Kontroverse zwischen Ideal und Realitäten |
»Die Qualität der Versorgung steht an erster Stelle. Zudem ist jedoch ihre Wirtschaftlichkeit im Blick zu behalten. Dies gilt für neue Therapieoptionen genauso wie für die Beibehaltung des hohen Versorgungsstandards unter anderem bei den Volkskrankheiten. Durch Festbeträge und Rabattverträge ist diese Wirtschaftlichkeit gut im Griff zu behalten«, machte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes deutlich.
Litsch betonte, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Preisentwicklung bei Arzneimittelneueinführungen mit großer Sorge betrachten. Obwohl sie nur einen geringen Versorgungsanteil aufweisen (2019: 7 Prozent), hätten diese einen erheblichen Einfluss auf die Umsatzentwicklung. Er sprach von plus 5,8 Prozent in 2019. Das entspräche circa 2,57 Milliarden Euro. Jedes vierte neue Präparat koste inzwischen mehr als 100.000 Euro pro Jahr. Zudem bestehe bei Marktneuzugängen häufig große therapeutische Unsicherheit, weil Belege zum Zusatznutzen gegenüber etablierten Therapiestandards und zur Dauerhaftigkeit positiver Therapieeffekte fehlen. Eine entsprechende Reform der Preisbildung für neue Arzneimittel, die das erste Jahr nach der Zulassung neu reguliert, sei daher überfällig.
Die im ersten Jahr frei gesetzten Startpreise der Hersteller werden zur Benchmark für die im Anschluss stattfindenden Erstattungsbetragsverhandlungen. Mit einem Interimspreis ließe sich von Anfang an ein fairer Preis realisieren. Dieser würde vom GKV-Spitzenverband auf der Basis der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegten Vergleichstherapie rechnerisch abgeleitet und wäre gültig vom Marktzugang bis zum Bekanntwerden des Erstattungsbetrags, der den Interimspreis anschließend rückwirkend ersetzt. Zudem könnte der Start der Nutzenbewertung in das Zeitfenster zwischen Zulassung und offiziellem Marktzugang vorverlegt werden. Auch der Zeitraum für die Erstattungsbetragsverhandlungen ließe sich halbieren, wenn statt bis zu fünf künftig maximal drei Runden stattfänden.
Stichwort »Vermeidung von Lieferengpässen«: Um stets eine sichere und stabile Arzneimittelversorgung zu gewährleisten, sei das Gebot der Stunde mehr Transparenz, sprich: mehr Durchblick über die Bedingungen, die Orte und die Art und Weise der Produktion. Woher kommen die Wirkstoffe? Werden bei der Produktion Umwelt- und Sozialstandards beachtet? Um hier für mehr Klarheit zu sorgen, habe die AOK-Gemeinschaft die Regelungen ihrer Rabattverträge bereits erweitert und zudem mehr Reserven vorgesehen. Darüber hinaus sei der Gesetzgeber gefordert. Dieser könne für vollständige Transparenz über die gesamte Lieferkette vom pharmazeutischen Hersteller über den Großhandel bis hin zu den Apotheken und auch für bessere Qualitätskontrollen sorgen. Somit könnten frühzeitiger Probleme erkannt werden. Auch brauche es klare gesetzliche Vorgaben für die Erweiterung der Lagerhaltung beim Großhandel und bei den Herstellern. Litsch zeigte sich erfreut, dass der Ruf nach mehr europäischer Kooperation und Koordination lauter wird.