / Mycoplasma sp. | opportunistischer Tumor-Begleiter |
Mundhöhlenkarzinom | |
Ralstonia insidiosa / Fusobacterium naviforme / Prevotella sp. | opportunistischer Tumor-Begleiter |
Gallenblasenkarzinom | |
Salmonella typhi | |
Helicobacter pylori | |
Helicobacter hepaticus | |
Helicobacter bilis | Verursacher von Tumoren |
MALT-Lymphome | |
Chlamydia pneumonia / Chlamydia trachomatis / Chlamydia psittaci | Verursacher von Tumoren |
MALT-Lymphome der okulären Adnexe | |
Chlamydia psittaci | Verursacher von Tumoren |
Ovarialkarzinom | |
Chlamydia trachomatis | opportunistischer Tumor-Begleiter |
Mycoplasma sp. | Verursacher von Tumoren |
Kolorektalkarzinom | |
Streptococcus gallolyticus | Verursacher von Tumoren |
Fusobacterium nucleatum | Verursacher von Tumoren oder opportunistischer Tumor-Begleiter |
Fusobacterium necrophorum, Fusobacterium mortiferum, Fusobacterium perfoetens / Faecalibacterium sp. / Roseburia sp. / Escherichia coli / Citrobacter sp. / Helicobacter pylori / Mycoplasma | opportunistischer Tumor-Begleiter |
In gewisser Hinsicht gleicht die Geschichte der Entdeckung der onkogenen Relevanz von H. pylori der von HPV. Dieses Bakterium wurde erstmal 1983 von Barry Marshall und John Robin Warren beschrieben. Jedoch nahm die medizinische Welt ihre Entdeckung lange nicht ernst. Erst 1989 kam es zum Durchbruch, als man realisierte, dass das Bakterium für die Entstehung von Magengeschwüren und in der Folge auch von Magenkrebs verantwortlich war. Im Dezember 2005 erhielten Warren und Marshall für ihre Arbeiten den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
Vorreiter bei den onkogenen Bakterien: Helicobacter pylori / Foto: Your Photo Today
Auch für H. pylori ist typisch, dass nur eine kleine Minderheit der Infizierten ein Magenkarzinom oder präkanzeröse Magenläsionen entwickelt. Die Gründe sind auch hier weitgehend unbekannt. Darüber hinaus wird das Bakterium mit einem erhöhten Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs in Verbindung gebracht. Und schließlich stützen neuere Daten die Hypothese, dass H. pylori mit einem leicht erhöhten Risiko für Darmkrebs assoziiert ist (9).
Salmonella typhi: Chronische mikrobielle Infektionen und/oder ihr Trägerstatus sind mit bestimmten Krebsarten assoziiert. Aus rund 1000 Gewebeproben von Menschen mit Gallenblasenkarzinomen, mit Gallensteinleiden und ohne Gallenwegspathologie wurden aerobe Kulturen angelegt. Salmonella typhi und S. paratyphi-A konnten bei Krebspatienten in einer signifikant höheren Zahl (P < 0,05) nachgewiesen werden als bei benignen Gallensteinleiden und bei der Kontrollgruppe.
Dies könnte darauf hindeuten, dass der Nachweis von Typhus-Erregern und deren Eradikation die Inzidenz von Gallenblasenkarzinomen verringern könnte (10).
Bestimmte Bakterien sind mit dem Auftreten von Darmkrebs assoziiert. / Foto: Felix-Burda-Stiftung
Streptococcus gallolyticus: Gewisse Darmbakterien scheinen das Krebsrisiko auch in extra-intestinalen Organen, darunter dem Duodenum, der Gallenblase, der Bauchspeicheldrüse, den Eierstöcken, der Gebärmutter, Lunge oder des hämatopoetischen Systems, zu beeinflussen (1). Einer der bakteriellen Erreger, der regelmäßig mit einem kolorektalen Karzinom (CRC) assoziiert ist, ist Streptococcus gallolyticus. Dieser ist bei 2,5 bis 15 Prozent der Bevölkerung in der normalen Darmflora vorhanden. Zum Teil korreliert dies mit entzündlichen Darmerkrankungen oder bösartigen/prämalignen Tumorläsionen. Daraus wird geschlossen, dass das karzinogene Potenzial von S. gallolyticus höchstwahrscheinlich ein Ausbreitungsfaktor für prämaligne Gewebe ist. Tatsächlich wird erwogen, die Identifizierung von S. gallolyticus-DNA oder von Antikörpern gegen das Bakterium bei Hochrisikogruppen zur Früherkennung von kolorektalen Karzinomen heranzuziehen (1).
Fusobacterium nucleatum: Analysiert man Darmkrebsproben auf das Vorhandensein bakterieller DNA, findet man immer wieder das Bakterium Fusobacterium nucleatum. Erstaunlicherweise bleibt die Besiedlung menschlicher CRC mit Fusobacterien und ihrem assoziierten Mikrobiom – einschließlich Bacteroides, Selenomonas und Prevotella-Spezies – selbst in distalen Metastasen erhalten. Auch in Xenotransplantaten menschlicher primärer kolorektaler Adenokarzinome in der Maus bleibt die spezifische Besiedlung erhalten.
Behandelt man diese Mäuse mit dem Antibiotikum Metronidazol, werden nicht nur die Bakterien eliminiert, sondern auch die Krebszellproliferation und das allgemeine Tumorwachstum reduziert. Diese Beobachtungen sprechen für die weitere Untersuchung antimikrobieller Interventionen als mögliche Behandlung von Patienten mit Fusobakterien-assoziiertem Kolorektalkarzinom (3).
Chlamydia pneumoniae: Dieser gramnegative Bazillus und obligat intrazelluläre Parasit verursacht bei mehr als 50 Prozent der Erwachsenen Atemwegsinfektionen. Die Beziehung zwischen C. pneumoniae und Lungenkrebs wird seit rund zehn Jahren mit klinischen und Laborforschungsmethoden untersucht, aber die Ergebnisse sind uneinheitlich. In einer Metaanalyse bereits veröffentlichter Daten kamen die Autoren zu dem Schluss, dass ein Dosis-Wirkungs-Effekt zwischen dem IgA-Antikörpertiter (serologische Kriterien für eine chronische Infektion) und einem Lungenkrebsrisiko möglich sein könnte (13). Dabei scheint ein höherer IgA-Antikörpertiter ein positiver Prädiktor für das Lungenkrebsrisiko zu sein.